Patchwork-Identitäten

Sprachlich souverän und ohne Larmoyanz erzählt die zweite Generation iranischer Schriftstellerinnen in Deutschland von ihrem Umgang mit persischer und deutscher Lebensart sowie von den exemplarischen Schicksalsschlägen ihrer Eltern. Von Fahimeh Farsaie

Von Fahimeh Farsaie

Drei aktuell in Deutschland veröffentlichte Romane persischsprachiger Autorinnen wurden von Frauen verfasst: von Mehrnousch Zaeri-Esfahani, Nava Ebrahimi und Shida Bazyar. Sie gehören der zweiten Generation iranischer Autorinnen an, deren Eltern nach der Islamischen Revolution von 1979 aus ihrem Land flüchteten und die ihre Bleibe mehr oder weniger zufällig in der Bundesrepublik Deutschland fanden.

Mit Ausnahme der 1988 in Hermeskeil geborenen Shida Bazyar sind die jungen Erzählerinnen in den 1980er Jahren als minderjährige Kinder ihrer politisch verfolgten Eltern nach Deutschland gekommen. Zunächst sprachlicher Isolation, seelischer Verbannung und kultureller Verwirrung ausgesetzt, griffen sie als Erwachsene zur Feder, um die Geschichten ihrer hybriden Identitäten niederzuschreiben. Ihre Werke mit den Titeln „33 Bogen und ein Teehaus“ (Zaeri-Esfahani), „Sechzehn Wörter“ (Ebrahimi) und "Nachts ist es leise in Teheran" (Bazyar) deuten unmissverständlich die Quelle ihrer Kreativität an, die auch mit der jüngsten Geschichte des Iran zusammenhängt.

Das Abenteuer Flucht und ihre nicht willkommene Ankunft in Deutschland bearbeiten die Autorinnen literarisch in der Sprache, mit der sie einst als Kinder aus ihren Albträumen erwachten und in der sie mittlerweile von einem bunten Leben träumen - Deutsch.

Existenzielle Themen

Die Themen, die diese jungen Erzählerinnen behandeln, haben im Genre Migrationsliteratur eine lange Tradition. Sie unterscheiden sich nicht radikal von den Themen, mit denen sich auch die erste Generation auseinandersetzte. Ihre Werke bauten die literarischen Pionierinnen ebenso auf dem Erbe der zerfallenden Utopien einer Generation auf, die mit eisernem Willen Widerstand gegen das Schah- und das Mullah-Regime leistete, niedergeschlagen ins Exil ging und eine neue Existenz in der Fremde aufbauen musste.

Die iranische Autorin Mehrnousch Zaeri-Esfahani; Foto: imago
Couragiert und sozial engagiert: Mehrnousch Zaeri-Esfahani, geboren 1974 in Isfahan/Iran, floh 1985 mit ihrer Familie nach Deutschland. Sie wuchs in Heidelberg auf, studierte Sozialpädagogik in Freiburg und ist seit 1999 in der Flüchtlingsarbeit tätig.

Doch anders als in den meisten Narrationen der "alten" Erzähler wird bei den jungen Nachfolgerinnen ein relativ positives Bild der Flucht als Selbstbefreiung entworfen und vorgestellt. Mit der Abgeklärtheit ihrer Generation nehmen sie den akademisch-antithetischen Zuschreibungen von Heimat und Fremde, Ort und Ortlosigkeit sowie Herkunft und Identität ihre Schärfe und werben für Toleranz auf beiden Seiten – und zwar nach den Regeln der literarischen Ästhetik.

So stehen im Mittelpunkt ihrer Geschichten Menschen, die der Last falscher Bewertungen überdrüssig sind und versuchen, sich davon zu befreien, gleich ob sie Mehrnoush heißen wie die Protagonistin von Zaeri-Esfahani oder Mona wie die Hauptfigur in Ebrahimis Roman, oder Nahid, Laleh und Morad, die die Geschichte der Autorin Bazyar erzählen.

Ihr jeweils einzigartiger Blickwinkel lässt den Leser neue Dimensionen entdecken; sie betrachten die Welten beider Kulturen mit dem Blick eines Fremden und stellen ihre eigene Patchwork-Identität, die aus bunten Assoziationen unterschiedlichster Ausprägung geflochten ist, bildhaft dar.

Zugleich kritisieren sie die "störenden" Elemente in beiden Ordnungen, wenn diese aus ihrer humanen Sicht mit dem freien Denken nicht zu vereinbaren sind, und loten den Spielraum zwischen Politik, Ausgrenzung und dichterischer Freiheit in zwei Kulturwelten aus.

Im Gegensatz zu den Lesarten der deutschen Feuilletons geht es in diesen Werken nicht immer um die Gegenüberstellung von Modernität und Tradition, sondern häufig um die Aufzeichnung eines Ortes, an dem die Divergenzen sich treffen und in einer unsagbaren Weise wunderbar miteinander auskommen.

Die iranische Autorin Shida Bazyar; Foto: Joachim Gern
Preisgekrönt: Shida Bazyar erhielt für ihren Roman "Nachts ist es leise in Teheran" den Uwe-Johnson-Förderpreis 2017. In ihrem Buch verarbeitet sie Schicksale von Familienmitgliedern: So flohen ihre Eltern 1987 vor der Islamischen Revolution aus dem Iran. Sie selbst wurde 1988 in Rheinland-Pfalz geboren.

Quellen der Kreativität

So schildert etwa Mehrnousch Zaeri-Esfahani in ihrem autobiografischen Roman die Geschichte eines Mädchens, das am Fluss Zaiandeh Roud in ihrer Heimatstadt Isfahan geboren und aufgewachsen ist. Nach dem Machtantritt Ayatollah Khomeinis flüchtet die junge Protagonistin mit ihren Eltern in die Türkei, geht zunächst nach Istanbul am Bosporus, um von dort aus über etliche deutsche Flüsse wie Spree, Havel und Neckar in Heidelberg zu landen. Die kleine Studentenstadt, in der sie ein neues Leben beginnt, verwandelt sich allmählich in einen Ort, an dem sie auf die Suche nach dem vertrauten Platz ihrer Kindheit in Isfahan geht.

Der Roman "Sechzehn Wörter" reflektiert ebenfalls eine biografische Erzählung. Denn auch die  Eltern der 38-jährigen Autorin Ebrahimi flohen einst vor der Islamischen Revolution aus dem Iran. Mona, die Protagonistin des Romans, ist zwar in Teheran geboren, lebt aber seit ihrer frühen Kindheit in Köln und wächst zweisprachig auf.

Die Heimat ihrer Eltern kennt sie von Reisen, die sie jährlich in den Iran unternimmt, um ihre Verwandten zu besuchen. Als Mona ihr Studium absolviert hat und als Journalistin zu einer längeren Recherche nach Teheran geht, fängt sie eine Affäre mit einem verheirateten Mann an, von der ihr deutscher Liebhaber in Köln nichts ahnt: "Wenn ich in Köln-Bonn landete, war alles weg. Als stiege da eine andere Mona aus", erklärt Ebrahimi den Zustand ihrer Ich-Erzählerin nach einem Aufenthalt in Teheran.

Die Helden des Romans "Nachts ist es leise in Teheran" schildern ihre Haltungen und Meinungen zu den deutschen und iranischen Verhältnissen selbst. Es sind der Vater Behzad, die Mutter Nahid, die Tochter Lale und der Sohn Morad, die ihre Geschichten in drei Dekaden von 1979 bis zur Niederlage der "Grünen Bewegung" im Jahr 2009 erzählen. Der Roman wird besonders von der Präsenz ihrer Protagonistinnen und deren charmant-bizarren Lebenswelten geprägt. Die 27-jährige Autorin Bazyar setzt aber gleichzeitig der ganzen Generation, die sich einst gegen die Gräueltaten des Mullah-Regimes wehrte, ein Denkmal.

"Ja, meine Eltern waren im kommunistischen Widerstand in Iran", sagt sie über den historisch-politischen Kontext ihres Buches. "Ich habe viele Informationen von ihnen erhalten, aber die Figuren habe ich frei gestaltet." Gleichzeitig identifiziert sie sich mit Morad, dem Sohn der Familie, als einem Vertreter seiner Generation, der in zwei oder drei Kulturen – iranisch, kurdisch und deutsch – aufgewachsen ist. Dabei betont sie: "Diese hybride Identität ist typisch für meine und Morads Generation."

Fahimeh Farsaie

© Iran Journal 2017

Fahimeh Farsaie, Juristin, Kunst- und Literaturkritikerin, gehört zur ersten Generation iranischer SchriftstellerInnen in Deutschland. Neben Drehbüchern, Theaterstücken und Hörspielen hat sie sechs Romane veröffentlicht: Nassrins ost-westliche Nacht, Eines Dienstag beschloss meine Mutter Deutsche zu werden, Hüte dich vor den Männern mein Sohn, Die Flucht und andere Erzählungen, Vergiftete Zeit und Die gläserne Heimat. Einige Titel sind ins Englische und Spanische übersetzt.