Unwillkommenes europäisches Angebot im Atomstreit

Wirtschaftliche Anreize, so hoffen die Unterhändler der EU, könnten Iran zum Verzicht auf die Urananreicherung bewegen. Doch die wirtschaftliche Kooperation mit dem Westen ist nicht so willkommen, wie die Europäer glauben. Von Michael Heim

Von Michael Heim

Mahmoud Ahmadinejad; Foto: AP
Glaubt, auf das Wohlwollen des Westens verzichten zu können: der iranische Präsident Mahmoud Ahmadinejad

​​Um Iran von der Wiederaufnahme der Urananreicherung abzubringen, setzen die europäischen Unterhändler auf die Verlockungen des Geldes. Sie stellen Iran Handelsabkommen und einen Beitritt zur Welthandelsorganisation in Aussicht, um der angeschlagenen iranischen Wirtschaft wieder auf die Beine zu helfen. Doch wie die bisher ergebnislosen Verhandlungen zeigen, will das sonst so zuverlässige Mittel der Checkbuch-Diplomatie im Falle Irans nicht so recht greifen. Denn das europäische Angebot hat es in sich: Es verstrickt die Europäer in den inneriranischen Machtkampf um die lukrativsten Pfründen des Regimes.

Ohne Ausländer

Nach dem Kalkül der Europäer ist Teheran auf wirtschaftliche Reformen, Investitionen ausländischer Firmen und die Einbindung des Landes in den Weltmarkt angewiesen. Diese Auffassung wird auch in Iran geteilt, und das nicht nur im Lager der Reformer. Auch unter den Konservativen halten pragmatisch ausgerichtete Politiker die Öffnung des Landes für längst überfällig. Um die Gefahr sozialer Unruhen abzuwenden, rufen sie nach Wirtschaftsreformen zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Der mächtigste Vertreter dieser Strömung, Ali Akbar Hashemi Rafsanjani, steht für das chinesische Modell: Liberalisierung ja, aber nur in der Wirtschaft. Über diesen Kurs besteht jedoch kein Konsens.

Um Arbeitslosigkeit und Armut zu bekämpfen, glaubt der neue iranische Präsident Ahmedinejad auf das Wohlwollen des Westens verzichten zu können. Er setzt, soweit bisher erkennbar, auf staatliche Arbeitsbeschaffungsmassnahmen, finanziert durch Erlöse aus dem Öl- und Gasgeschäft. Die Traditionalisten im islamischen Regime, zu denen neben Ahmedinejad auch der Revolutionsführer Khamenei zu rechnen ist, haben das Engagement ausländischer Firmen in Iran in der Vergangenheit immer wieder erfolgreich blockiert.

Dieser Widerstand ist jedoch nicht blosser Ausdruck einer rückwärts gewandten Ideologie - es geht um Geld. Im geschützten Biotop der iranischen Binnenwirtschaft ist ein System von Pfründen und Patronage entstanden, das dem politischen Klerus die Taschen füllt und dessen Einfluss sichert. Dazu gehören massgeblich die Bonyads, die wohltätigen Stiftungen - Konglomerate, zu denen grosse Ländereien und ganze Industrien gehören. Die Stiftungen beschäftigen sich nur noch am Rande mit caritativen Aufgaben.

In ihren Händen befinden sich Fluggesellschaften, Universitäten, Baufirmen und Reiseveranstalter, sie dominieren den Markt für Coca-Cola, steuern Banken und sind als Reeder tätig. Sieht man einmal vom Ölgeschäft ab, konzentrieren sich zwischen 40 und 60 Prozent der Wirtschaftskraft Irans in den Händen der Stiftungen.

Keine Finanzkontrolle

Dieses enorme wirtschaftliche Potenzial ist der öffentlichen Kontrolle, auch durch die Finanzbehörden, entzogen. Die Stiftungen unterstehen direkt und ausschliesslich dem Revolutionsführer. Die Einnahmen der Bonyads dienen dem konservativen Netzwerk um Khamenei - das auch persönlich, etwa über verwandtschaftliche Beziehungen, eng mit den Stiftungen verbunden ist - als Schattenbudget, mit dem es bei Bedarf an der Regierung vorbei Politik machen kann. Das reicht vom Transport linientreuer Demonstranten zu Massenkundgebungen nach Teheran bis hin zur Finanzierung des libanesischen Hizbullah, ohne dass Regierung und Parlament darüber irgendeine Form der Kontrolle ausüben oder auch nur über die Aktivitäten im Bild sind. Gut versorgt mit Geldern aus den Kassen der Stiftungen, verfügen die Verfechter der harten Linie über eine parallele Machtstruktur unter ihrer exklusiven Kontrolle.

Die zweite Säule zur Finanzierung dieses Systems ist der Basar. Die Zusammenarbeit von Händlern und Mullahs entsprang den Versuchen des Schahs, das Land zwangsweise zu modernisieren und für ausländische Firmen zu öffnen. Die Basarhändler sahen dadurch ihr Handelsmonopol gefährdet und unterstützten die schiitischen Kleriker im Widerstand gegen den Schah. In den Jahren nach der Islamischen Revolution entwickelte sich die Allianz von Basar und Moschee zu einem trauten Geben und Nehmen, bei dem die Mullahs des Regimes von Spendengeldern profitierten, während sie im Gegenzug einträgliche Privilegien wie zum Beispiel den Zugang zu subventionierten Devisen an die Basarhändler vergaben.

Mit gutem Grund verstehen sich daher die Traditionalisten als Sachwalter ihrer wirtschaftlichen Partner aus dem Basar. Sie laufen Sturm, wenn die Modernisierer sich daranmachen, das Land für ausländische Firmen zu öffnen wie einst der Schah. Zugleich bedroht die Integration Irans in den globalen Markt die lukrativen Produktionsmonopole der Bonyads. Wenn aus dem Ausland wettbewerbsfähige Konkurrenz auf den Markt drängt und die Gewinne der Stiftungen einbrechen, wird das in Kreisen der Hardliner, im Zentrum der Macht, schmerzhaft in der Kriegskasse zu spüren sein.

Gewinne abschöpfen

Das bleibt nicht ohne Folgen für die europäischen Versuche, Iran von der Urananreicherung abzuhalten. Während die wirtschaftliche Öffnung des Landes und ein stärkeres Engagement ausländischer Firmen aus Sicht der Modernisierer willkommen sein mögen, ruft dies den erbitterten Widerstand der Hardliner auf den Plan. Deren Interesse beschränkt sich auf den blossen Austausch von Waren, solange das die Strukturen nicht beeinträchtigt und die bestehenden Monopole am Zwischenhandel kräftig verdienen können.

Eng gefasste Handelsabkommen mit den Europäern sind da durchaus willkommen, denn Profite aus dem Aussenhandel, die von Bonyads und Basar abgeschöpft werden können, fliessen in die Netzwerke der Hardliner weiter und stabilisieren deren informellen Zugriff auf die Macht. Vorschläge wie die Förderung des iranischen Beitritts zur Welthandelsorganisation bedrohen dagegen die materielle Basis der alten Garde des Regimes. Die Kooperation der Hardliner in der Atomfrage wird durch das Versprechen, Iran in den Weltmarkt zu integrieren, deshalb nicht gefördert, sondern erschwert.

Michael Heim

© Neue Zürcher Zeitung 2005

Michael Heim ist Islamwissenschafter und Publizist; er lebt in Hamburg.