Im Tal der billigen Klischees

Zunächst sah es so aus, als würde die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft ihn gar nicht zulassen. Dann ist der umstrittene türkische Film "Tal der Wölfe – Palästina" doch überraschend in deutschen Kinos gestartet. Günther Birkenstock hat den Film gesehen.

​​ An 43 Spielorten wird "Tal der Wölfe - Palästina" gezeigt, und zwar in der Originalsprache Türkisch mit deutschen Untertiteln. Wegen der vielen Gewaltszenen wurde der als antisemitisch kritisierte Action-Streifen jedoch erst ab 18 Jahren freigegeben.

Sein Hauptdarsteller ist in der Türkei schon lange ein beliebter Filmheld - im Fernsehen und im Kino: Necati Şaşmaz als Geheimagent Polat Alemdar, Rächer der Schwachen und Unterdrückten, Retter von Nationalstolz und Vaterland. Bisher kämpfte er auf Bildschirm und Leinwand gegen Kurden, Amerikaner und Araber. Antisemitische Inhalte gehörten oft mit dazu.

Rache unter dem Titel Gerechtigkeit

Der erste Kinofilm mit Geheimagent Polat richtete sich gegen US-Truppen im Irak und zog mehr als vier Millionen Besucher in die türkischen Kinos. Der aktuelle Streifen "Im Tal der Wölfe – Palästina" behandelt ein immer noch ein aktuelles und hoch kontroverses Thema: den blutigen Angriff israelischer Militärs auf das türkische Passagierschiff "Mavi Marmara" am 31. Mai vergangenen Jahres.

Necati Şaşmaz als Geheimagent Polat Alemdar; Foto: dpa
"Für einen Unschuldigen opfern wir die ganze Welt!" - Necati Şaşmaz als Geheimagent Polat Alemdar

​​Das Schiff mit knapp 600 Menschen an Bord, davon rund 400 Türken, gehörte zum "Ship to Gaza"-Konvoi. Damit sollten trotz der israelischen Seeblockade Hilfsgüter in den Gaza-Streifen gebracht werden. Die israelische Marine stoppte die "Mavi Marmara", neun türkische Passagiere würden getötet, sieben israelische Soldaten verletzt.

Die nach wie vor umstrittene und immer noch nicht aufgeklärte Aktion dient dem Film allerdings nur als Anlass und Angelpunkt für eine ausgedehnte Rachegeschichte, eine Handlung mit wenig Inhalt, aber viel Blut und Action.

Geheimagent Polat Alemdar reist mit zwei Mitstreitern nach Israel, um den Verantwortlichen für den Angriff auf die "Mavi Marmara" zu töten, den israelischen Offizier Moshe Ben Eliezer.

Der ist ein finsterer Bösewicht, der Palästinenser mit zynischem Lächeln massenhaft foltern und ermorden lässt. Dessen nicht genug, träumt der Bösewicht Moshe mit anderen einflussreichen israelischen Mächtigen von der Errichtung eines Groß-Israels und setzt brutale Waffen ein, die durch internationale Konventionen verboten sind.

Böse Juden - friedliche Muslime

Um Moshe zu finden, erschießt das Trio von Geheimagent Alemdar reihenweise Israelis ohne mit der Wimper zu zucken, ballert und bombt sich den Weg frei.

Zwar wird Alemdar in einigen Filmkritiken als türkischer James-Bond-Verschnitt bezeichnet, doch sein Auftreten lässt selbst Rambo noch intellektuell wirken. Polat Alemdar ist durch nichts aufzuhalten.

​​Um sein Ziel zu erreichen, muss der Superheld aber keine große List anwenden. Immer findet er Waffen, die stärker sind als die Israelis, lässt Hubschrauber und Flugzeuge explodieren. Die viel kritisierte Mauer, die Israel errichtet hat, um sich von den Palästinensern abzuschotten, zerschießt der Geheimagent mit einem hurtig entwendeten Panzer, um die Grenze zu überwinden.

Reich an Dialogen ist dieser Film nicht, markige Sprüche und absurde Verkündigungen haben aber trotzdem Platz: Die getöteten Palästinenser werden als Märtyrer verherrlicht, der Islam mit sanfter Stimme als "Religion des Friedens" bezeichnet, bevor kurz darauf wieder viele Menschen sterben müssen. Und das mit Recht, wie Polat Alemdar klar macht: denn wie der Agent theatralisch betont: "Für einen Unschuldigen opfern wir die ganze Welt!"

Angesichts der reichlich platten Handlung und massenhaft billiger Klischees möchte man sich mit der Tatsache beruhigen, dass es sich ja nur um Schauspiel und Leinwandspektakel handelt. Doch der Polat-Darsteller Necati Şaşmaz ist von seiner Sache überzeugt.

Unkritisches Publikum

Im ZDF-Interview verkündete er: "Wir machen denen Angst, die schuldig sind." Und auch Drehbuchautor Bahadir Özdener hat eine Mission: "Die Menschen sollen nach diesem Film sagen, ich kenne das Schicksal der Palästinenser."

Bei vielen Zuschauern ist diese Botschaft erschreckenderweise auch angekommen. Bei einer Umfrage nach einer Vorstellung in einem Kölner Kino war die Mehrzahl der Besucher davon überzeugt, der Film zeige die Wahrheit. Die Israelis seien die wahren Terroristen. Einige fanden die Gewaltszenen zwar übertrieben, im Kern aber stimme die Darstellung.

Jüdische Verbände in Deutschland und Österreich haben gegen die Ausstrahlung des Films heftig protestiert. Nach Ansicht des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, fördert der Streifen eine antisemitische Atmosphäre: "Das Tal der Wölfe ist ein Film, der Hetze und Hass transportiert. Hier wird der Filmsaal quasi zum Ort von Hasspredigten."

Außerdem bedauerte Graumann in der vergangenen Woche das Fehlen kritischer Stimmen muslimischer Gemeinschaften: "Bis jetzt sind sie sehr still". Und sie sind es immer noch. Eine Anfrage an mehrere muslimische Verbände und Kulturvereinigungen nach einem Statement zum "Tal der Wölfe-Palästina" blieb bisher unbeantwortet.

Günther Birkenstock

© Deutsche Welle 2011

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de

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