Initiative von Seattle macht Muslimen Hoffnung

Der Stadtrat von Seattle plant die Einführung eines Programms zur schariakonformen Darlehensvergabe und will damit vor allem niedrigen und mittleren muslimischen Einkommensgruppen helfen. Damit wird all jenen Muslimen eine Alternative eröffnet, die bislang teuer zur Miete wohnen mussten. Von Joseph Mayton

Von Jospeh Mayton

Als die Eheleute Mohamed und Zeinab vor 14 Jahren nach Seattle im US-Bundesstaat Washington zogen, verschwendeten sie noch keinen Gedanken an den Kauf eines Hauses. Zwei Kinder und drei Beförderungen später ist aus dem Paar eine vierköpfige Familie geworden. Mit der Initiative des Stadtrats von Seattle zur Einführung islamischer Darlehensverfahren darf die Familie nun hoffen, bald Eigentum erwerben zu können. "Es ist ein schönes Gefühl zu wissen, dass wir für unsere Familie ernsthaft über eigene vier Wände in dieser Stadt nachdenken können, die uns so ans Herz gewachsen ist", erzählt Mohamed. "Damals in Jordanien wäre das nach den dortigen Regeln kein Problem gewesen, aber hier sind uns wegen des Zinsverbots die Hände gebunden."

Bislang schien es dem jordanischen Ehepaar unmöglich, auf lange Sicht Eigentum zu erwerben, da nach dem islamischen Glauben keine Zinsen für Darlehen erhoben oder gezahlt werden dürfen. Seattle ist dabei, die bestehenden Verhältnisse zu ändern und seiner wachsenden muslimischen Bevölkerung beizustehen.

Dieser eröffnen sich damit neue Möglichkeiten für den Eigentumserwerb, was gleichzeitig die Integration in die örtliche Gemeinschaft fördert. "Für unsere muslimischen Nachbarn mit niedrigen oder mittleren Einkommen, die sich an das Verbot der Zinszahlung für Darlehen halten, kommen nur bestimmte Finanzierungsmöglichkeiten infrage", heißt es in dem Programm von Seattle. "Einige Muslime haben aufgrund ihrer religiösen Überzeugung keinen Zugang zu herkömmlichen Immobilienfinanzierungsprodukten."

Größere Sicherheit für kleine und mittlere Einkommen

Mit ihrer Initiative will die Stadt ihren etwa 30.000 muslimischen Mitbürgern zu voller Chancengleichheit verhelfen. Laut Bürgermeister Ed Murray soll damit der Gemeinschaft ermöglicht werden, schariakonforme Darlehen aufzunehmen. Man wolle damit ein neues Bankwesen schaffen, das von den Behörden unterstützt wird und den Familien höhere Sicherheit verleiht.

Mohamed und Zeinab knüpfen große Hoffnungen daran. "Wir leben seit etwa zwölf Jahren hier. Ich habe einen guten Job. Zeinab ist Hausfrau. Gut möglich, dass wir unter das Programm fallen", meint Mohamed.

Nach dem traditionellen Gesetz der Scharia ist es Muslimen verboten, für Darlehen Zinsen zu zahlen. Muslime, die sich streng daran halten, können daher keine herkömmlichen Darlehen aufnehmen. Arsalan Bukhari vom "Washington Council on American-Islamic Relations" schätzt, dass rund 1.000 Einwohner von der neuen Maßnahme profitieren könnten. "Diese Menschen halten sich an das Zinsverbot", sagte er. Dabei würden gut verdienende Muslime durchaus zum Kundenkreis für herkömmliche Bankdarlehen zählen.

Islamic prayer beads (photo: ddp images/AP Photo/Hasan Jamali)
USA Today: ″Sukuk act much like traditional bonds, delivering payments to investors until maturity... To comply with Sharia, the bonds have to be tied to some sort of physical asset. Instead of interest, investors are being rewarded with a share of the profit derived from the asset.″

Obwohl die ablehnende Haltung gegenüber islamischem Recht landesweit zunimmt und viele Bundesstaaten antiislamische Gesetze auf den Weg bringen, ist die islamkonforme Finanzierung ein dynamischer Sektor, der in den letzten drei Jahrzehnten auf mehr als 1,6 Billionen US-Dollar angewachsen ist.

Die die überregionale Tageszeitung USA Today berichtete, dass in Europa, Südostasien und sogar in Hongkong bereits verschiedenste islamische Finanzierungsverfahren eingeführt worden seien – auch Anleihen, sogenannte sukuk. "Sukuk funktionieren ähnlich wie herkömmliche Anleihen, die den Investoren bis zur Fälligkeit Erträge einbringen. Damit die Anleihen schariakonform sind, müssen sie an einen physischen Vermögensgegenstand gebunden sein. Anstelle von Zinsen fließt den Investoren dann ein Anteil des Gewinns am Vermögensgegenstand zu".

"Wir hoffen, die Menschen verstehen das"

Mohamed hofft, dass der Stadtrat von Seattle die Vorlage im Juli verabschieden wird. Für ihn würde damit ein Stigma wegfallen, das den dortigen Muslimen anhaftet. "Ich hoffe sehr, dass die Menschen in diesem Vorstoß ein uramerikanisches Anliegen erkennen. Mit diesem Programm werden Menschen unterstützt, die bislang Zaungäste bleiben mussten. Das ist doch eine gute Sache. Wir Muslime wollen nichts anderes als das, was für andere längst selbstverständlich ist. Wir hoffen, die Menschen verstehen das."

Allerdings wird der Vorstoß nicht überall positiv aufgenommen. Die Mannschaft der morgendlichen Talkshow "Fox & Friends" des Senders Fox reiste nach Bekanntwerden der Initiative nach Seattle und stellte die Show unter das Motto "Finanzierung des Terrors". Einige Gäste der Talkshow meinten, Muslime würden besser gestellt als andere. Das sei unfair. Dem widerspricht Bukhari. Das Programm habe insgesamt geringe Auswirkungen, "wird aber große Bedeutung für einige Familien haben, die die von der Stadt gebotene Chance ergreifen."

Bürgermeister Murray bleibt optimistisch, dass die Nein-Sager seinen Vorstoß zur Unterstützung von Menschen, denen geholfen werden kann, nicht aushebeln. "Wir werden an der Entwicklung neuer Wege für Muslime arbeiten, die wegen ihrer religiöser Überzeugung von herkömmlichen Hypotheken- und Darlehensprodukten ausgeschlossen sind", sagt er.

Islamic bank in Dubai (photo: Deutsche Welle/Andreas Brenner)
Downtown Seattle could soon boast its own Islamic banking quarter

Für Familien wie Mohamed und Zeinab kommt die Gelegenheit zum Eigentumserwerb zu einem Zeitpunkt, wo Seattle und andere Technologiestandorte des Landes eine rasante Mietpreissteigerung erleben. "Wir machen uns große Sorgen, was aus uns wird, wenn unser Vermieter den Vertrag nicht verlängert oder uns vor die Tür setzt. Für die heutige Miete würden wir wohl nichts Vergleichbares mehr finden", sagte Mohamed.

Steigende Mietpreise

Appartements mit separatem Schlafzimmer verzeichnen seit einigen Jahren enorme Preissteigerungen. Mit einer Durchschnittsmiete von 2.000 Dollar ist die Stadt auf dem Weg zu einer der teuersten des Landes. Damit tut sich eine Kluft auf, die die Behörden zwingt, alternative Wege zu beschreiten, um ihren Bürgern eine sichere Zukunft zu ermöglichen. Eine Zukunft, von der sich Zeinab ein besseres Leben verspricht.

"Wir besuchen Freunde in ihren eigenen vier Wänden, die von ihren aktuellen Umbau- oder Renovierungsplänen erzählen. Das kann ganz schön deprimierend sein", sagte die Hausfrau und Mutter. "Dank der Initiative werden wir vollwertige Mitglieder einer Gemeinschaft sein können, die uns ans Herz gewachsen ist."

Das Bürgermeisteramt äußerte die Hoffnung, man könne im nächsten Jahr damit beginnen, die geplanten Darlehen zu bewilligen. Man werde dem Land damit zeigen, dass man so dazu beitrage, "eine neue Gesellschaft zu schaffen, die nicht auf Angst, sondern auf Hoffnung und Gemeinschaftssinn" beruhe.

Mohamed kann dem nur zustimmen: "Wir sind so wie alle anderen auch. Auch wir möchten gute Zukunftsaussichten für unsere Familien und Kinder. Daher sind wir über den Vorstoß sehr glücklich. Gleichzeitig hoffe ich, dass die Menschen begreifen, dass islamisches Bankwesen nichts mit Terrorismus zu tun hat."

Joseph Mayton

© Qantara.de 2015

Übersetzt aus dem Englischen von Peter Lammers