Frieden lernen

Im von ethnischen und religiösen Konflikten geprägten Zedernstaat sitzen in einem Workshop einer Beiruter NGO erstmals rivalisierende Parteien zusammen, um Formen friedlicher Konfliktlösung zu erlernen. Christina Förch war dabei.

Unruhen auf dem Campus der Arabischen Universität in Beirut; Foto: AP
Unruhen auf dem Campus der Arabischen Universität in Beirut

​​Bürgerkriegsähnliche Szenen erschütterten den Libanon am 25. Januar 2007, als sich Studenten der Arabischen Universität in Beirut eine heftige Straßenschlacht lieferten. Es gab zahlreiche Verletzte und einen Toten.

Die Ausschreitungen konnten nur durch die Intervention der libanesischen Armee beendet werden. Politische Führer, Professoren und Eltern der Studenten waren damals geschockt: Die innenpolitischen Querelen im Libanon – die Hisbollah und deren Verbündete verlangen bis heute den Rücktritt der pro-westlichen Regierung – waren wieder einmal außer Kontrolle geraten.

Erfahrungen aus dem langjährigen Bürgerkrieg

Was politische Führer, Professoren und Eltern der Studenten eint, ist die Erfahrung des 16 Jahre andauernden Bürgerkriegs. Ein Leid, das die Studenten nicht richtig miterlebt hatten, denn sie waren noch Kinder, als der Krieg zu Ende ging. Anscheinend sind sie deshalb auch eher bereit, Zuflucht zur Gewalt zu nehmen.

Die Professoren zogen Konsequenzen aus den Ausschreitungen: Sie verboten jegliche politische Diskussionen und Veranstaltungen auf dem Campus. Totaler Quatsch sei diese Strategie, meint Fadi Abi Allam, Direktor der Nichtregierungsorganisation "Permanent Peace Movement". Politik gehöre doch zum Studentenleben dazu. Sie müssten vielmehr lernen, friedlich mit Konflikten umzugehen.

Und genau da setzt Abi Allam an. Knapp zwei Monate nach den gewaltsamen Zusammenstößen leitet er erstmals einen Workshop, der Studentenvertreter aller politischen Fraktionen an einen Tisch bringt. Titel der Veranstaltung: Praxis der friedlichen Konfliktlösung.

Der Workshop-Leiter brauchte viel Zeit und Energie, um die Führer der befehdeten Fraktionen zu überzeugen, Studenten der jeweiligen Partei zu seinem Workshop zu schicken. Und er musste ihnen eines versprechen: Nicht über Politik zu reden. "Sonst wären die Studenten gleich wieder aufeinander losgegangen", meint Abi Allam.

Vielmehr sollen die Studenten verstehen, dass Konflikte nun einmal zum menschlichen Dasein gehören – und lernen, sie friedlich zu lösen.

"Gewalt ist für uns etwas Normales"

Doch das ist im Libanon nicht selbstverständlich. Kriege und Konflikte gehören – wie überall – auch zur Geschichte des Orients dazu und bestimmen heute vielerorts den Alltag.

In Beirut war Ahmad Hassan, ein 22-jähriger Jurastudent, bei den Zusammenstößen der Studenten der Arabischen Universität dabei. "Gewalt ist für uns etwas Normales", meint er. Einverstanden sei er aber damit nicht. Deshalb habe er sich entschlossen, am Workshop teilzunehmen.

In drei Tagen sollen nun die 30 Studenten lernen, wie man Konflikte definiert und erkennt, wie man verhandelt und wie man für alle Parteien eine faire Lösung erarbeitet. Sie sollen die Fähigkeit erwerben, Kompromisse zu schließen, anstatt aufeinander loszugehen. Dabei gehören "Brain storming"-Sitzungen ebenso zum Workshop wie Planspiele.

Abi Allam ist sehr darauf bedacht, dass die Studenten nicht innerhalb ihrer politischen Fraktion verharren, sondern sich untereinander austauschen. Am ersten Tag sei das noch schwierig gewesen. Aber am zweiten Tag wäre schon etwas mehr Vertrauen entstanden. Und Vertrauen bilde das Fundament für die friedliche Lösung von Konflikten.

In den Planspielen hätten die Studenten miteinander gearbeitet, "jenseits ihrer politischen Zugehörigkeit." Das sei schon ein großer Schritt in die richtige Richtung.

Technisches Handwerk für Konfliktprävention

"In unserem Workshop haben wir keine Probleme miteinander", erzählt Elsy Oueiss von den "Lebanese Forces". Der Grund: das Thema Politik bleibe ausgeblendet. Sie lernten vielmehr das technische Handwerk der Konfliktprävention- und bewältigung.

Der 22-jährige Hisbollah-Anhänger Baschar Lakis meint, dass nicht nur die Jugendlichen, sondern alle Libanesen sich über die Gefahren eines Bürgerkriegs im Klaren sein müssten. Seine Partei sei grundsätzlich zum Dialog bereit.

Das nehmen die Opponenten dem Hisbollah-Vertreter allerdings nicht ganz ab: Denn bisher zeigt sich die Partei Gottes auf nationaler Ebene ziemlich unnachgiebig. Wahrscheinlich bräuchten nicht nur die Studenten, sondern die libanesischen Politiker einen Intensiv-Workshop zur friedlichen Konfliktbewältigung.

Doch viele Jugendliche denken, dass sie in ihren Parteien eine wichtige Rolle spielen können. Mohamad Wassi von der Baath-Partei hat schon oft als Wahlhelfer gearbeitet. "Wir Jugendliche haben Einfluss – in den Universitäten, auf Demonstrationen und Konferenzen", meint er selbstbewusst.

Wissen nach außen tragen

Abi Allam weiß, dass sein Workshop nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Aber es ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Sein Ziel ist es, noch viele Aktivitäten dieser Art zu leiten.

Idealerweise sollte es an den Universitäten und auch innerhalb der politischen Parteien eine solche regelmäßige Veranstaltung geben. Dafür will er dann auch die Studenten einsetzen, die an seinem jetzigen Workshop teilnehmen.

Und er erhofft sich noch etwas anderes: Dass die Studenten das, was sie in den drei Tagen lernen, nach außen tragen und in ihrem Alltag anwenden. Mehr könne er als Trainer nicht erreichen.

Christina Förch

© Qantara.de 2007

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