"Nein, nichts ist vergeben!"

Das islamisch-humoristische Comic-Magazin "Cafcaf" distanziert sich von der weltweiten "Je suis Charlie"-Bewegung. Die türkischen Karikaturisten der Zeitschrift erachten ihre eigene Kunst als islamisch-korrekt und kritisieren die Darstellung des Islams im Westen. Von Senada Sokollu aus Istanbul

Von Senada Sokollu

"Non. Rien n'est pardonné". Das ist die Antwort des islamischen Comic-Magazins "Cafcaf" auf die neue "Charlie Hebdo"-Ausgabe. Es bedeutet übersetzt: "Nein. Nichts ist vergeben". Auf der Zeichnung halten Bürger aus Tschetschenien, Syrien, China, Palästina, Ägypten, Afghanistan und dem Irak, Schilder ihrer jeweiligen Herkunftsländer in den Händen. Emre Bilgic, der Zeichner des Comics habe sich verpflichtet gefühlt auf diese Weise zu antworten. "Nach dem Attentat auf Charlie Hebdo habe ich mich als Künstler, der an den Islam glaubt, sehr unter Druck gesetzt gefühlt", erklärt Bilgic im Gespräch mit Qantara.de.

Die "Je suis Charlie"–Bewegung der Karikaturisten auf der ganzen Welt, hätten ihn und seine muslimischen Brüder und Schwestern als teuflisch dargestellt, so der 26-Jährige. "Aber es wurde nicht gezeigt, auf welch teuflische Weise 'Charlie Hebdo' bestimmte Themen behandelt: uns Muslime, unsere Religion, unsere Tragödien in unseren Heimatländern", so Bilgic.

Er habe frühere Ausgaben von "Charlie Hebdo" gelesen, in denen durch Karikaturen Witze gemacht worden seien über hunderte Muslime, die in Ägypten umgebracht wurden oder über bosnische Frauen, die vergewaltigt wurden, erklärt der türkische Karikaturist. "Mit meiner Zeichnung will ich folgendes ausdrücken: Egal wir sehr ihr versucht uns als den Teufel darzustellen. Wir wissen genau wer das Blut an den Händen hat. Wir haben es jahrelang mit angesehen und wir haben es nicht vergeben", so Bilgic.

Zeichnen, aber bitte nur islamisch korrekt!

"Cafcaf", was übersetzt so viel heißt wie "der Glorreiche", wurde vor acht Jahren gegründet. Das Magazin sieht sich selbst als regierungsnah zur islamisch-konservativen AKP. Auch der Berater des ehemaligen türkischen Präsidenten Abdullah Gül hat bereits für das Magazin geschrieben. Das Büro der Zeitschrift befindet sich in Istanbuls konservativem Stadtviertel Fatih.

"Cafcaf"-Comiczeichner Emre Bilgic; Foto: Senada Sokollu
"Cafcaf"-Comiczeichner Emre Bilgic: "Nach dem Attentat auf 'Charlie Hebdo' habe ich mich als Künstler, der an den Islam glaubt, sehr unter Druck gesetzt gefühlt."

Insgesamt 40 Mitarbeiter arbeiten an dem Magazin mit – ehrenamtlich. "Cafcaf" wird monatlich mit 25.000 Auflagen gedruckt und ist nach eigenen Angaben weltweit das einzige islamisch-humoristische Comic-Magazin. Doch wie zeichnet man islamisch korrekt?

Es gebe durchaus Humor im Islam, so Faruk Günindi, Chefredakteur von "Cafcaf". "Aber es gibt auch einige moralische Regeln, Werte und Tugenden, die wir als Muslime befolgen müssen. Demnach sollten wir die Würde der Menschen schützen, sie nicht missbrauchen oder beleidigen", so Günindi.

Als Muslim glaube man vor allem daran, dass der Prophet Mohammed das würdevollste menschliche Wesen sei, erklärt Günindi. "Auf seine Kosten oder auf Kosten seines Erscheinungsbildes sollten daher keine Witze gemacht werden", so der Chefredakteur. Eine weitere wichtige Regel sei, dass keine Lügen verbreitet werden dürfen, erklärt er. "Alle Witze oder Zeichnungen, die wir veröffentlichen, müssen wahrheitsgemäß sein", so Günindi.

Für eine angemessene Prophetendarstellung

Es habe in der Menschheitsgeschichte auch immer wieder Muslime gegeben, die den Propheten Mohammed gezeichnet haben, so Asim Gültekin, Gründer von "Cafcaf": "Es gibt im Islam aber überlieferte Dokumente, die sogenannten 'Hilye-i Sadet'. Übersetzt bedeutet dies "das Aussehen des Gesandten Allahs".

"Cafcaf"-Redaktionsteam in Istanbul; Foto: Senada Sokollu
"Islamisch-korrektes" Selbstverständnis: "Cafcaf", was übersetzt so viel heißt wie "der Glorreiche", wurde vor acht Jahren gegründet. Das Magazin sieht sich selbst als regierungsnah zur islamisch-konservativen AKP. Auch der Berater des ehemaligen türkischen Präsidenten Abdullah Gül hat bereits für das Magazin geschrieben.

"Diese Überlieferungen beschreiben Mohammeds gesamtes Aussehen bis ins Detail: seine Augen, seine Nase, seinen Mund und sogar seine Gangart", erklärt Gültekin. Als gläubiger Muslim gehöre es sich trotzdem nicht den Propheten abzubilden. "Aber zumindest von der westlichen Kultur kann man doch erwarten, dass sich Karikaturisten vorher mit diesen Dokumenten auseinandersetzen. Sie sollten nachlesen, wie sein Aussehen beschrieben ist. Es wäre zumindest eine Geste des Respekts. Den Propheten kann man nämlich durchaus wahrheitsgetreu zeichnen", kritisiert Gültekin. Karikaturen von Präsident Obama sähen auch Obama ähnlich oder Jesus werde getreu den Überlieferungen gezeichnet, so Gültekin. "Warum also nicht auch der Prophet Mohammed?", so der gläubige Muslim.

"Cafcaf" distanziere sich bewusst von den anderen türkischen Comic-Magazinen wie "Leman", "Penguen" oder "Uykusuz", die die türkische Regierung heftig kritisieren und sich anders als "Cafcaf" mit "Charlie Hebdo" solidarisch zeigen.

"Unsere moralischen Vorstellungen sind anders. Unser Lifestyle ist anders. Die anderen türkischen Comic-Magazine sind sozialistisch. In der Türkei ist der Sozialismus eine Art Verwestlichung. Eine Modernisierung. Sie sind zwar gegen den Kapitalismus, aber akzeptieren den Kapitalismus in Europa und in anderen westlichen Staaten. Wir vertreten diese Art von Modernisierung nicht", so Gültekin. Es gebe keine bestimmte Person oder Gruppe über die man sich bei "Cafcaf" lustig mache. "Wir kritisieren Erdogan wenn es angebracht ist oder die Opposition oder auch unsere muslimischen Mitbürger. Wir legen uns aber nicht fest", erklärt er.

Mehr Angst vor der türkischen Regierung als vor dem Terror

An dem Trauermarsch für die Opfer der Attentate von Paris am 11. Januar hatte sich auch der türkische Premier Ahmet Davutoglu beteiligt – für Pressefreiheit und gegen den Terror. Doch in der Türkei fürchten regierungskritische Karikaturisten und Journalisten die türkische Regierung mehr als den Terror. In diesen Tagen gibt keiner der Karikaturisten von "Leman", "Penguen" oder "Uykusuz" mehr Interviews zum "Charlie Hebdo"-Attentat. Es schade den Magazinen, hieß es. Solidarisch zeigten sie sich mit "Charlie Hebdo". Der Schriftzug "Je suis Charlie" auf ihren Titelseiten war ihre Antwort auf das Attentat.

Ihre gemeinsame Erklärung unmittelbar nach dem Attentat lautete: "Wir hoffen, dass diese Solidarität etwas Trost bringen wird. Wir verurteilen die Terroristen, die die Karikaturisten getötet haben. Wir wünschen uns eine friedliche Welt, in der die Meinungsfreiheit nicht unterdrückt wird und die Medien nicht attackiert werden".

Auch die Zeitung "Cumhuriyet" zeigte sich vergangene Woche solidarisch und veröffentlichte Charlie Hebdo-Comics. Die türkische Polizei vergewisserte sich jedoch kurz nach dem Druck mit einer Razzia, dass tatsächlich keine Mohammed-Karikaturen veröffentlicht werden.

Senada Sokollu

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