Wie Mechelen den Dschihadismus besiegt

Im Gegensatz zu anderen Städten in Belgien findet der gewaltbereite Islamismus in Mechelen kaum Anhänger. Das liegt vor allem an Bürgermeister Somers: Er verlangt, dass sich alle integrieren - und zwar in die multikulturelle Realität. Von Markus Mayr

Von Markus Mayr

Als der bärtige Mann im flämischen Mechelen von der Scharia predigen wollte, durfte er das nicht. Er wurde weggeschickt. Selbst im Jugendklub, wo der Prediger sich leichten Erfolg erhoffte, blieb sein Aufruf zum Kampf im Namen Allahs unerhört. Die Jugendlichen zeigten nach seinem Auftritt deutlich, was sie von solchen extremen Ansichten halten, auf Youtube ist das zu sehen. Immer wieder sagen einzelne diesen einen Satz in die Kamera: "Ich bin extrem . . .", - Schnitt - "extrem in der Vielfalt." Gut fünf Jahre ist das nun her.

Und vor Kurzem jährte sich der Anschlag islamistischer Terroristen am Brüsseler Flughafen und in der Metro, bei dem 35 Menschen umkamen. Europa hatte damals noch die Anschläge von Paris wenige Monate zuvor im Gedächtnis, das Massaker in der Konzerthalle Bataclan, die Toten in den Straßencafés. Seitdem heißt es: Belgien hat ein Terrorismus-Problem. Die Terroristen des sogenannten Islamischen Staats (IS) bekannten sich zu den Anschlägen, und die Spuren der Attentäter führten in Belgiens Hauptstadt, in die Gemeinde Molenbeek.

Doch nicht nur Brüsseler wandern ab zum radikalen Islamismus. Annähernd 500 Menschen aus ganz Belgien haben laut Innenministerium versucht, sich dem IS im Irak und in Syrien anzuschließen - im Verhältnis mehr als aus anderen EU-Ländern. Aus dem sieben Mal größeren Deutschland reisten 900 Menschen mit Kampfabsicht in den Nahen Osten.

Fast jede belgische Stadt hat Dutzende Bewohner an die Terrormiliz verloren: Antwerpen 76, Vilvoorde, nur halb so groß wie Mechelen und keine 20 Kilometer südlich gelegen, 27, das als "Terrornest" verschriene Molenbeek 31, ganz Brüssel 117. In Mechelen aber wollen sie von der Scharia noch immer nichts wissen. Nur drei sollen von dort in den Kampf gezogen sein. Lange konnte die "Perle Flanderns", wie die 85.000-Einwohner-Stadt gepriesen wird, sogar all ihre Bürger beisammen halten. Was also dämpft in Mechelen den Schlachtruf der Terroristen, der anderswo auf offene Ohren stößt?

Sobald jemand mit radikalen Ideen flirtet, muss man da sein

Noch zur Jahrtausendwende stand Mechelen im Ruf, "dreckigste Stadt Flanderns" zu sein. Die Kriminalitätsrate war hoch: Einbrüche, Diebstähle, Hunderte aufgebrochene Autos jedes Jahr. Heute sind die Straßen sauber, selbst Zigarettenkippen sind kaum zu sehen. Die Verbrechensrate ist nach unten gedrückt, das soll ein dichtes Netz von Überwachungskameras bewirkt haben.

Bart Somers, Bürgermeister von Mechelen; Foto: DW
"Wohlfühl-Plus" und "Sicherheit durch Prävention": Die "City-Mayors"-Stiftung in London findet, Bart Somers habe aus einem "verwahrlosten" Ort eine der "attraktivsten" Städte Belgiens gemacht. Und zugleich den radikalen Islamismus offenbar unattraktiv für seine Bewohner.

Die "City-Mayors"-Stiftung in London findet aber, das liege an Mechelens Bürgermeister, er soll der beste der Welt sein. Bart Somers habe aus einem "verwahrlosten" Ort eine der "attraktivsten" Städte Belgiens gemacht. Und zugleich den radikalen Islamismus offenbar unattraktiv für seine Bewohner.

"Das ist jeden Tag aufs Neue ein Kampf", sagt Somers an einem Samstagvormittag. Sobald jemand anfange, mit radikalen Ideen zu flirten, müsse man da sein, sagt der Bürgermeister, der Mechelen seit mehr als 15 Jahren vorsteht.

Er macht das so erfolgreich, dass sogar die EU-Innenminister wissen wollten, wie er verhindere, dass Bewohner seiner Stadt gewaltbereite Islamisten werden. Françoise Schepmans, Bürgermeisterin des vermeintlichen "Terrornests" Molenbeek, blickt zuweilen wissbegierig auf Mechelen - dort scheint zu funktionieren, was in ihrer Gemeinde schiefläuft: der Radikalisierung einzelner Einhalt zu gebieten.

Dabei ähneln sich Mechelen und Molenbeek: in etwa gleich groß, kulturell gleich gemixt. Somers kennt die Zahlen: 128 Nationalitäten leben in Mechelen, 20 Prozent Einwohner sind Muslime. Jedes dritte Kind hat muslimische Eltern. Was also macht den Unterschied? "Das Zusammenleben hat hier etwas höhere Schutzmauern geschaffen als anderswo", sagt der 52-Jährige. "Extremisten haben bei uns kein Terrain gefunden, auf dem sie rekrutieren können."

Es gibt nur einen einzigen Jugendclub - für alle

Es fehle das kriminelle Milieu, dem Molenbeek seinen Ruf schuldet. Auf der Straße lungernde Gruppen Jugendlicher, immer nur einen Gedanken entfernt von der nächsten Dummheit, sind nicht zu sehen in Mechelens Innenstadt. Die Jugendlichen treffen sich zum Beispiel im Jugendklub "Rojm", dort, wo sie den Salafisten-Prediger abserviert haben.

Es ist der einzige Jugendklub in Mechelen, es gibt nicht einen marokkanischen, einen armenischen oder tunesischen, nur "Rojm". Das findet Somers toll. Ließe er für jede der 128 Nationalitäten einen Jugendklub einrichten, wäre das "eine ganze Straße voll", absurd.

Logo des Jugendklub "Rojm" in Mechelen; Foto: http://rojm.be
Dschihadisten den Riegel vorgeschoben: Der Jugendklub "Rojm" hatte bereits in der Vergangenheit einige Salafisten-Prediger abserviert. Er ist der einzige Jugendklub in Mechelen, es gibt nicht einen marokkanischen, einen armenischen oder tunesischen, nur "Rojm". Das findet Bürgermeister Somers toll. Ließe er für jede der 128 Nationalitäten einen Jugendklub einrichten, wäre das "eine ganze Straße voll", absurd.

Dass die Jugendlichen hier eher wenig anstellten, führt der Bürgermeister zurück auf Vertrauen, das Gefühl, "Bürger zu sein". Wer sich als Teil der Gesellschaft fühle, übernehme Verantwortung. Wer dagegen in einem Ghetto lebe, egal ob real oder gefühlt, spüre dieses Vertrauen nicht, übernehme also keine Verantwortung.

"Sicherheit beginnt mit Prävention"

Das Stadtoberhaupt versucht, den Bürger nahe zu sein, zuzuhören. Seine Politik ist weder rechts noch links. Er setzt den Fokus auf das konservative Kernthema innere Sicherheit, zugleich fördert er die Vielfalt in der Gesellschaft, ein eher linkes Anliegen. Somers, der Liberale, denkt pragmatisch. Schlagen sich Kameras positiv in der Kriminalitätsstatistik nieder, pfeift er auf Kritik an der Überwachung. "Wir probieren hier in Mechelen viel aus", sagt er.

So hat er versucht, Eltern ohne Migrationshintergrund zu überreden, ihre Kinder auf Schulen zu schicken, die vor allem Kinder mit Migrationshintergrund besuchen. An vier von sechs Schulen habe es funktioniert. Ein Teilerfolg nur, aber man müsse eben immer dran bleiben. Somers investierte in früher verrufene Viertel, ließ Straßen ausbessern, Wohnungen, Krankenhäuser, Sporthallen bauen. Das belaste zwar den Etat, schlage sich aber in einem "Wohlfühl-Plus" nieder.

Polizisten sieht man vor allem unterwegs auf dem Fahrrad, auf Geheiß ihres Dienstherren. Denn das erleichtert es, Kontakt und Vertrauen zu den Menschen aufzubauen. "Sicherheit beginnt mit Prävention", sagt Somers. Deshalb hielt er die Beamten an, sich mit jugendlichen Intensivtätern auch intensiv zu beschäftigen. Sie sollten sie wegen jeder Bagatelle zur Rechenschaft ziehen, auch wegen fehlender Feuerlöscher oder alter Verbandskästen in im Auto.

Trauerbekundungen für die Opfer der Anschläge von Brüssel; Foto: DW
Trauer und Solidarität für die Opfer des radikal-islamistischen Terrors in Belgien: Eine Serie von Bombenanschlägen im Flughafen und auf eine U-Bahnstation hatte am 22.03.2016 Brüssel bis ins Mark getroffen. 20 Menschen starben in der U-Bahn, 14 am Flughafen-Zaventem.

Keine zwei Wochen habe es gedauert, sagt Somers, und die jungen Straftäter hätten Besserung gelobt. Derweil habe die Stadt ihnen Jobs und Wohnungen besorgt. Die Verursacher großer Probleme verursachten nun keine mehr. Die Methode sei zwar teuer, habe sich aber rentiert.

Integration Alteingesessener in die multikulturelle Realität

Was sich wohl ebenfalls gelohnt habe, sei der Einsatz der "großen Brüder". So nennen sie Studenten, die Somers angeheuert hat, damit sie auf Sportplätzen den Jüngeren ein Vorbild geben beim Einhalten von Regeln. Mitglieder eines Sportvereins klaubten indes solange den Müll um ihre Sportstätte auf, bis die Umgebung sauber blieb.

Der Vereinsvorsitzende erzählt, er verlange von seinen Sportlern auch, dass sie sich in der Schule anstrengen, sonst dürften sie sich nicht auf dem Platz verausgaben. "Salaam" heißt der Klub, Frieden. Frei nach dem arabischen Gruß ist jede Nationalität willkommen.

So hält es Somers auch mit neuen Bürgern. Rassismus und Diskriminierung sind inakzeptabel. Er verlangt, dass jeder sich integriert, auch die Alteingesessenen - "und zwar in diese Realität", in der in Mechelen eben viele Kulturen aufeinandertreffen.

Für den Bürgermeister gibt es in der Stadt nur eine Gesellschaft. Jeder, der hier wohne, sei ihr Bürger, egal wo seine Wurzeln liegen. Er zum Beispiel ist Mechelener in 14. Generation. "Aber ich bin der erste Somers, der in einem multikulturellen Mechelen lebt."

Markus Mayr

© Süddeutsche Zeitung 2017