Auf dem Weg der Taliban?

In Ägypten wenden sich immer mehr islamistische Eiferer gegen altertümliche Kunstwerke und Baudenkmäler. Inzwischen herrsche ein gesellschaftliches Klima, das der Kunst insgesamt feindlich gegenüber stehe, meint Samir Grees.

Statue von Ramses II. in Abu Simbel, Ägpten; Foto: Wikimedia Commons
"Wird man miterleben müssen, wie die Statue von Ramses II. in Abu Simbel eines Tages zerstört wird?" fragt Samir Grees.

​​ Vor kurzem haben die Kulturschaffenden in Ägypten das 100-jährige Bestehen der Akademie der Schönen Künste in Ägypten gefeiert. Zu diesem Anlass fand eine Sonderausstellung auf dem Gelände der Kairoer Oper statt, auf der mehr als 400 Kunstwerke von über 200 ägyptischen Künstlern verschiedener Generationen gezeigt wurden.

Schon im alten Ägypten waren Bildhauerei und Malerei grundlegende Elemente der Hochkultur. Als Prinz Youssef Kamal die Akademie der Schönen Künste am 12. Mai 1908 aus eigenen Mitteln gründete, wollte er damit den Geist der Erneuerung in den Bereich der Bildenden Künste tragen.

Aus der Kairoer Akademie sind im Laufe der Jahre Generationen von Künstlern hervorgegangen, die wesentlichen Einfluss auf die Bildende Kunst in Ägypten und der gesamten arabischen Welt hatten.

Zu den berühmtesten gehört der Bildhauer Mahmud Mukhtar, der Schöpfer der berühmten Skulptur Nahdat Misr "Die Renaissance Ägyptens", die heute vor der Universität Kairo steht oder der wunderbaren Skulptur "Khamasin-Wind". Damit erneuerte er in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Kunst, in der schon die alten Ägypter Herausragendes geleistet hatten, wie man heute noch in Gizeh, Luxor oder Abu Simbel sehen kann.

Kunst in feindlicher Atmosphäre

Die jetzt abgehaltenen Feierlichkeiten konnten jedoch nicht über die tiefe Krise der Kunst in Ägypten hinweg täuschen. Denn es herrscht ein Klima, das der Literatur, der Kunst und insbesondere der Bildhauerei feindlich gegenüber steht.

Das haben in den letzten Jahren zahlreiche Skandale und Prozesse gegen Literaten und Intellektuelle gezeigt: Dabei kam es sogar zur Zwangsscheidung wie im Fall des Reformdenkers Nasr Hamid Abu Zaid oder zur Verhängung von großen Geldstrafen wie im Fall des Dichters A. Higazy oder des Literaturkritikers Djabir Asfour.

Auch nimmt die Zahl der Studenten, die sich an der Akademie der Bildenen Künste einschreiben, immer mehr ab. In diesem Jahr gab es nur einen einzigen Bewerber für einen Studienplatz im Bereich der Bildhauerei. Und um Probleme zu vermeiden, riet man diesem einen sogar, sich für ein anderes, weniger umstrittenes Fach zu entscheiden.

Die Bildhauerei im Kreuzfeuer der Fatwas

Umstritten ist dieses Fach aufgrund einer Fatwa, die der Großmufti von Ägypten Ali Djumaa vor zwei Jahren erließ. Die Bildhauerei, so der Großmufti, widerspreche den Lehren des Islam.

Totenmaske des Pharaos Tutanchamun; Foto: dpa
Zwar gibt es in Ägypten eine wachsende Aufmerksamkeit für die pharaonischen Kunstwerke - sie gelten aber nicht ihrem kulturellen oder ästhetischen Wert, sondern der Einnahmequelle, die sie darstellen, meint Grees.

​​ Dabei ist doch diese Akademie auf der Basis einer anderen Fatwa begründet worden, die der Scheich Ali Djumaa wohl vergessen oder ignoriert hat: 1908 hat der große Reformer, Religions- und Rechtsgelehrte und Großmufti von Ägypten Scheich Muhammad Abduh eine Fatwa erlassen, wonach Skulpturen nur dann verboten seien, wenn man sie anbete.

Das heißt, verboten ist der Götzendienst, nicht die Skulptur an sich. Heutzutage besteht wohl kaum die Gefahr, dass ein Ägypter dem Polytheismus verfällt; der Erlass einer Fatwa zu diesem Thema ist deshalb vollkommen überflüssig.

Angesichts der sich wandelnden Verhältnisse drängt sich die Frage auf, ob Ägypten am Ende noch der Weg der Taliban bevorsteht. Wird man womöglich einmal miterleben müssen, wie die großartigen Zeugnisse der altägyptischen Kultur in Oberägypten zerstört werden? Werden einmal eifernde Horden die Tempel von Luxor, Dendara, Abydos und Abu Simbel stürmen, um die Fatwa umzusetzen und andere davon abzuhalten, vom Glauben abzufallen und wieder der Vielgötterei anheim zu fallen?

Ist all die Mühe überflüssig, die man sich gibt, die alten pharaonischen Bau- und Kunstwerke zu schützen und vor dem Verfall zu bewahren? Warum soll man dann die Sphinx vor dem sie zerfressenden Grundwasser schützen, aus Berlin die Büste Nofretetes zurückverlangen, wenn es sich doch um Zeugnisse des Atheismus und der Vielgötterei handelt?

Keine Wertschätzung für unvergängliche Kunstwerke

Es ist doch seltsam, dass der heutige Ägypter auf der einen Seite so stolz auf das ist, was die altägyptische Kultur an "unvergänglichen" Kunstwerken und Baudenkmälern hervorgebracht hat, sich all der ägyptischen Schätze in den verschiedenen Museen der Welt rühmt und mit stolz geschwellter Brust vor den Obelisken in Paris, London oder New York steht.

Buddha-Statue in Bamiyan von 1963 vor der Zerstörung durch die Taliban; Foto: UNESCO
2001 wurden die Buddha-Statuen in Bamiyan, Afghanistan, von den Taliban durch Sprengungen zerstört.

​​Wie der ehemalige ägyptische Präsident Sadat beschwört man bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit die fünftausend Jahre alte pharaonische Kultur. Auf der anderen Seite aber blickt man voller Misstrauen auf die alten Statuen, die die einfachen Leute bis heute als "Götzen" oder Masakhit, also "Missgestalten" bezeichnen.

Die ägyptische Wirtschaft stützt sich auf den Tourismus und auf diese "Wallfahrt" zu den pharaonischen Tempeln; das Interesse an diesen bedeutenden Kulturgütern ist in der Vergangenheit sogar noch gestiegen. Allerdings gilt die wachsende Aufmerksamkeit nicht ihrem kulturellen oder ästhetischen Wert, sondern der Einnahmequelle, die sie darstellen.

Der heutige Ägypter, der tagtäglich um seinen Lebensunterhalt kämpft, weiß mit diesen Kunstwerken nicht viel anzufangen; er weiß sie nicht zu schätzen. Sie würden ihm nicht fehlen, wenn sie zerstört würden. Ihren Wert erhalten sie nur dadurch, dass Touristen aus der ganzen Welt nach Ägypten strömen, nur um diese Dinge zu sehen.

Für die Mehrheit der Ägypter, vor hundert Jahren ebenso wie heute, bleiben sie Götzen und Missgestalten, die man verbieten und zerstören sollte. Daran konnte auch die Gründung einer Akademie der Künste leider nicht viel ändern.

Samir Grees

© Qantara 2009

Aus dem Arabischen von Samir Grees

Samir Grees hat Germanistik und Übersetzungswissenschaft in Kairo und Mainz studiert. Er arbeitet als Journalist und Übersetzer. Er hat zahlreiche Werke deutscher Literatur ins Arabische übertragen, u.a. "Ein liebender Mann" von Martin Walser, "Die Klavierspielerin" von Elfriede Jelinek und "Der Kontrabass" von Patrick Süskind.

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