Baustelle der Weltreligionen

Zum dritten Mal lud der Kölner Kabarettist Jürgen Becker in die Duisburger Merkez-Moschee, um sich humorvoll mit dem Thema Religion auseinanderzusetzen. Laura Overmeyer hat die Veranstaltung besucht.

Von Laura Overmeyer

"Jede Jeck es anders": Diesen Grundgedanken der Toleranz haben sich die Rheinländer auf die Fahnen geschrieben; immerhin fand er Einzug in das Rheinische Grundgesetz – wenn auch nur als Zusatzartikel.

Jürgen Becker, das kölsche Urgestein des Kabaretts, verfolgt die Bedeutung dieses Satzes jedoch über die alkoholgeschwängerte Toleranzgrenze der Karnevalswelt hinaus. Was ihn interessiert ist der Dialog der Kulturen, der Dialog der Religionen. Und wie können sich Religionen besser annähern, fragt er, als auf humoristischer Ebene? Denn gemeinsames Lachen verbindet, bricht das Eis und fördert den Dialog.

Das Christentum hat in den letzten Jahren, zumindest hierzulande, einiges an Selbstironie dazugelernt, beispielsweise erfreut sich das "Kirchenkabarett" einer immer größeren Beliebtheit. Das Judentum ist seit jeher bekannt für seinen "jiddischen Humor". Im Islam sieht das Ganze jedoch, zumindest dem Anschein nach, viel ernsthafter aus.

Jürgen Becker vor der Merkez-Moschee in Duisburg-Marxloh; Foto: WDR/Melanie Grande
Humor erwünscht: Der Kabarettist Jürgen Becker möchte mit seinem "Kabarett am Minarett" zum interreligiösen und interkulturellen Dialog beitragen und gängigen Klischees über Migranten entgegenwirken.

​​Unter Muslimen

Doch jeder ist lernfähig, dachte sich wohl Becker, und das sollte man auch demonstrieren: Warum eigentlich nicht mal einen Kabarett-Abend in einer Moschee veranstalten? Die Idee zum "Kabarett am Minarett" war geboren.

So lud denn die Duisburger Merkez-Moschee am vergangenen Dienstag schon zum dritten Mal ein zu einem Abend, "der Ihnen die Schuhe ausziehen wird", wie Becker trefflich ankündigte.

Natürlich fand die Veranstaltung, die für den WDR aufgezeichnet und am 1. Dezember ausgestrahlt werden soll, nicht im Gebetsraum selbst, sondern ein Stockwerk tiefer, in der Begegnungsstätte statt. Für die meisten der – größtenteils deutschen – Besucher war es wohl dennoch der erste Moschee-Besuch.

Vier Bühnenkünstler mit türkischem Hintergrund traten auf – allseits bereit, die typischen Ausländerklischees durch den Kakao ziehen. Tiefsinnige religiöse oder kulturelle Erkenntnisse konnte man hier nicht erwarten, kurzweilige Unterhaltung schon.

Dialog der Religionen mal anders

Dass anspruchsvolle Unterhaltung, Dialog und Humor sich jedoch gut miteinander vereinbaren lassen, zeigte sich, als Jürgen Becker drei Vertreter der so genannten Buchreligionen (Islam, Judentum und Christentum) zum Gespräch auf die Bühne bat. Zehra Yilmaz, Leiterin der Begegnungsstätte der Merkez-Moschee, Adriana Altaras, Schauspielerin und Regisseurin, und Manfred Lütz, katholischer Theologe und leitender Arzt des Alexianer-Krankenhauses in Köln.

Angeregt diskutiert wurden Unterschiede und Gemeinsamkeiten, Grundsätze und Meinungen, Konflikte und Anknüpfungspunkte – und das sowohl aus der Perspektive der "Religionsanhänger", als auch aus der der kritischen Beobachter. Das ganze wurde durchmischt mit Frotzeleien und witzigen Kommentaren, vor allem von Seiten des auf religiös "neutralem Boden" sitzenden Moderators.

Gesellschaftliche Debatten und Kontroversen wurden angeschnitten, wie beispielsweise Religionskriege ("Wenn Religionen doch gemeinsame Wurzeln haben, warum kloppen die sich dann immer?") oder die allgemeine religiöse Prüderie ("Lust bedeutet einen Kontrollverlust – wie auch Lachen und somit Humor eine Art Kontrollverlust bedeuten.").

V.l.n.r.: Jürgen Becker, Adriana Altaras, Manfred Lütz, Zeha Yilmaz; Foto: WDR/Melanie Grande
Lachen verbindet: Zeha Yilmaz (r.) gibt zu, dass in Sachen Selbstreflexion und Humor im Islam noch Arbeitsbedarf besteht, während Adriana Altaras glaubt, der jiddische Humor habe sich als Reaktion auf die strengen Regeln des Judentums entwickelt.

​​Auch neue Entwicklungen innerhalb des Glaubens, von Manfred Lütz als "Ersatzreligion" bezeichnet, kamen zur Sprache. Könne man beispielsweise einen begeisterten Fan des 1. FC Köln als Anhänger eines Glaubens bezeichnen?"Immerhin singt und weint und betet der mindestens genauso viel wie manch einer im Gottesdienst", meinte Becker. Die drei Religionsvertreter akzeptierten die Existenz solch alternativer Huldigungen, waren jedoch mit Lütz einer Meinung: "Ich glaube an einen einzigen Gott – alles andere könnt ihr vergessen."

Auch das vielseits diskutierte Streitthema Beschneidung wurde nicht ausgespart. Altaras, die jüdische Vertreterin, räumte ein, dass im Zuge der Beschneidungsdebatte eine Diskussion innerhalb der Religion zu diesem Punkt durchaus angebracht sei, jedoch sei es auch wichtig, dass solche Impulse nicht von außen aufgezwungen, sondern aus dem Inneren kämen.

Abschauen erwünscht

Altaras brachte schließlich die Debatte auf den Punkt: "Alle unsere Religionen sind renovierungsbedürftig." Arbeitsbedarf in vielen Bereichen, im Besonderen in Bezug auf Selbstreflexion und Humor. "Eigentlich sollte jede Religion ein bisschen mehr Humor vertragen. Die sind so alt, die halten das aus", meinte Altaras. Schließlich hätten Humor und Religion eine große Gemeinsamkeit, meinte Lütz: "Bei beiden betrachtet man eine Situation von außen", oder wie Becker es ausdrücken würde: Man betrachtet die Dinge anders, als es die vordergründige Vernunft nahe legt.

Eine weitere Erkenntnis des Abends: Jede der Religionen könne sich ruhig etwas von der anderen abschauen. So gab Lütz zu, er bewundere die Diskussionskultur des Judentums ("Zwei Juden, drei Meinungen") und die Disziplin des Islam, welche das regelmäßige Beten zeige. Und Yilmaz meinte, ein bisschen mehr vom Bild des barmherzigen und liebenden Gottes könne der Islam durchaus vertragen, denn dort gehe man vor allem von einem strafenden Gott aus.

Im Grunde, so schloss Yilmaz, sollte jeder Mensch selbst entscheiden, welches der richtige Weg für ihn ist, ob mit oder ohne Religion. Denn jeder Mensch hat etwas Göttliches und verdiene deshalb Respekt, so die Muslima. Jürgen Becker drückte dieses Plädoyer für Glaubensvielfalt wiederum in seinen eigenen kölschen Worten aus: "Jede Jeck es anders."

Laura Overmeyer

© Qantara.de 2012

Der WDR zeigt "Kabarett am Minarett" in der Reihe "Baustelle Deutschland" am Samstag, den 1. Dezember 2012 ab 21:45 Uhr