Umweltschutz mit dem Koran?

Entwicklungshilfeorganisationen müssen definieren, auf welcher gemeinsamen Wertegrundlage sie mit muslimischen Partnern zusammenarbeiten wollen. Aber wie wichtig ist der Bezug auf den Islam für das Gelingen von Entwicklungshilfeprojekten tatsächlich? Von Martina Sabra

Staatliche und nichtstaatliche Entwicklungshilfeorganisationen müssen definieren, auf welcher gemeinsamen Wertegrundlage sie mit muslimischen Partnern zusammenarbeiten wollen. Aber wie wichtig ist der Bezug auf den Islam für das Gelingen von Entwicklungshilfeprojekten tatsächlich? Ein Beitrag von Martina Sabra.

Koranschule in Kabul; Foto: AP
Spielt der Islam in der Entwicklungszusammenarbeit eine entscheidende Rolle? Nein, meinen viele Experten, wichtiger sind die Fachkenntnisse

​​Eine Landschule einhundertfünfzig Kilometer südöstlich von Casablanca. Umweltschutz ist heute das Thema. Man müsse Bäume und Pflanzen achten, erklärt der Lehrer; nicht nur, weil sie Schatten spenden, sondern auch weil ihnen als Schöpfung Gottes Respekt gebührt. Zur Verdeutlichung zitiert der Lehrer einen Ausspruch des Propheten Mohammed. Die Kinder hören aufmerksam zu.

Islamische Begründungen für besseren Umwelt- und Ressourcenschutz? Dieses Vorgehen ist in der Entwicklungszusammenarbeit nicht neu. Viele Entwicklungsorganisationen beziehen in ihrer täglichen Arbeit schon seit Jahrzehnten islamische Werte und Würdenträger ein, und erzielen damit gute Erfolge.

"Wir wenden uns selbstverständlich zunächst an die Schura, die Versammlung der Dorfältesten", sagt Wiltrud Gutsmied, als Referentin beim Malteserhilfswerk zuständig für insgesamt 18 meist ländliche Hilfsprojekte in Afghanistan.

Auch Ayman Mazyek, Gründungsmitglied der christlich-muslimischen Hilfsorganisation "Grünhelme", betrachtet die Kooperation mit islamischen Strukturen als unspektakulär.

"Natürlich braucht man einen engen Kontakt zu den islamischen Würdenträgern vor Ort. Sie sind schließlich Respektspersonen", sagt Mazyek. "Und es wäre sicher sehr hilfreich, wenn manche Helfer mehr Detailkenntnisse über die jeweilige Ausprägung des Islams vor Ort hätten. Aber unterm Strich sind die technische und die menschliche Qualifikation bei uns wichtiger als die religiöse Überzeugung oder das religiöse Detailwissen."

Berührungsängste gegenüber dem Islam

"Islamsensible" Entwicklungszusammenarbeit ist also keine brandneue Erfindung. Dass das Thema in letzter Zeit intensiver debattiert wird, liegt vor allem am veränderten politischen Rahmen

"Nach dem 11. September 2001 hat man begonnen, sich stärker mit dem Islam auseinanderzusetzen", sagt die Islamwissenschaftlerin und Westafrika-Expertin Ruth Bigalke von der GTZ. "Und da war natürlich auffällig, dass, während man zum Beispiel in Lateinamerika mit Kirchen zusammengearbeitet hat, es mit islamischen Organisationen immer Berührungsängste gegeben hat."

Berührungsängste seien jedoch gerade in Westafrika nicht angebracht, so die junge Expertin. "Die Bewahrung der Schöpfung, soziale Gerechtigkeit, Mitleid mit Schwachen – all das ist nicht nur im Christentum wichtig, sondern auch im Islam."

Ruth Bigalke hat in Mali erlebt, wie muslimische Geistliche öffentlich gegen die Ausgrenzung von HIV-Aids-Infizierten protestierten – im Namen der islamischen Barmherzigkeit. In Mauretanien, erzählt sie, wirkten islamische Würdenträger zurzeit an einem Gesetz gegen die Genitalverstümmelung von Mädchen mit.

Vorwurf der Missionierung

Neben den Schockwellen des 11. September 2001 gibt es noch andere Faktoren, die die Entwicklungsorganisationen dazu veranlasst haben, das Thema Islam und EZ auf die Tagesordnung zu setzen. Für kirchliche Organisationen ist ein wichtiger Faktor, dass sie bei ihrer Arbeit in islamisch geprägten Ländern immer häufiger dem Vorwurf der Missionierung ausgesetzt sind. Das ruft nach Positionierung.

Ein weiterer Faktor ist, dass islamische Nichtregierungsorganisationen, Individuen oder Wirtschaftsunternehmen zunehmend selbst als Akteure der Entwicklungszusammenarbeit auftreten. Islamische Banken, islamische Hilfsorganisationen und reiche muslimische Mäzene stehen in einigen Ländern in Konkurrenz zu westlichen Geldgebern.

Teilweise genießen die islamischen mehr Vertrauen bei der Bevölkerung als die westlichen Institutionen. Wer allerdings solche religiösen Gruppen unhinterfragt unterstützt, im Glauben, sie seien "authentischer" oder glaubwürdiger, der läuft Gefahr, totalitäre islamische Identitätsdiskurse noch zu verstärken und antidemokratische politische Strömungen zu fördern.

Ein weiterer Faktor ist das Erstarken islamistischer politischer Bewegungen und Gruppierungen in zahlreichen islamisch geprägten Ländern.

Bekanntestes Beispiel der jüngeren Zeit ist Palästina. Dort wurden nach dem Wahlsieg der islamistischen Hamas Anfang 2005 westliche Entwicklungsgelder zunächst komplett gestrichen.

Eingeschränkte Bedeutung der Islamsensibilität

Doch andererseits komme man in Palästina an islamistischen Akteuren kaum noch vorbei, weil diese im Parlament und in den Stadträten mit über den Bau von Wasserleitungen oder Krankenhäusern entschieden.

"Es handelt sich ja bei den Islamisten um eine Strömung, die wirklich die Mitte der Gesellschaft repräsentiert", urteilt Bigalke. "Zu sagen, wir kooperieren nur mit säkularen Eliten, da schneidet man sich wirklich ins eigene Fleisch und erreicht keine Breitenwirksamkeit."

Anders ausgedrückt und bezogen auf das eingangs genannte Beispiel: Koranzitate sind sicher nützlich, um bei arabischen oder muslimischen Schulkindern das Umweltbewusstsein zu stärken.

Doch wenn es darum geht, Naturschutzgebiete zu erhalten oder Umweltsündern das Handwerk zu legen, helfen auch in einem islamisch geprägten land wie Marokko nur strenge Gesetze und eine Polizei, die in der Lage ist, diese effektiv zu überwachen.

Genaueres Wissen über den Islam schadet zwar nicht, aber für den Erfolg von Entwicklungsprojekten ist die so genannte "Islamsensibilität" nur sehr eingeschränkt von Bedeutung.

Martina Sabra

© Qantara.de 2007

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