Vorurteile gegenüber dem Islam abbauen

Seit diesem Herbst wird an der Universität Amsterdam das Fach Islamische Theologie angeboten. Damit will man einer möglichen Radikalisierung junger Muslime durch so genannte Import-Imame entgegenwirken sowie Vorurteile abbauen. Ruth Reichstein berichtet.

Seit diesem Herbst wird an der Universität Amsterdam das Fach Islamische Theologie angeboten. Damit will man einer möglichen Radikalisierung junger Muslime durch so genannte Import-Imame entgegenwirken sowie Vorurteile gegenüber dem Islam abbauen. Ruth Reichstein berichtet.

Gracht in Amsterdam; Foto: AP
Nach dem Mord an dem islamkritischen Filmemacher Theo van Gogh in den Niederlanden wurde das holländische Integrationsmodell in Frage gestellt

​​Eine Quelle für die Radikalisierung von jungen Muslimen sind nach Ansicht der holländischen Regierung - zumindest teilweise - Imame, die aus islamischen Ländern in die Niederlande kommen, um dort an den Moscheen zu wirken. Sie haben oft wenig bis gar keine Ahnung von der Lebenssituation in Europa.

Die Regierung wünscht sich deshalb Imame, die in den Niederlanden ausgebildet wurden. Seit diesem Herbst wird deshalb an der Universität Amsterdam das Fach Islamische Theologie angeboten.

Gemeinsame Ausbildung von Christen und Muslimen

Einer der Studenten ist ein 34-jähriger Marokkaner, der seinen Namen lieber nicht nennen will. Der junge Mann, der eigentlich gewohnt ist, vor Menschen zu sprechen, wirkt ein wenig aufgeregt. Denn er muss ausgerechnet seinen christlichen Kommilitonen den christlichen Gottesbegriff erklären.

Als Muslim etwas über das Christentum erzählen, das findet er schwierig: "Wenn ich über meine eigene Religion spreche, habe ich Argumente. Hier brauche ich erst einmal eine Basis. Also habe ich viel im Internet und in Büchern über das Christentum gelesen, um mich vorzubereiten."

Der Marokkaner ist einer von rund 40 Studenten, die sich für den Studiengang Islamische Theologie an der Universität Amsterdam entschieden haben. Seit diesem Herbst gibt es die neue Ausbildung.

Im ersten Jahr des Bachelor-Studiengangs nehmen die Muslime gemeinsam mit den Christen am Unterricht teil und müssen sich gegenseitig in die jeweils andere Religion einarbeiten. Danach trennen sich die Studenten nach ihren verschiedenen Spezialgebieten.

Mord an Theo van Gogh gab den Ausschlag

Schon lange wurde in den Niederlanden über eine solche Ausbildung diskutiert. Den Ausschlag hat letztendlich der Mord an dem islamkritischen Filmemacher Theo van Gogh gegeben. Er war im vergangenen Dezember von einem fanatischen Islamisten auf offener Straße erstochen worden. Anschließend hatte es in den Niederlanden gewalttätige Ausschreitungen sowohl gegen muslimische als auch gegen christliche Einrichtungen gegeben.

"Danach war die Zeit reif, das durchzusetzen", sagt Professor Henk Vrom, verantwortlich für den neuen Studiengang. "Die Regierung hat sehr lange mit den Muslim-Organisationen gesprochen, aber sie konnten sich nicht einigen. Jetzt geschieht endlich etwas. Es ist wichtig, dass Muslime jetzt die Möglichkeit bekommen, ihre Theologie selbst zu betreiben und auch über ihren Glauben nachzudenken."

Das Fremde kennen lernen

Die Studenten lernen nicht nur die Geschichte ihrer eigenen Religion, islamisches Recht und Koran-Verse. Sie sollen auch etwas über andere Religionen und Kulturen erfahren.

"Ein Drittel der Studienzeit ist man mit anderen Studenten zusammen. Da lernt man Religionsphilosophie, lernt zu argumentieren, lernt andere Standpunkte kennen", erklärt Henk Vrom.

Dadurch solle man das Fremde erfahren. Darüber hinaus lernen die Studenten etwas über das Christentum, über säkulare Ethik und über Religion und Politik.

Über 180 Personen hatten sich als Interessenten gemeldet. Ungefähr 40 wurden ausgewählt, meist ägyptischer oder marokkanischer Herkunft. Die meisten wurden allerdings in den Niederlanden geboren und sind dort auch groß geworden.

Sie sollen nach ihrem Studienabschluss vor allem in Gefängnissen und Krankenhäusern arbeiten, um den Muslimen dort zur Seite zu stehen und mit den Verantwortlichen über mögliche Probleme zu sprechen.

Bisher beherrscht kaum ein Imam der offiziell rund 70 niederländischen Moscheen die Sprache dieses Landes. Es ist aber nicht gesagt, dass die Absolventen tatsächlich in Moscheen predigen werden. Denn wer vor den Gläubigen spricht, bleibt den Moscheevereinen überlassen - wie bei den christlichen Kirchen auch.

Brücken schlagen zwischen den Religionen

Ganz unabhängig von ihrem zukünftigen Arbeitsplatz sollen die Studienabgänger aber vor allem Brücken schlagen zwischen Muslimen und Christen - und dabei helfen, Vorurteile abzubauen.

"Ich habe mich für dieses Studium entschieden, weil in Europa alle so kritisch auf den Islam schauen und es ein verkehrtes Bild von unserer Religion gibt", begründet der marokkanische Student seine Wahl. "Deshalb möchte ich Argumente haben, um den Menschen zu zeigen, dass unsere Religion eine Freude ist - und nicht das, was sie denken. Und ich möchte auch wissen, wie die Christen denken, damit ich besser mit ihnen diskutieren kann."

Die Reaktionen in seinem Umfeld seien gemischt, erzählt er. Die meisten fänden die neue Ausbildung gut. Einige seien allerdings auch dagegen:

"Sie sagen: 'Unser Weg ist der richtige! Warum musst Du wissen, was die andere Seite denkt?!'"

Drei Jahren dauert die Ausbildung. Unterrichtet wird in Niederländisch. Manchmal wird allerdings auch etwas Arabisch gesprochen, um die Fachbegriffe in beiden Sprachen zu beherrschen.

Wenn sich der neue Studiengang bewährt, will die Fakultät von Henk Vrom noch einen Schritt weiter gehen: Die muslimischen Studenten in anderen Fächern sollen die Möglichkeit bekommen, einige Monate islamische Theologie zu belegen, um so eine bessere Kenntnis ihrer eigenen Religion zu bekommen. So, glaubt Henk Vrom, würden viele radikale Ansichten und Missverständnisse von selbst verschwinden.

Ruth Reichstein

© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2005

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