An der Oberfläche

Die Zeitschrift EMMA widmet sich in ihrer aktuellen Ausgabe dem Kampf der "Mädchen der Revolutionsstraße" gegen den Kopftuchzwang im Iran. Eine klare Position ergreift die einst so kämpferische Zeitschrift dabei nicht, meint Fahimeh Farsaie.

Von Fahimeh Farsaie

Haare –  ob dicht, gelockt oder schwarz: Einst inspirierten sie Dichter wie Hafez zu brillanter Lyrik. Nun sind sie Symbol des Widerstands der Iranerinnen gegen das Mullah-Regime. In der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift EMMA geht es um die Haare der Iranerinnen als feministische Waffe.

Der Titel des thematischen Schwerpunkts der Mai/Juni-Ausgabe lautet: "Iran – unser Kampf gegen das Kopftuch". Es geht um die Kettenproteste der Töchter der Revolutionsstraße, die am 27. Dezember 2017 begannen: An diesem Tag stieg Vida Movahed auf einen Stromkasten, band ihr Kopftuch an einen Stock und schwenkte es wie eine Fahne.

Keine Zähne mehr zeigen?

Titelbild der Mai/Juni-Ausgabe der Zeitschrift EMMA
Fehlender Biss: Will EMMA als "das politische Magazin für Menschen" den Verteidigern der frauenfeindlichen Lehre des Islams im Iran keine Zähne mehr zeigen wie einst? Das könnte vielen Iranerinnen nicht gefallen. Denn sie betrachten Alice Schwarzer, die Gründerin der EMMA, als redliche Freundin und Beobachterin der Frauenbewegung des Landes.

"Kämpfen die Frauen gegen ein Stück Stoff oder gegen den frauenverachtenden Apparat der islamischen Regierung?", fragt man sich beim Lesen des Titels. Falls das Kopftuch ein Synonym für die staatliche Unterdrückung sein soll, warum nennt EMMA das Kind nicht beim Namen?

Aus den Gestaltungselementen des Covers ist nicht eindeutig zu entnehmen, ob hier "Kopftuch" symbolisch verwendet wird oder nicht: Da ist einfach nur die dichte, lockige, schwarz-braune Traummähne einer Frau im Stil einer Shampoo-Werbung zu bestaunen.

Und aus der vagen Beschreibung des Fotos in der Innenseite wird man auch nicht schlau: "Auf dem Titel ist eine der vielen Iranerinnen, die es wagen, inmitten des Mullah-Regimes den Schleier abzulegen." Will EMMA als "das politische Magazin für Menschen" den Verteidigern der frauenfeindlichen Lehre des Islams im Iran keine Zähne mehr zeigen wie einst?

Das könnte vielen Iranerinnen nicht gefallen. Denn sie betrachten Alice Schwarzer, die Gründerin der EMMA, als redliche Freundin und Beobachterin der Frauenbewegung des Landes. Sie reiste unmittelbar nach der Revolution 1979 nach Teheran und war empört, dass die Mehrheit der Aktivistinnen nicht nur keine Kritik an dem von Khomeini errichteten Gottesstaat und der Scharia übten, sondern sich sogar für die Revolution einsetzten.

Ihre kritischen und "radikalen" Ansichten hat Schwarzer unverhohlen in einem Beitrag mit dem Titel "Die Betrogenen" am 1. Mai 1979 in der EMMA veröffentlicht. Eine klare Stellungnahme, die damals in der iranischen Frauenszene wenig Zustimmung und viel Ablehnung hervorrief.

Fehlende gesellschaftspolitische Tiefe

Blättert man in dem Iran-Dossier, stellt man fest, dass die Beiträge dieses Mal in einem ganz anderen Format konzipiert worden sind. Hier geht es weder um eine klare Positionierung noch um irgendeine Art politisch-gesellschaftlicher Analyse, sondern nur darum, bloßes Interesse zu erwecken: Die "Emmas sind alle sehr, sehr beeindruckt von dem Mut der Iranerinnen".

Sie interessierten sich für ihre riskanten Aktionen und würden ihre Leserschaft darüber weiter informieren, heißt es im Vorwort des Iran-Dossiers. So habe die Redaktion mithilfe im Exil lebender Iranerinnen mit den protestierenden "Töchtern" Kontakt aufgenommen und sie über ihr Leben, ihre Aktion und ihre Wünsche befragt.

In diesem Rahmen porträtiert EMMA, neben den drei durch die Medien bekannt gewordenen Frauen Vida Movahed, Maryam Shariatmadari und Narges Hosseini, noch sechs Frauen zwischen 21 und 34 Jahren, die sich an der Kopftuch-Aktion in Teheran und Karadsch beteiligt haben. Einige von ihnen erzählen nicht nur von ihrer gewagten Tat und ihrer atheistischen Gesinnung, sondern stellen EMMA auch Fotos in ihren eigenen vier Wänden oder auf der Straße zur Verfügung.

Nasrin Sotudeh – die Verteidigerin

Um ihrer Informationspflicht zu genügen, führt die Redaktion auch ein umfassendes Interview mit Nasrin Sotudeh, einer der berühmtesten Menschenrechtlerinnen des Iran. Darin verteidigt sie die couragierten "Töchter", die der "Verdorbenheit" bezichtigt werden.

Sotudeh saß selbst wegen ihres Engagements für die Aktivistinnen der "Grünen Bewegung" zwei Jahre lang im Gefängnis. Ursprünglich wurde die Mutter zweier Kinder zu elf Jahren Haft, 20 Jahren Ausreiseverbot und lebenslänglichem Berufsverbot verurteilt. Das hindert sie aber nicht daran, sich auch weiterhin als Anwältin für die Gerechtigkeit einzusetzen: "Solange ich frei bin, ist es meine Aufgabe, dass Menschen zu ihrem gesetzlich festgeschriebenen Recht kommen", sagt sie im Interview.

Irans Menschenrechtsaktivistin Nasrin Sotudeh; Foto:  picture-alliance/abaca/K. Farzaneh
Engagiert für die Rechte der Frau im Iran: Die iranische Rechtsanwältin und Menschenrechtsaktivistin Nasrin Sotoudeh war Mitglied des "Komitees der Menschenrechtsverteidiger" im Iran, wo sie eng mit Shirin Ebadi zusammengearbeitet hatte. Sie wurde 2010 inhaftiert und kam erst nach internationalem Druck im Jahr 2013 frei, wobei sie immer noch mit einem staatlichen Ausreiseverbot belegt ist. 2012 erhielt sie den Sacharow-Preis des Europäischen Parlamentes.

Inzwischen protestieren noch mehr Frauen in aller Öffentlichkeit. Laut EMMA sind es bis dato 36 Mitstreiterinnen. Die Erste hat nicht im Iran, sondern in London demonstriert: Masih Alinejad. Trotzdem löste ein Foto von der 41-jährigen Aktivistin, das bei Facebook gepostet wurde, eine Protestwelle aus. Auf dem Foto sieht man sie unverschleiert auf einer Straße laufen, blühende Kirschbäume im Hintergrund. Der Wind weht durch ihre langen Haare.

Westliche Heuchelei

Im Gespräch mit einer EMMA-Redakteurin spricht sie über die Entwicklung ihrer Initiative My Stealthy Freedom, die die "Töchter" zu ihren aktuellen Aktionen inspirierte. "Sie war die Erste", lautet der Titel des Interviews, bei dem Alinejad auch Kritik an westlichen Politikerinnen übt, die auf ihren Reisen in den Iran Kopftuch tragen. Sie bezeichnet sie als Heuchlerinnen und verlangt unter anderem, dass sie "die Zwangsverschleierung auf ihren Besuchen endlich in Frage stellen".

Alinejads Forderung ist nicht neu. Die Kampagne "Nein zur Zwangsverschleierung", die seit 2009 gegen den Hidschab in der Diaspora kämpft, appellierte in ihrer ersten "Erklärung" an westliche Politikerinnen: "Macht jeden Dialog mit den religiösen Regierungen wie der iranischen von der Einhaltung der Rechte der Frauen und Kinder abhängig!"

EMMA will das Iran-Dossier weiter fortsetzen und verspricht, in der nächsten Ausgabe "die Geschichten der Iranerinnen im Exil" zu erzählen. Die ältere Generation iranischer Aktivistinnen ebenfalls zu Wort kommen zu lassen, ist ein begrüßenswertes Vorhaben. Nicht nur, weil sie und ihre Stories in der gegenwärtigen Geschichtsschreibung kaum Erwähnung finden, sondern auch, weil es das Geschichtsbewusstsein der Generation der "Töchter der Revolutionsstraße" fördert.

Vielleicht gibt es unter ihnen ja auch Frauen, die am 8. März 1979 an der ersten und einzigen Demonstration gegen Zwangsverschleierung in Teheran teilgenommen haben – weil sie den Glanz ihrer Haare nicht mit einem Stück Stoff verhüllen wollten.

Fahimeh Farsaie

© Iran Journal 2018