"Unmenschliche Zustände"

Seit Jahren ist Lampedusa Ziel nordafrikanischer Flüchtlinge. Untergebracht werden sie in einem für Journalisten unzugänglichen Auffanglager. Nun konnte sich ein italienischer Reporter dort einschmuggeln. Von Karl Hoffmann

"Mehr als 400 Menschen kauerten auf dem Asphalt. Um sie herum Carabinieri und ein hoher Stacheldrahtzaun. Ich bin in die letzte Reihe gegangen, dort hat man uns gezwungen, uns auf den Boden zu setzen, obwohl da die Jauche aus den verstopften Klos stand. Wir mussten uns da reinsetzen, und wer sich weigerte, der bekam Ohrfeigen. Das war vielleicht nicht so schlimm gemeint. Aber die Erniedrigung war deutlich zu spüren. Und viele flüsterten sich ihre Wut über die Carabinieri zu."

So berichtete der italienische Journalist Fabrizio Gatti, der sich - als kurdischer Immigrant getarnt - eine Woche lang im Aufnahmelager für Flüchtlinge auf Lampedusa einsperren ließ. Eigentlich gibt es im Lager nur Platz für 190 Flüchtlinge, doch es herrscht eine chronische Überbelegung.

Die Haltung der italienischen Regierung

Gattis Augenzeugen-Bericht schlug ein wie eine Bombe. Der italienische Innenminister Renato Pisanu ordnete eine Untersuchung an, auch wenn er selbst von den Vorwürfen gegen das Aufnahmelager kein Wort glaubt:

"Ich habe noch niemals davon gehört, dass in Lampedusa Menschen schlecht behandelt oder gar gequält werden. Im Gegenteil: Ich möchte gerne wissen, welches europäische Land humanere und besser geführte Aufnahmelager hat als Italien."

Doch über das Lager in Lampedusa wird schon seit längerem geklagt. Zunächst einmal bei den Einheimischen. Giusy Nicolini lebt auf Lampedusa und kämpft als eine der Wenigen für die Rechte der Immigranten.

Menschenunwürdige Zustände

Die hygienischen Zustände im Lager seien grauenvoll, erzählt sie. Im Sommer sei es so überfüllt gewesen, dass auf ein Klo 117 Leute kamen. "Da kann man sich vorstellen, wie es da zuging. Da wird das ganze Lager zur Jauchegrube."

Und wenn die Insassen sich gegen diese Zustände wehrten, wurde geprügelt: "Man bekommt das natürlich mit. Die Leute, die in der Nähe vom Lager wohnen, hören sehr genau das Knallen der Schlagstöcke."

Kommen Kontrollen, bessern sich die Zustände schlagartig. So hat es auch der Europa-Abgeordnete Claudio Fava erlebt:

"Ich habe nichts von alledem gesehen. Ich war kürzlich mit einer Delegation des Europa-Parlaments im Lager, und zu diesem Anlass hat die römische Regierung eine unwürdige Farce inszeniert: Das Lager wurde bis auf elf Leute geleert, obwohl es den ganzen Sommer über durchschnittlich 450 Insassen zählte. Alles war blitzblank, wie ein Ballsaal sah das Lager aus."

Immigranten im Luxushotel

Die fremdenfeindliche Partei Lega Nord sprach sogar von einem "Fünf-Sterne-Hotel" für illegale Einwanderer und fordert strengere Maßnahmen gegen die ungeliebten Immigranten. Der Abgeordnete Matteo Salvini beklagt, dass die Linken in Spanien den Zaun in ihren Exklaven in Nordafrika erhöhten und die linke Regierung in England sogar Flüchtlingslager in Afrika plane. Doch "es ist nicht einzusehen, dass Italien sich als einziges Land da noch freiwillig von den Immigranten erobern lassen soll."

In den letzten Tagen sind wieder hunderte Flüchtlinge auf der südlichsten Insel Europas an Land gegangen. Manche haben es mit letzter Kraft in kleinen Holzbooten geschafft, andere konnten von der italienischen Küstenwacht auf See gerade noch vor dem sicheren Tod gerettet werden.

Niemand aber weiß, wie viele Menschen es diesmal nicht bis auf die Insel geschafft haben und jämmerlich ertrunken sind. Dabei ist das Wetter jetzt noch ruhig im südlichen Mittelmeer. Von Libyen aus versuchen viele noch vor dem Winter nach Europa zu gelangen, denn bald ist es zu spät, die See wird zu gefährlich - und sie müssten weitere Monate in Nordafrika ausharren.

Karl Hoffmann

© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2005

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