Politisches Fiasko

Mit dem Unabhängigkeitsreferendum hat sich Masud Barzani, Präsident der Autonomen Region Kurdistan im Nordirak, international isoliert und die Spannungen mit der irakischen Zentralregierung gefährlich eskaliert. Barzani habe das Referendum aus persönlichem Machtkalkül angesetzt und die Folgen falsch eingeschätzt, schreibt Çiğdem Akyol in ihrer Analyse.

Von Cigdem Akyol

Als kurdische Truppen vor zwei Jahren die Stadt Sinjar im Nordirak vom Islamischen Staat (IS) zurückerobert hatten, hielt Masud Barzani eine triumphale Rede. Nur noch die kurdische Flagge würde hier wehen, versprach der Kurdenführer vor einem atemberaubenden Bergpanorama nach der erfolgreichen Großoffensive.

Heute aber weht in Sinjar die irakische Flagge. In den letzten Wochen haben die nordirakischen Kurden viel von dem verloren, was sie sich seit dem Sturz des irakischen Diktators Saddam Hussein im Jahr 2003 erarbeitet hatten.

Vergangene Woche schickte der irakische Premier Haider al-Abadi von Washington und Teheran unterstützte Truppen sowie shiitische Milizen los. Sie rückten in Gebiete vor, die bisher unter Kontrolle der Peschmerga-Kämpfer standen, allen voran in die ölreiche und strategisch bedeutsame Provinz Kirkuk.

Am Freitag (20.10.2017) meldete das gemeinsame Operationskommando des Irak, es habe die Ortschaft Altin Köprü im umkämpften Kirkuk eingenommen. Damit stehen Bagdads Truppen gerade einmal 50 Kilometer von der kurdischen Hauptstadt Erbil entfernt.

Nachdem die Kurden am 25. September fast geschlossen für eine Unabhängigkeit gestimmt hatten, erlangte Autonomiepräsident Barzani nicht mehr Handlungsspielraum sondern weniger - und erreichte damit genau das Gegenteil von dem, was er eigentlich wollte.

Denn Barzani und seine Demokratische Partei Kurdistans (KDP) hatten den Volksentscheid trotz massiver nationaler wie internationaler Bedenken und Drohungen sowie gegen den Widerstand seiner Rivalen aus der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) durchgezogen. Die PUK hielt sein Vorgehen angesichts des erbitterten Widerstands der Zentralregierung in Bagdad für falsch.

Der Volksentscheid sei von Barzani "mit Gewalt durchgesetzt" worden, klagte etwa die PUK-Abgeordnete Ala Talabani. Der Kurdenpräsident habe alle Bitten, die Abstimmung zu verschieben, ignoriert und die Vermittlungsangebote der UNO ebenso abgelehnt wie den Kompromissvorschlag des irakischen Staatspräsidenten Fouad Massoum.

Mit dem Porträt von Kurdenführer Masud Barzani wurde im Nordirak für das Referendum geworben. Foto: Picture alliance /DPA
Innenpolitisches Kalkül: „Dass Barzani gerade jetzt eine Volksabstimmung über die kurdische Unabhängigkeit angesetzt hat, dafür gibt es vor allem ein Motiv: Der langjährige Clan-Chef wurde in seiner eigenen Bevölkerung zusehends unbeliebter“, schreibt Çiğdem Akyol in ihrer Analyse.

Totale Fehlkalkulation

Tatsächlich brachte das Referendum zwar wie erwartet eine Mehrheit für die Unabhängigkeit, doch anstatt die Verhandlungsmacht der Kurden zu stärken, wurde diese nun im Gegenteil erheblich geschwächt. Die Abstimmung hat sich als eine totale Fehlkalkulation des kurdischen Präsidenten erwiesen, der seinen gewagten Schritt nicht durch internationale Rückendeckung abgesichert hatte.

Denn abgesehen von Unterstützung aus Israel gibt es weder regional noch international politischen Beistand für die kurdischen Unabhängigkeitsbestrebungen. Der Irak, die Vereinten Nationen, die USA und die Europäische Union sowie Iran und die Türkei sprachen sich teils unter heftigen Drohungen gegen das Referendum aus. Doch Barzani hat alle Warnungen in den Wind geschlagen.

Jetzt straft allen voran die Regierung in Bagdad Irakisch-Kurdistan ab. Auch Ankara hat Bagdad mittlerweile dazu gratuliert. „Kirkuk ist wieder in den Händen der irakischen Regierung – eine durchaus positive Entwicklung“, freute sich der türkische Regierungschef Binali Yildirim. Die irakischen Truppen hätten die Entstehung eines zweiten Israels im Nordirak verhindert, frohlockte in Teheran Ali Akbar Velayati, der außenpolitische Berater Ayatollah Ali Khameneis.

Als „Fehlkalkulation“ bezeichnete auch der irakisch-kurdische Parlamentarier Mahmud Osman das Vorgehen von Barzani. Der Politiker sagte, er habe Barzani vor dem Referendum gewarnt, weil es unter den derzeitigen Bedingungen in der Region keine Möglichkeit gebe, die Unabhängigkeit zu erreichen.

US-Präsident Donald Trump kündigte nun an, dass die USA in dem Konflikt neutral bleiben und für keine Seite Partei ergreifen würden. "Wir hatten viele Jahre lang sehr gute Beziehungen zu den Kurden", sagte Trump.

Dass Barzani gerade jetzt eine Volksabstimmung über die kurdische Unabhängigkeit angesetzt hat, dafür gibt es vor allem ein Motiv: Der langjährige Clan-Chef wurde in seiner eigenen Bevölkerung zusehends unbeliebter.

Angst in Kirkuk: "Sie wollen die Kurden vernichten"

Also entmachtete er die gewählten Parlamentarier und blieb auch nach Ablauf seiner offiziellen Amtszeit weiter Präsident der Autonomen Region. Das Thema Unabhängigkeit bietet ihm die Chance, wieder populär zu werden.

Vorwürfe wegen der Veruntreuung von Geldern

Doch neben den territorialen Verlusten haben die Kurdenparteien auch an Ansehen verloren. Barzani ist es nicht einmal gelungen, die heimischen Kurden zu einen. Die PUK, gegründet vom ehemaligen irakischen Präsidenten Jalal Talabani, fühlte sich schon lange von Barzani übergangen und beschuldigte ihn, sich an den Einnahmen aus den Ölfeldern von Kirkuk zu bereichern, die beim Kampf gegen den IS erobert worden waren.

"Die Medien von Massud Barzani werfen uns Verrat vor, doch niemand weiß, wohin das Geld aus den Ölquellen geflossen ist, die Barzanis Partei seit Juni 2014 kontrolliert", kritisierte Talabani noch vor seinem Tod Anfang Oktober 2017.

Als nun die irakischen Regierungstruppen auf Kirkuk - das "kurdische Jerusalem" - vorrückten, zogen sich die Truppen der PUK meist widerstandslos zurück.

So steht Barzani in diesem Konflikt, der sich zu einem Krieg ausweiten könnte, zuhause wie auch international isoliert da.

Çiğdem Akyol

© Qantara.de 2017