Armselige Berichterstattung

In vielen arabischen Ländern ist das Interesse für den Gastauftritt der arabischen Welt auf der Frankfurter Buchmesse gering. So auch in Ägypten. Jürgen Stryjak mit einem Stimmungsbild.

Wer dieser Tage, im Vorfeld der diesjährigen Frankfurter Buchmesse, den Versuch unternimmt, mit Ägyptern über die Messe, also vor allem über den Gastauftritt Arabische Welt zu sprechen, stößt auf eine Reihe ganz verschiedenartiger Probleme.

Das größte dieser Probleme ist gleichzeitig auch das am wenigsten literarische: Die Messe interessiert die meisten Ägypter nicht, weil sie nur selten lesen – vom Koran und den gelegentlichen Tageszeitungen und bunten Magazinen einmal abgesehen.

Literatur ist ein Luxus, den sich viele nicht leisten können, und einem Leseenthusiasmus, der in der Lage wäre, finanzielle Hürden zu überwinden, wird mit anderen Plagen der Garaus gemacht: mit dem armseligen Buchvertriebssystem, der kleinen Anzahl halbwegs gut sortierter Buchläden, dem mechanischen Literaturunterricht an den Schulen, mit der Allmacht des Satellitenfernsehens. Von der hohen Analphabetenrate – zwischen 30 und 40 Prozent aller Ägypter können erst gar nicht lesen – ganz zu schweigen.

Skepsis gegenüber offiziellen Institutionen

Trotzdem haben viele Ägypter durchaus eine Meinung zur kommenden Frankfurter Buchmesse, denn sie ist ein Politikum, weil es um das Ansehen der arabischen Welt und des Islam geht. Wie in vielen eher geschlossenen Gesellschaften herrscht Skepsis und ein gründliches Misstrauen gegenüber offiziellen Institutionen vor, auch jenen Institutionen gegenüber, die den arabischen Gastauftritt organisieren.

Verschwörungstheorien machen die Runde. Gepaart ist das Ganze mit dem Wunsch nach einem Auftritt – vor den Augen der Weltöffentlichkeit –, auf den man ausnahmsweise mal Stolz sein kann und der die Araber in einem positiven Licht präsentiert und Anerkennung hervorruft.

Der Buchhalter Karim al-Azzab, 41, befürchtet, dass die arabische Welt auch auf der Buchmesse dem Westen nicht gewachsen ist. "Sie werden uns alle unsere Schanden vorhalten, Zensur, mangelnde Demokratie, Fanatismus, Rückständigkeit, die Situation der Frauen in der arabischen Welt. Am Ende werden wir uns schämen." Er glaubt, dass der Westen wieder einmal nur die Definitionsmacht an sich reißen und wie ein Oberlehrer Noten verteilen will.

Gelegenheit, das Bild über Nahen Osten zu korrigieren

Muhammad Samir hat, wie viele Ägypter, im Vorfeld kaum etwas von der Buchmesse erfahren. "Die Berichterstattung in unseren Medien war armselig", sagt der 28jährige Telekommunikationsingenieur, "und hat wenig dazu beigetragen, Interesse bei den Leuten zu erzeugen."

In den Zeitungen, die er liest, auf den Webseiten, die er online besucht, spielte die Buchmesse bislang keine Rolle. Trotzdem hält er sie für eine großartige Gelegenheit, das falsche Bild über den Nahen Osten und seine Religionen in der westlichen Öffentlichkeit zu korrigieren. "Meine Erfahrung aber sagt mir: Wir werden damit höchstwahrscheinlich scheitern."

Die Feministin Hala Abdel Qader hofft, dass es gelingt, die ganz spezielle Identität der arabischen Welt zu präsentieren. "Die arabischen Frauen werden im Westen oft in ungünstigem Licht dargestellt", sagt die junge Anwältin. "Das ist weit verbreitet in westlichen Büchern, und ich wünschte, es gelänge, das zu richtig zu stellen – ohne unangenehme Wahrheiten zu verschweigen."

Ihre ganze Skepsis gilt den Organisatoren auf arabischer Seite. "Sobald eine offizielle Institution an einer Veranstaltung beteiligt ist, bleibt der Erfolg automatisch aus." Man hätte unabhängige Organisationen, Intellektuelle usw. in breitem Maßstab mit einbeziehen sollen.

Die Frankfurter Buchmesse besäße ein großes Vertrauen, und Hala Abdel Qader wünscht, dass sich die arabische Welt etwas von deren positiver Neutralität zueigen machen würde.

"Dialog soll zwischen Menschen stattfinden"

Auch Magdi Hussein, der Generalsekretär der islamistischen Hizb al-'Amal (Partei der Arbeit) kritisiert, dass regierungsoffizielle Organisationen die Vorbereitungen dominierten. "Die Arabische Liga ist der denkbar unpassendste Botschafter für die arabischen Völker. Nicht ein einziges Projekt, das unter ihrer Schirmherrschaft stand, war bislang erfolgreich."

Wenn die Deutschen aber lieber einen Dialog auf regierungsamtlicher Ebene wollten, dann solle es so sein. "Ich hatte auf einen Dialog der Völker gehofft. Er sollte zwischen den Menschen stattfinden und nicht zwischen den Regierenden."

Mit Blick auf die islamistische Konferenz, die Anfang Oktober in Berlin stattfinden sollte, aber verboten worden war, sagt Magdi Hussein: "Was können wir schon von Deutschland erwarten, wenn eine Konferenz, die den Widerstand im Irak und in den besetzten Palästinensergebieten unterstützen will, verboten wird? Muss ich meine Ideologie wechseln, um gehört zu werden?"

Ein arabischer Besucher einer Pressekonferenz im Goethe-Institut appellierte kürzlich eindringlich an die deutschen Buchmesseveranstalter, die arabische Welt doch endlich einmal "korrekt" zu präsentieren.

Die Reaktion der stellvertretenden deutschen Botschafterin Brita Wagener war entwaffnend simpel wie logisch. Mit dem Hinweis auf die Neutralität der Veranstalter sagte sie: "Wir Deutschen sind nicht der richtige Adressat dafür. Die Buchmesse gibt Ihnen, also der arabischen Welt, die Gelegenheit, sich so darzustellen wie Sie sich sehen. Wir können nicht für Sie sprechen!". Man darf auf den arabischen Gastauftritt also gespannt sein.

Jürgen Stryjak

© Qantara.de 2004