''Grüner'' Pop mit religiöser Botschaft

In der Türkei gewinnt islamische Rockmusik immer mehr an Boden. Doch zum international vertrauten Beat gesellen sich hier eine Preisung Gottes und die Aufforderung, einem islamischen Lebensstil zu folgen. Dorian Jones berichtet.

Von Dorian Jones

Feridun Özdemir; Foto: feridunozdemir.com
"Ich drücke meinen Glauben mit Schreien aus", sagt Feridun Özdemir, einer der derzeit bekanntesten Vertreter der islamischen Popmusik in der Türkei

​​Die Medien tauften die Welle islamischer Rockmusik bereits "yeşil pop" - grüner Pop. Und da die Zahl der verkauften Tonträger einiger Künstler die Millionengrenze überschritten hat und damit die westliche Popmusik leicht überflügelt, lässt sich durchaus von einem wichtigen kulturellen Trend sprechen. Mit seinen schulterlangen schwarzen Haaren und seinen eng anliegenden Jeans sieht Feridun Özdemir aus wie ein typischer Rockstar. Er ist gegenwärtig wohl der erfolgreichste Künstler innerhalb der islamischen Popmusik.

Ich treffe ihn bei Marmara FM, wo er eine eigene Sendung hat. Marmara FM ist einer der angesagtesten Radiosender Istanbuls, wo es inzwischen mehr als ein Dutzend Radiosender gibt, die nur islamischen Pop spielen. Zur besten Sendezeit am frühen Abend erreicht Özdemir mit seiner Sendung eine halbe Million Hörer. Für ihn war die Kombination aus Rock und religiöser Botschaft nie ein Widerspruch, sagt er.

"Ich hatte schon immer gute Freunde in der Rockszene und ich mochte die Musik. Aber ich bin mit religiöser Musik und ihrer Botschaft aufgewachsen. Da ich Gitarre spiele, dachte ich, dass ich, wenn ich irgendwann selbst Musik machen würde, versuchen würde, beides miteinander zu verbinden, und so war es etwas vollkommen Selbstverständliches für mich."

Keine Sängerinnen

Im Yildirim-Plattenladen, nahe der Universität von Istanbul, an der viele Kunden studieren, ist reger Betrieb. Die Regale sind randvoll mit CDs und Kassetten und zeigen doch nur einen kleinen Ausschnitt aus der Vielfalt islamischer Popmusik. Einflüsse kommen aus dem Rock genauso wie aus Reggae und Dance; nur Sängerinnen, ansonsten oft so populär in der türkischen Popszene, sucht man im "Grünen Pop" vergebens.

Besitzer des Musikgeschäfts ist Hasan Türker, der zugleich für ein halbes Dutzend islamischer Popbands den Vertrieb organisiert. Für ihn spiegelt der Boom der "grünen" Bands bedeutende soziale Veränderungen in der Türkei wieder. "Bis in die 80er Jahre interessierte sich kaum jemand in der Türkei für neue islamische Musik, aber Mitte der 90er Jahre änderte sich alles sehr schnell. Es gab auf einmal viele neue Radio- und Fernsehsender, die türkische Popmusik spielten. Zur gleichen Zeit sahen wir die ersten Erfolge einer islamischen Partei.

"Vor allem jüngere Menschen wurden dadurch sehr beeinflusst. Man kann also sagen, dass die 90er Jahre den kulturellen Boden für diese Musik bereiteten. Inzwischen ist es wirklich eine Riesensache geworden, jeden Tag werde ich von neuen Bands angesprochen." Innerhalb nur weniger Jahre hat sich eine ganze Industrie um das neue Genre herum gebildet. Die Videos, die von den "grünen" Popbands gemacht werden, sind mindestens so aufwändig produziert wie die der säkularen Gruppen, nur eben ohne die sexy gekleideten Mädchen, die man ansonsten im Fernsehen zu sehen bekommt. Im Zuge dieser Welle boomen schließlich auch die islamischen Fernsehsender und Radiostationen in der Türkei.

 

Parallele Leben

Nuray Mert; Foto: turkishtime.com
Nuray Mert, Politikwissenschaftlerin und Kolumnistin

Die Politikwissenschaftlerin und Kolumnistin Nuray Mert meint, dass sich die Türkei auf zwei parallelen Entwicklungspfaden bewege. ​​"Die Türken leben zwei parallele Leben. Das beginnt damit, welche Musik man hört, was für Nachbarn man hat, bis zum Stadtteil, in dem man wohnt. Zwischen diesen Welten gibt es keinerlei Austausch; man begegnet jemandem aus der anderen Sphäre als völlig Fremden."

Diese Trennung ist so extrem, dass viele der säkular geprägten Türken gar nicht wissen, dass es das Phänomen der islamischen Popmusik überhaupt gibt. Songül Ata, Lehrbeauftragte an der Technischen Universität von Istanbul, gehört zu den wenigen weltlichen Türken, die sich intensiv damit beschäftigt haben. Ata glaubt, dass der Erfolg dieses Genres als Reaktion auf den immer stärkeren Einfluss der westlichen Musik seit Mitte der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts zu verstehen ist.

Den Menschen geht es dabei vor allem um die Bewahrung ihrer Identität. Wenn sie dies durchaus positiv sieht, sorgt sie sich doch um die Botschaft, die durch die Musik verbreitet wird. "Ich halte sie für sehr gefährlich. Es ist dieses 'Gott, du weißt alles', die ganze Zeit. Immer nur 'Gott ist groß'. Und über das Paradies singen sie auch unaufhörlich. Dieser Fatalismus ist nicht gut für die Menschen. Es wertet die Wissenschaft ab, wenn angeblich nur Gott alles weiß."

Islamischer Zeitgeist

Feridun Özdemir weist solche Bedenken weit von sich. Für ihn geht es doch bloß um den gegenwärtigen Zeitgeist, wie bei jeder anderen Art von Rockmusik auch. Er spricht halt viele junge Menschen an, warum auch nicht? "Die Grundlage der Rockmusik ist das Schreien; damit drückt sie sich aus, hat sich immer schon ausgedrückt, genau wie durch den Rhythmus. Traditionelle religiöse Musik dagegen ist sehr sanft und ruhig. "Und jetzt schauen Sie sich die Welt von heute an, was sehen Sie? Kriege, Länder, die besetzt werden, so viele Tote. Ich drücke meinen Glauben mit Schreien aus, auch weil ich glaube, dass die heutige Jugend sich damit viel eher identifizieren kann."

Özdemirs letztes Konzert in Istanbul ist bis auf den letzten Platz ausverkauft. Der größte Teil der Zuschauer ist noch im Teenageralter, höchstens aber Mitte 20, und fast nur Männer sind zu sehen. Özdemirs Musik ist laut, er läuft und springt über die Bühne wie jeder andere Rockstar auch. Die Zuschauer aber sitzen brav in ihren Sitzen und klatschen ebenso gesittet nach jedem Song. Die oberflächlich so zurückhaltende Reaktion auf die Musik sagt aber nichts aus über die Liebe der Fans zum "grünen" Pop.

Der Student Cem Gun etwa kann gar nicht genug davon bekommen. "Was ich an der Musik mag, ist die Verbindung von den islamischen Idealen, die die Musik transportiert, und dem Rhythmus. "Wichtig ist, was dahinter steckt, was die Musik aussagt. Vor allem ist es auch das, was sie von der normalen türkischen Popmusik und der Musik aus dem Westen unterscheidet. Die Leute, die diese Musik machen, das sind welche von uns, das spürt man. Deshalb ist es unsere Musik und ich liebe sie einfach."

Dorian Jones

Übersetzung aus dem Englischen von Daniel Kiecol

© Qantara.de 2007