Bankiers Gottes

Immer mehr Muslime wollen ihr Geld nach den Prinzipien der Sharia anlegen. Auch westliche Banken sind in das islamische Geschäft eingestiegen. Von Alfred Hackensberger

Immer mehr Muslime wollen ihr Geld nach den Prinzipien der Sharia anlegen. Auch westliche Banken sind in das islamische Geschäft eingestiegen. von Alfred Hackensberger

Islamische Bank in Malaysia, Foto: AP
Islamische Bank in Malaysia

​​Wo legt eigentlich Ussama bin Laden sein Vermögen an? Als Anhänger der Sharia müsste der ehemalige Bauunternehmer das so genannte islamische Bankwesen bevorzugen, Terrorismusexperten gehen allerdings davon aus, dass al-Qaida transportable und schnell verkäufliche Geldanlagen wie Gold oder Diamanten bevorzugt.

Ähnlich wie das Hawala-Überweisungssystem werden auch islamische Banken verdächtigt, die finanziellen Transaktionen von al-Qaida und anderen weltweit operierenden terroristischen Netzwerken abgewickelt zu haben. Nach dem 11. September 2001 gerieten die islamischen Banken mehrfach ins Fadenkreuz geheimdienstlicher Ermittlungen, Beträge in Millionenhöhe wurden beschlagnahmt und Konten und Fonds gesperrt. Das islamische Banksystem erlitt einen enormen Imageverlust.

Islamisch Sparen auch bei Deutscher Bank möglich

Doch Banken können kaum für das Verhalten ihrer Kunden verantwortlich gemacht werden, und eine strenge Trennung zwischen islamischem und nicht islamischem Banking gibt es ohnehin nicht mehr. Viele traditionelle arabische Banken haben "islamische Abteilungen" eröffnet, und auch bei westlichen Großbanken wie HSBC, der Citibank und der Deutschen Bank kann man nach islamischen Prinzipien sein Geld anlegen.

Die Branche wächst um 15 Prozent jährlich. "Die Zahl islamischer Banken und Investmentfonds ist auf mehr als 270 gestiegen, mit einem Vermögen von 260 Milliarden Dollar und Einlagen von mehr als 200 Milliarden Dollar", erklärte Saleh Kamel, Vorsitzender des General Council of Islamic Banks and Financial Institutions, in der vergangenen Woche.

Gemessen am Gesamtvermögen aller Muslime – allein die saudi-arabischen Auslandsinvestitionen werden auf über eine Billion Dollar geschätzt – ist das wenig. Aber das Potenzial des "Islamic Banking" sei immens hoch, schrieb Trends, ein in Paris erscheinendes Magazin über die arabische Welt: "Es gibt 1,5 Milliarden Muslime in der ganzen Welt, und wenn man davon nur zwei oder drei Prozent als Kunden betrachtet, ist das ein großes Publikum." Man müsse nur Produkte anbieten, die dem "Glauben" entsprechen.

Investitionen statt Verzinsung

Der "Glaube" ist für die Anleger ausschlaggebend, die religiöse Integrität entscheidend. Investiert wird auf der Basis des islamischen Rechts, der Sharia, die Zinsen sowie Geschäfte mit Alkohol, Tabak, Glücksspiel und Schweinefleisch verbietet.

An die Stelle der garantierten Verzinsung tritt die Gewinnbeteiligung durch Investitionen. Das erhöht, besonders bei langfristigen Investitionen, das Risiko des Anlegers, der sich nicht sicher sein kann, dass der Profit seinen Erwartungen entspricht. Deshalb werden kurzfristigere Anlagen bevorzugt.

"Gleiches für Gleiches"

Idealerweise basiert das islamische Bankwesen auf dem "gerechten Austausch", den der Prophet und Fernhändler Muhammad propagierte: "Gleiches für Gleiches, Hand zu Hand, in gleichen Teilen."

In der Praxis aber sind die Unterschiede zum westlichen Bankensystem gering. Man sucht ein akzeptables Investment mit geringem Risiko. Man will Geld machen, die religiöse Verkleisterung gibt dem Ganzen nur einen ethisch-moralischen Anstrich.

Islamische Banken überall

Das islamische Bankwesen ist relativ jung. 1974 wurde die Islamic Development Bank gegründet, die heute von 55 Regierungen getragen wird und nach Sharia-Prinzipien Projekte in ökonomisch rückständigen Mitgliedsländern fördert. Ende der siebziger Jahre entstanden in Kuwait, Dubai und im Sudan die ersten explizit "islamischen" Banken, in den achtziger Jahren erfolgte mit der Gründung der Bank Islam Malaysia die Ausweitung des Konzepts nach Asien.

Seit Beginn der neunziger Jahre sind islamische Banken rund um die Erde zu finden. Der gewachsene Wohlstand in vielen islamischen Ländern und die stärkere Hinwendung zur Religion ließen einen neuen Geschäftsbereich entstehen.

Islamische Finanzinstitutionen lassen sich in der Regel von einem religiösen Konsortium beraten, das den Koran, die Aussprüche (Hadith) und die Lebensgeschichte (Sunna) des Propheten interpretiert.

Verschiedene Interpretation der Quellen

Der Versuch, die fast 1.400 Jahre alten Texte auf die moderne Wirtschaft anzuwenden, führt jedoch zu unterschiedlichen Interpretationen. Mittlerweile existiert eine unfangreiche Literatur zum Recht des islamischen Finanzsystems, allgemein anerkannte Regeln gibt es jedoch nicht.

Seit 1999 gibt es zwei islamische Market Indices, den dem US-amerikanischen Dow Jones angeschlossenen DJIM und den FTSE. In diese Indices werden Firmen aufgenommen, deren Geschäftstätigkeit mit der Sharia kompatibel ist. Wer etwas mit Alkohol, Tabak, Schweinefleisch und verbotenem Entertainment zu tun hat oder seinen Gewinn durch "Zinsen" erzielt, wird nicht aufgenommen bzw. gegebenenfalls ausgeschlossen.

Auch für Nichtmuslime interessant

Da islamische Banken theoretisch ihren Anlegern auch Verluste in Rechnung stellen müssten, ist die Risikovermeidung von besonderer Bedeutung. Jede Firma muss ein niedriges Schuldenniveau haben. Eine zu große Überschuldung führte zum Ausschluss von WorldCom, ein Jahr bevor das US-Unternehmen zusammenbrach. Diese Maßnahme ersparte vielen islamischen Anlegern große Verluste. Im April 2003 wurden AT&T und Motorola aus dem gleichen Grund ausgeschlossen.

Diese konservative Anlagepolitik und die Ähnlichkeiten mit dem "ethischen Investment", das die Beteiligung an der Produktion gesundheitsschädlicher Waren ablehnt, könnten das islamische Bankwesen auch für Anders- und Ungläubige attraktiv machen. "Die Indices haben großes Interesse außerhalb der islamischen Gemeinschaft hervorgerufen", wirbt Dow Jones.

Auch das Zinsverbot findet bei manchen Nichtmuslimen Anklang. "Zinsen können ein Hindernis für Arbeitsplätze sein, können Geldkrisen erzeugen und Handelsprobleme verstärken", glaubt der britische Finanzexperte Warren Sofies.

Branche setzt auf Wachstum

Vor allem aber expandiert der islamische Wirtschaftssektor, weil er als Teil des Abwehrkampfes gegen eine als "anti-islamisch" betrachtete Politik der westlichen Welt gilt. Der Islam gilt als ein Vehikel der individuellen wie nationalen Selbstbehauptung. Einer Studie des Institute for Islamic Banking & Insurance zufolge bevorzugen 55 Prozent der befragten Muslime islamische Banken.

Tatsächlich hatten aber nur 21 Prozent ein Konto bei einer islamischen Bank. Dieser Anteil soll sich in den nächsten acht bis zehn Jahren auf 50 Prozent erhöhen.

"Das Wichtigste ist im Moment", meint Tarik al-Rafai, der Vizepräsident der islamischen Abteilung der US-amerikanischen HSBC, "dass man so viele Produkte anbietet, wie der Markt verlangt." Für ihn ist das islamische Banking vor allem ein Mittel, neue Kundenkreise anzusprechen: "Aus der Marketingperspektive betrachtet, bringt die Kompatibilität mit der Sharia den Kunden in die Bank. Das religiöse Prinzip zahlt sich aus."

Alfred Hackensberger

© Jungle World, 5. Mai 2004