Die Revanche der Funktionäre

Nach der "Kermani-Affäre", die in Wahrheit eine Affäre um Roland Koch und Kardinal Lehmann ist, erklären viele den interreligiösen Dialog für gescheitert und beendet. Das darf nicht wahr sein, schreibt Claus Leggewie in seinem Essay.

Der Schriftsteller und Orientalist Navid Kermani; Foto: dpa
"Revanche der Funktionäre am Intellekt": Dem Schriftsteller und Orientalisten Navid Kermani wurde wegen seiner offenen Kritik an der christliche Kreuzestheologie der Hessische Kulturpreis aberkannt.

​​ Man möge den Unterschied bedenken zwischen Intellektuellen und Funktionären – die zunächst zu loben sind: Ohne die Organisationsvirtuosen in Verwaltung, Vereinen und Interessengruppen, selbstverständlich auch in Kirchen, wären arbeitsteilige Gesellschaften verloren. Und wenn Intellektuelle dort allein das Sagen hätten…

Zum Problem werden Funktionäre aber, wo sie sich als Geschäftsführer des Geistes aufspielen und Organisationsmacht in Kontrolle und Zensur ausartet. Und wenn sie den kulturellen religiösen Dialog einzäunen, der frei und rücksichtslos sein und an die Grenzen gehen muss (womit natürlich nicht respektlos und unhöflich gemeint ist).

Die respektlose und unhöfliche Ausladung Navid Kermanis war die Revanche der Funktionäre am Intellekt, das Veto der bürokratischen Verwaltung eines christlichen Erbes auf einem religiösen Ideenmarkt, der mit der Ankunft "fremder Religionen" gottlob offener, unübersichtlicher und vielfältiger geworden ist.

Die Machthaberei des Kirchenfunktionärs

Lehmanns Intrige signalisiert, wo der vermachtete interreligiöse Dialog aufhören soll, wo die Bonhomie eines liberalen Kardinals in die Machthaberei des Kirchenfunktionärs umschlägt, und sie belegt, was Kermani und andere am institutionalisierten "Trialog der Kinder Abrahams" zu Recht kritisiert haben: Dass er mehr verschweigt als zur Debatte stellt.

Der Funktionärsdialog, zu dem sich vorwiegend Kirchen- und Vereinsvertreter auf halbstaatlichen Veranstaltungen einfinden, wird abgesagt, sobald der Austausch verspricht, spannend und riskant zu werden.

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann; Foto: DW
Zweifelhaftes Dialogangebot: Zusammen mit Kirchenpräsident i.R. Steinacker, der Kermanis Äußerungen ebenfalls kritisierte, hat Kardinal Lehmann einen Aufschub der Preisverleihung bis zum Herbst und ein persönliches Gespräch mit Kermani vorgeschlagen.

​​ Kermanis inkriminierte Kreuzesbetrachtung hat diese Kriterien mustergültig erfüllt. Man las den Artikel mit angehaltenem Atem, bei zweitem Lesen erschloss sich seine ganze intellektuelle Wucht, danach verteilte man ihn an Studierende der Theologie und aller anderen Fakultäten.

Und das nicht, weil Kermani die Facultas einer katholischen Universität besitzt oder er "Orientalist" oder "Islam-Experte" ist, sondern weil er sich gottesgläubig und intellektuell in einer Weise mit Religion befasst, die man hier zu Lande selten findet.

Der Kardinal rechtfertigte seine Absage im Blick auf mutmaßliche Reaktionen seines Sprengels, der zahlenden Kirchenmitglieder, nicht vor der Urteilskraft des ungebundenen und selbstdenkenden Publikums.

Auch wenn die Sache dem Bischofskollegium und der Staatskanzlei mittlerweile peinlich ist, vom Bußritual der "öffentlichen Aussprache" nehmen sie keineswegs Abstand - Kermani, nicht Lehmann soll sich erklären.

Der Moslem am Katzentisch

So bleibt der Moslem am Katzentisch. Er darf als Quotenmann auftreten, aber wenn es um Hölderlin geht oder Christus, dann reden wir Kirchendeutschen und Kulturnationalen unter uns. Das Kultur- und Kirchenestablishment mag keine Außenseiter und Neulinge.

Das gilt auch für das Triumvirat der islamischen Dachverbände, die sich bestens germanisiert haben: Intellektuelle sind ihnen suspekt, ihr Tonfall ist überwiegend Larmoyanz.

Die Verkirchlichung und Verstaatlichung des Islam hat somit Fortschritte gemacht, und sie bezieht ironischerweise selbst die Kritiker des politischen Islam ein, wenn sie behaupten: "Der Islam ist nicht integrierbar!" Eben diese Anmaßung, zu wissen, was die "wahre Religion" ist, kennt man von Fundamentalisten aller Couleur.

Der interreligiöse Dialog ist nur von Kardinal Lehmann, Kirchenpräsident i.R. Steinacker und Ministerpräsident Koch dispensiert worden. Wir können ihn erleichtert weiterführen, wo immer er inoffiziell und spannend ist, wo religiös getönte (oder instrumentalisierte) Konflikte zu bearbeiten sind, wo es um Transzendenz und Wahrheit, um Gott und die Welt geht.

Dieser Dialog bezieht Agnostiker und Häretiker selbstverständlich ein. Befreit können wir aus dem offiziösen Prolog über Organisationsfragen übertreten in den wirklichen Dialog über letzte Fragen von Leben & Tod und uns, als Gottes Geschöpfe oder nicht, den Überlebensproblemen unserer Zivilisation zuwenden.

Claus Leggewie

© Qantara.de 2009

Claus Leggewie ist Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts in Essen und Ko-Autor des Buchs "Moscheen in Deutschland" (bei C.H. Beck 2009).

Qantara.de

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