Die Ängste der Menschen werden ausgenutzt

In den letzten Monaten gab es in Nordamerika eine alarmierende Anzahl islamfeindlicher Übergriffe. Im Vorfeld der Wahlen in Kanada und in den USA in den kommenden beiden Jahren wirft Richard Marcus einen kritischen Blick auf die Hintergründe dieser Angriffe und die darauf erfolgten Reaktionen.

Von Richard Marcus

In den ersten beiden Februarwochen des Jahres 2015 wurden in den USA und Kanada auffällig viele Anschläge auf Muslime verübt. Der bislang schlimmste ereignete sich in Chapel Hill, North Carolina, wo drei junge Erwachsene (Deah Barakat, Yusor Abu Salha und Razan Abu Salha) von einem Weißen erschossen wurden. Wäre der Anschlag ein Einzelfall gewesen, hätte man ihn wohl als die Tat eines einsamen Verrückten abgetan. Leider gab es aber vor und nach den Morden noch andere Ereignisse, die befürchten lassen, dass sowohl in den USA als auch in Kanada islamfeindliche Tendenzen auf dem Vormarsch sind.

Die Aussagen einzelner Politiker lassen eine zunehmend islamophobe Einstellung deutlich werden. Auch wenn sowohl US-Präsident Obama, als auch sein Vorgänger George W. Bush betonten, ihre Kriege richteten sich nicht gegen den Islam, sondern gegen Fanatismus und Terror, hat dies sowohl Demokraten als auch Republikaner nicht davon abgehalten, die Ängste der Menschen gegenüber dem Islam offen oder zumindest unterschwellig zu schüren.

Im Vorfeld der Wahlen in Kanada und in den USA im Oktober 2015 und im November 2016 beginnt bereits jetzt die Angstrhetorik in der Öffentlichkeit zuzunehmen. Einen Vorgeschmack dessen, womit man wohl noch in Zukunft zu rechnen hat, lieferte vor Kurzem bereits die texanische Abgeordnete Molly White, die auf ihrer Facebook-Seite eine Notiz veröffentlichte, dass muslimische Wähler einen Loyalitätsschwur leisten müssen, um ihr Büro in Austin während eines geplanten Muslim-Tages des texanischen Kapitols betreten zu dürfen.

Eine Gedenkstätte für den Soldaten der im Oktober 2014 von Michael Zehaf-Bibeau in Kanada erschossen wurde; Foto: AP Photo/The Canadian Press, Patrick Doyle
Eine Nation unter Schock: Trauernde gedachten mit Blumen und Kerzen am Nationalen Kriegsdenkmal in Ottawa (Kanada) des Soldaten der Ehrenwache, der von Michael Zehaf-Bibeau, einem zum Islam konvertierten Kanadier, im Oktober 2014 erschossen wurde.

Kanada nach dem Attentat am Parliament Hill

Nach dem Attentat am Parliament Hill, dem Sitz des kanadischen Senats und Unterhauses, am 22. Oktober 2014 durch Michael Zehaf-Bibeau instrumentalisierte die Regierung von Ministerpräsident Steven Harper die Angst der Menschen, um unter Einsatz ihrer Mehrheitsposition ein neues Anti-Terror-Gesetz durchzusetzen: Bill C-51. Es soll den Geheimdiensten des Landes neue weitreichende Rechte zur Überwachung des Internets und zum Zugriff auf bisher private Informationen anderer Regierungsstellen ermöglichen. Zwar hat sich im Zuge der Ermittlungen herausgestellt, dass Bibeau geistig krank und drogenabhängig war. Doch dieser Sachverhalt wurde von der Regierung schlichtweg unter den Teppich gekehrt, ging es ihr doch mit dem Anti-Terror-Gesetz in erster Linie darum, Kanada als Bollwerk der Verteidigung vor dem islamischen Extremismus darzustellen.

Das Gesetzespaket wurde von zahlreichen Bürgerrechtsanwälten und den Medien wegen des sehr generalisierenden Charakters heftig kritisiert. Besorgniserregend ist eine weitere Ankündigung Harpers, die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs des Landes, Frauen beim Ablegen des Einbürgerungsgelübdes das Tragen des Niqab zu erlauben, anzufechten. Die Worte, die er dabei wählte waren insofern grotesk, da sie Muslime in einem anderen Licht als andere Kanadier erscheinen lassen: "Ich, und mit mir wahrscheinlich die meisten Kanadier, finden es anstößig, dass Menschen in dem Moment, in dem sie ihre Verpflichtung zum Beitritt zur kanadischen Familie kundtun, ihre Identität verstecken", sagte Harper.

Während sich die überregionalen kanadischen Medien größtenteils darum bemühten, die Stimmungsmache gegen die muslimische Gemeinschaft des Landes nicht durch weitere Statements zusätzlich anzuheizen, kann dies für die Vereinigten Staaten nicht behauptet werden. Als bekannt wurde, dass in Nordtexas ein islamisches Tribunal eingeführt werden sollte, interpretierten rechtsgerichtete Medien diese Ankündigung als ersten Schritt zur Übernahme des amerikanischen Rechtssystems. Ein äußerst zweifelhafter "Rechtsexperte" des Senders "Fox News", der ehemalige TV-Richter Andrew Napolitano, ging sogar so weit zu behaupten, dass "durch die Einigung beider Konfliktparteien auf die Anerkennung der Entscheidung des [Tribunal]-Gerichts das amerikanische Gesetz übergangen würde".

Hierdurch wird nicht nur die Tatsache ignoriert, das sich laut US-Verfassung keine Institution über das verfassungsrechtliche System stellen darf, sondern dabei wird auch kaschiert, dass andere Religionsgemeinschaften in den Vereinigten Staaten bereits über solche Tribunale verfügen. Bei der katholischen Kirche sind fast 200 Diözesantribunale mit einer Vielzahl von Fällen beschäftigt, und viele orthodoxe Juden nehmen zur Lösung geschäftlicher und ehelicher Auseinandersetzungen mit anderen Juden sogenannte Rabbinergerichte in Anspruch. Aussagen wie die von Andrew Napolitano dienen daher wohl lediglich einer konservativen politischen Lobby, um aus politischen Gründen islamfeindliche Gefühle anzuheizen.

Eine der kontroversen „Pro-Israel/Anti-Islam“ – Werbeparolen an öffentlichen Verkehrsmitteln in Amerikas Großstädten; Foto: EPA/ John G. Mabanglo
„Unterstützt Israel! Lehnt den Dschihad ab!“ so lauten Parolen auf U-Bahn-Wagen und Bussen in New York City, Washington DC und San Francisco. Pamela Geller, eine Polit-Aktivistin aus New York, ist Gründerin der Organisation „Stop Islamization of America“, die diese Anzeigen finanziert und damit zu Hass und Vorurteilen gegenüber religiösen Minderheiten aufruft.

Hass schüren, Angst verbreiten

Dass Pamela Geller zu den hysterischsten Gegnerinnen solcher Tribunale zählt, dürfte eigentlich niemanden überraschen, war doch die Polit-Aktivistin aus New York verantwortlich für die berüchtigten Plakataktionen an Bussen, auf denen Muslime mit Adolf Hitler verglichen wurden. Gellers Organisation "Stop Islamization of America" finanziert Anzeigen auf U-Bahn-Wagen und Bussen in New York City, Washington DC und San Francisco. Auch wenn dies im Rahmen der US-Gesetze für freie Meinungsäußerung legal ist, zeugt es doch von Hass und Vorurteilen gegenüber religiösen Minderheiten und appelliert an die niedrigsten menschlichen Instinkte.

Glücklicherweise gibt es jedoch auch Menschen, die versuchen, der Atmosphäre von Angst und Hass, die vielerorts geschürt wird, mit einfachen und ehrenhaften Handlungen entgegenzuwirken. Als nach dem Attentat von Ottawa in Cold Lake, Alberta, eine Moschee durch Graffitis verunstaltet wurde, fanden sich nichtmuslimische Bewohner des Ortes ein, um die Verschandelung der Fassade zu beseitigen und durch einen öffentlichen Protest gegen die beleidigenden Worte ihre Unterstützung für die muslimischen Mitbürger auszudrücken. Und auch in den Vereinigten Staaten fassten sich viele nicht-muslimische Bürger ein Herz und sprachenden Familien der ermordeten jungen Muslime ihr Beileid aus und verurteilten andere islamophobe Aktivitäten der vergangenen Monate.

Doch leider müssen wir im Vorfeld der Wahlen in Kanada und den Vereinigten Staaten damit rechnen, dass Politiker und andere Personen des öffentlichen Interesses auch weiterhin an ihrer diffusen Angstrhetorik gegenüber Muslimen festhalten. Die zunehmenden Spannungen, die dadurch erzeugt werden, machen es wahrscheinlicher, dass in beiden nordamerikanischen Staaten Muslime erneut zur Zielscheibe hasserfüllter, islamfeindlicher Akteure werden. Sowohl für Kanada als auch für die USA, die ja einst Zufluchtsorte für Verfolgte waren und die Hoffnung auf ein besseres Leben versprachen, ist dies gewiss eine äußerst bedenkliche Entwicklung und ein Armutszeugnis.

Richard Marcus

© Qantara.de 2015

Übersetzt aus dem Englischen von Harald Eckhoff