Der Schlüssel zum Frieden liegt in Damaskus
Der Besuch von US-Präsident George W. Bush im Nahen Osten in der vergangenen Woche blieb ergebnis- und sogar substanzlos, dies vor allem in Bezug auf das palästinensische Problem.
Wäre es deshalb nicht dringend notwendig, wieder an Syrien zu denken? Und tatsächlich gab es jüngst Gerüchte über eine mögliche Bewegung zwischen Israel und Syrien. Am 26. April besuchte der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan Damaskus.
Erdogan, ein Schwergewicht sowohl für Israel als auch für Syrien, deutete an, dass er zwischen den beiden Kontrahenten vermitteln könnte. Dieser Besuch kam kurz nachdem Israels Ministerpräsident Ehud Olmert in einer Reihe von Interviews Hinweise auf ein vages Interesse an Friedensverhandlungen mit Syrien gegeben hatte.
Vier israelische Ministerpräsidenten haben bereits mit Syrien verhandelt, drei von der Arbeitspartei – Jitzchak Rabin, Schimon Peres und Ehud Barak – aber auch der Likud-Regierungschef Benjamin Netanjahu in den Jahren 1996 - 99.
Alle vier sind dem Ziel sehr nahe gekommen: Sie akzeptierten das Prinzip der Rückgabe der Golanhöhen an Syrien und erhielten von Syrien die erwünschten Friedens- und Sicherheitsgarantien. Was die Verhandlungen letztendlich immer wieder torpediert hat, waren angesichts der ausgebügelten Hauptschwierigkeiten nur Nebensächlichkeiten.
Zaghafte Annäherung
Nach dem amerikanischen Angriff im Irak 2003 kamen Signale aus Damaskus nach Jerusalem, die darauf hindeuteten, dass Baschar el-Assad, Sohn und Nachfolger des syrischen Präsidenten Hafis el-Assad, Interesse daran hatte, mit Israel über Frieden zu verhandeln.
Möglicherweise lag das daran, dass Assad fürchtete, der nächste auf der amerikanischen Liste der Mitglieder der "Achse des Bösen" zu sein, der angegriffen werden würde. Also suchte er eine Versicherung gegen einen Angriff.
Diesmal kam von Israel keine Erwiderung. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern war Ministerpräsident Ariel Scharon nicht bereit, auf die Golanhöhen zu verzichten und sah infolgedessen keinen Ansatz für Verhandlungen mit Syrien.
Sein Nachfolger Olmert wäre vielleicht doch bereit, den israelischen Besitz der Golanhöhen in Frage zu stellen. Bislang glaubte er aber, innenpolitisch nicht stark genug zu sein, sich Zugeständnisse an die Syrer leisten zu können. Er konzentrierte sich eher auf das palästinensische Problem.
Woher kommt also das gegenwärtige unerwartete israelische Interesse an Syrien? Dass Israel daran interessiert ist, mit Syrien Frieden zu schließen, ist klar. Sollte Israel dies gelingen, so würde es fast automatisch auch mit Libanon Frieden schließen können.
Frieden mit Damaskus würde aber auch eine Trennung zwischen Syrien und Iran und so eine Trennung zwischen Iran und Hisbollah bedeuten müssen. Syrien hat ein Interesse an einem solchen Frieden. Und dies nicht nur, weil es seine verlorenen Gebiete zurückhaben möchte, sondern auch und hauptsächlich, um aus der Isolation herauszukommen.
Lediglich eine Notallianz
Die Syrer sind Araber, und nicht Iraner; Sunniten, und nicht Schiiten. Zwar ist Syrien eine Diktatur, jedoch kein Gottesstaat. Sollten die iranischen und südlibanesischen Schiiten über die islamische Welt die Oberhand gewinnen, würde dies für das syrische Regime verheerend sein. Syriens heutige Allianz mit diesen Kräften ist lediglich eine Notallianz. Auf diese Allianz wird Syrien aber nicht verzichten, solange ihm keine Alternative geboten wird.
All dies liegt seit fünf Jahren auf der Hand. Wie kommt es jedoch, dass das von Olmert erst heute zur Kenntnis genommen wird? Wie die meisten Politiker denkt auch er an sein politisches Überleben. Er führt eine äußerst instabile Koalition und weiß, dass er bei vorgezogenen Wahlen keine Chance haben wird.
Die Bevölkerung, die in ihrer Mehrheit prinzipiell bereit ist, auf besetzte Gebiete und Siedlungen zu verzichten, wird dies aber erst dann als machbar betrachten, wenn sie davon ausgehen kann, dass aus den geräumten Gebieten für sie keine Gefahr entstehen kann.
Das war der Fall, als Israel mit Ägypten und später mit Jordanien verhandelt hat. Ägyptens Präsident Anwar el-Sadat und Jordaniens König Hussein konnten diesbezüglich das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen und, wie es sich erwiesen hat, mit Recht.
Den guten Absichten des Palästinenserpräsidenten Machmud Abbas vertraut man auch, nur glaubt man nicht, dass ihm die Mittel zur Verfügung stehen, um entlang der Grenze zwischen seinem zukünftigen Staat und Israel Ruhe und Sicherheit zu erzwingen.
Die Beispiele Südlibanon und Gaza-Streifen, die nach der Räumung eher zu einer größeren Gefahr für Israel geworden sind, schweben im Hintergrund.
Ohne der israelischen Bevölkerung einen glaubwürdigen Beweis dafür unterbreiten zu können, dass Zugeständnisse an die Palästinenser wie die Räumung besetzter Gebiete und Siedlungen mit echter Sicherheit verbunden sind, wird Olmert von der Unterstützung seiner Bevölkerung nicht profitieren können.
Sollte Olmert aber der israelischen Bevölkerung den Entwurf eines Friedensvertrags mit Syrien unterbreiten können, in dem die Sicherheitsmaßnahmen auf den rückzuerstattenden Golanhöhen und im Südlibanon glaubwürdig und detailliert dargestellt werden, so könnte er die Bevölkerung vielleicht doch davon überzeugen.
Schließlich ist Assad in seinem Land genau so mächtig wie es Sadat in Ägypten und König Hussein in Jordanien waren. Er könnte deshalb die Sicherheit gewährleisten.
Ein Friedensvertrag mit Syrien als Trumpfkarte
Und in der Tat haben die Syrer in der Vergangenheit trotz unerbittlicher Feindschaft gegen Israel Verträge mit Israel immer tadellos respektiert. Ohne Syrien wird es keinen Krieg gegen Israel geben. Der Entwurf eines Friedensvertrags mit Syrien wäre also eine Trumpfkarte, mit der Olmert oder sein Nachfolger in Wahlen gehen könnte.
Die größte Schwierigkeit für ein solches Szenario liegt allerdings nicht im Nahen Osten, sondern in Washington. Washington widersetzt sich einer Versöhnung mit Syrien, zumindest solange das Libanon-Problem nicht gelöst ist – und vielleicht noch darüber hinaus.
Selbst wenn Israel die Vorbehalte Amerikas überwinden können würde, würde es ohne aktive amerikanische Unterstützung keinen Friedensvertrag mit Syrien schließen können.
Für Syrien kommt eine Erfüllung der israelischen Bedingungen – darunter die Lockerung der Kontakte mit Iran und mit der Hisbollah – nur dann in Frage, wenn die Vereinigten Staaten ihnen eine Alternative zu ihren Notallianzen bieten würde.
Möglicherweise kann also Olmerts syrische Alternative im besten Fall erst nach dem Machtwechsel in Washington in die Tat umgesetzt werden. Ob Olmert derjenige sein wird, der dann die heutige Koalition führt, oder ob dies ein anderer sein wird, ändert an diesem Kalkül nichts.
Avi Primor
© Süddeutsche Zeitung 2008
Qantara.de
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