Jemenitische Künstlerinnen in Zeiten des Krieges

Jemenitische Frauen spielen eine zentrale Rolle in der Kunstszene des Landes. Als Malerinnen, Regisseurinnen, Musikerinnen und Autorinnen verarbeiten sie Erfahrungen von Gewalt und Krieg in ihrer Heimat. Afrah Nasser hat die Künstlerinnen getroffen.

Von Afrah Nasser

Es scheint zunächst unangebracht, ausgerechnet über die jemenitische Kunstszene zu schreiben, während der Jemen Schauplatz einer humanitären Katastrophe ist. Nach vier Jahren Krieg ist das Leben von rund 22 Millionen Menschen – Männern, Frauen und Kindern –  bedroht. Medienberichte über die Geschehnisse im Jemen sind spärlich. Wenn es sie gibt, dann beschreiben sie hauptsächlich die menschlichen Tragödien, die durch Krieg, Hungersnot und Krankheiten ausgelöst wurden.

Kunst scheint da nur ein beiläufiger Nebenaspekt zu sein. Aber wenn jemenitische Künstlerinnen den Schmerz ihrer Gesellschaft zum Ausdruck bringen und damit die Menschlichkeit verteidigen, dann ist es wichtig, darüber zu berichten.

Entgegen der gängigen Annahme, dass Frauen in der Kunstwelt eine Minderheit darstellen und ihre Werke marginalisiert werden, ist die Situation im Jemen eine ganz andere. Meine zehnjährige Erfahrung in der Berichterstattung aus dem Jemen zeigt, dass die jemenitische Kunstbewegung von Frauen und Männern gemeinsam getragen wird. Beide erleben  Ausgrenzung und Nichtbeachtung vonseiten der Medien. Ihre Werke und Talente werden nicht ausreichend gewürdigt.

Kunst als Psychotherapie

Sara Ishaq (geb. 1984) ist eine der bedeutendsten jemenitischen Künstlerinnen der jungen Generation. Sie hat ihre Stimme zu Beginn der jemenitischen Revolution im Jahr 2011 gefunden. Die Tochter eines jemenitischen Vaters und einer schottischen Mutter hat mit ihrem ersten jemenitischen Film „Karama Has No Walls“ (Würde hat keine Grenzen, 2012) von den Ereignissen eines blutigen Tages zu Beginn der Revolution erzählt. Der Film wurde für den Oscar für dokumentarische Kurzfilme nominiert.

Die ägyptische Sängerin Maryam Saleh beim Launch von Jeem in Kairo | Foto: Roger Anis
Die ägyptische Sängerin Maryam Saleh beim Launch von Jeem in Kairo: „Jeem“ ist ein digitales Angebot für arabischsprachige Leute aus der Region und der ganzen Welt, die Informationen zu Liebe, Sexualität und Gesellschaft suchen.

Nach einem zehnjährigen Aufenthalt in Schottland ist Ishaq in den Jemen zurückgekehrt und dokumentiert seither alltägliche Details der politischen und sozialen Realität ihres Heimatlandes. Ihre Kurzfilme über eine Demonstrantin auf dem Taghyeer-Platz in der Hauptstadt Sanaa und ihr Film „Die Hängengebliebenen“ über Jemeniten, die in Ägypten festsitzen, belegen die gesellschaftspolitische Relevanz der Dokumentationen.

In einem Gespräch in Sanaa erklärt sie, Filmemachen spiele für die jemenitische Jugend eine wichtige Rolle, egal ob Krieg sei oder Frieden. Filmemachen sei ein Mittel, um junge Menschen zu stärken, aber auch eine bereichernde Quelle für Diskussionen und Meinungsbildung. „Generell wirkt Kunstschaffen in Zeiten des Krieges wie Psychotherapie“, sagt sie. „Das gilt für die Macher der Filme ebenso wie für die Zuschauer.“ Filme würden dazu beitragen, sich abseits von Klischees und Konventionen zu artikulieren und Meinungen differenzierter zum Ausdruck zu bringen.Gewalt gegen Frauen in der Kunst

Ähnlich sieht es Haya Al-Hammoumi. Die 23-Jährige erzählt in einem Gespräch in Sanaa vom Malen als einer Methode, mit der Realität umzugehen und sozialen Druck auszuhalten. „Ich male“, sagt sie, „weil ich mich so selbst ausdrücken und mein Umfeld beschreiben kann. Andere schreiben ein Buch oder drehen einen Film. Meine Ausdrucksweise ist das Malen.“

Methal und die X Ambassadors | Foto: Spotify
Methal und die "X Ambassadors" veröffentlichten im vergangenen Jahr im Rahmen der "I Am with the Banned"-Kampagne einen Song namens "Cycles", in Solidarität mit den Ländern, deren Bürgern durch die Verfügung von Präsident Donald Trump die Einreise in die Vereinigten Staaten verboten wurde.


Haya begann ihre Bilder öffentlich auszustellen, als der Bürgerkrieg im Jemen 2014 ausbrach. Huthi-Rebellen drangen damals in die Hauptstadt ein und brachten die staatlichen Institutionen unter ihre Kontrolle. Seitdem malt Haya, um ihre Gefühle auszudrücken. Die Bilder „Das Opfer“ oder „Wutschrei“ entstanden zu einer Zeit, als die jemenitische Gesellschaft sich als Opfer eines erbitterten Krieges erlebte und dem Aggressor am liebsten vor Wut ins Gesicht schreien wollte. Ihre Bilder handeln von Gewalt gegen Frauen und fassen so die Erfahrungen vieler Jemenitinnen zusammen.

Über das Meer nach Dschibuti

Methal ist eine jemenitische Sängerin und Gitarristin, die große Anerkennung und breite Unterstützung genießt. Sie wurde bekannt, als sie letztes Jahr mit der US-amerikanischen Alternativ-Rock-Band X Ambassadors das Lied „Cycles“ veröffentlichte. Das Lied war Teil einer Kampagne mit dem Namen „I am with the banned“ („Ich bin mit den Unerwünschten“).

Die Kampagne erklärte sich mit Menschen aus arabischen Ländern solidarisch, denen die USA auf Beschluss von Präsident Donald Trump die Einreise verweigern. Seit der Revolution von 2011 komponiert, singt und publiziert Methal ihre vor allem in englischer Sprache verfassten Lieder.

Im Interview erläutert Methal, mit wie vielen Vorurteilen sie anfangs zu kämpfen hatte. „Ich bekam viele Hassbriefe wegen meiner Auftritte auf öffentlichen Plätzen. Die Belästigungen nahmen immer mehr zu, so dass ich das Singen 2014 aufgeben musste“, berichtet sie.

Nachdem der Bürgerkrieg ausgebrochen war, fuhr sie auf einem Flüchtlingsboot nach Dschibuti. Dort trat sie eine Weile in Hotels auf und versuchte, ihre Werke über das Internet zu vermarkten. Sie erhielt Einladungen, sich an Veranstaltungen in Deutschland und Kanada zu beteiligen und den Jemen zu repräsentieren. Anschließend blieb sie in Kanada.

Lebendige Geschichten

Rim Megahed ist eine begnadete Geschichtenerzählerin. Ihre Worte entführen die Zuhörer in den Jemen. Seit Kriegsbeginn beschreibt die Soziologin und Schriftstellerin von ihrem neuen Wohnsitz in Prag aus ihr Heimweh in Geschichten, die erstaunlich realitätsnah sind. Im Interview gesteht Rim, dass sie durch diese Geschichten zuallererst mit dem kleinen Mädchen in Kontakt treten will, das in einem der Dörfer um die Stadt Taiz aufgewachsen ist und das sie selbst einmal war.

In der Zeitung Safir hat Rim sechs Geschichten hintereinander veröffentlicht. Ihre Titel lauten „Bluse“, „Hochzeit“, „Flucht“, „Diebstahl“, „Verschiebung“ und „Weg“. Die Redaktion der Zeitung erkannte ihr Talent sofort und brachte die Geschichten jeweils auf einer ganzen Seite. „Die junge Rim Megahed hat uns überrascht“, hieß es in der Redaktion der Zeitung. Jede ihrer Geschichten sei ein Gemälde und erzähle von einem anderen Aspekt jemenitischen Lebens. „Wir haben in ihr eine außerordentliche Geschichtenerzählerin entdeckt.“

Die vier Künstlerinnen stellen nur ausgewählte Beispiele aus einer ganzen Generation von Jemenitinnen dar, die Krieg und Vertreibung kreativ verarbeitet haben. Bewaffnet mit ihrer Fantasie und Leidenschaft haben sie sich dem Filmemachen, Malen, Musizieren oder dem Erzählen von Geschichten verschrieben. Über Jemen und den Krieg ist erst wenig berichtet worden. Der Bedarf nach Werken von Künstlerinnen und Künstlern, die die aktuellen Ereignisse beleuchten, ist daher groß.

© 2018 Goethe-Institut

Der Beitrag ist Teil des Projektes „Jeem“, einem digitalen Angebot des Goethe-Instituts in arabischer Sprache. „Jeem“ informiert über die Themen Liebe, Sexualität und Gesellschaft und will einen offenen Diskurs für junge Menschen in der arabischen Welt ermöglichen.

https://jeem.me/