Misstrauen statt Kooperation

Der Konflikt zwischen Iran und dem Westen reicht ins 19. Jahrhundert zurück und findet im Streit um das iranische Atomprogramm seinen vorläufigen Höhepunkt. Dabei könnten beide Seiten durch eine Zusammenarbeit von Irans Position als regionale Ordnungsmacht profitieren. Von Christian Horbach

Symbolbild Iran und USA; Foto: AP Graphics
Wie liest man die iranische Außenpolitik richtig? Der Iran war Jahrhunderte lang Spielball ausländischer Mächte und misstraut daher dem Westen, meint Christian Horbach.

​​ Der Streit um das iranische Atomprogramm, der die Welt seit 2002 in Atem hält, ist zwar der augenscheinlichste Aspekt in den Verstimmungen zwischen dem Iran und dem Westen, aber beileibe nicht der Einzige. Bisher ist die Auseinandersetzung vor allem durch gegenseitiges Misstrauen geprägt und Formulierungen wie die vom "großen Satan" oder der "Achse des Bösen" tragen nicht gerade zu einer Entspannung bei.

Dabei haben die westlichen Regierungen längst die Notwendigkeit erkannt, die Beziehungen zum Iran auf eine konstruktive Basis zu stellen. Schließlich ist das Land am persischen Golf zu einer regionalen Großmacht aufgestiegen und wird in der Zukunft eine Schlüsselrolle in der internationalen Politik einnehmen. Die USA trugen dieser Entwicklung in ihrer "Greater Middle East"-Konzeption, in der dem Iran als Bindeglied zwischen dem arabischen und zentralasiatischen Raum eine herausragende Bedeutung zukommt, bereits Rechnung.

Woran liegt es dann aber, dass das Verhältnis zwischen dem Iran und dem Westen distanzierter denn je scheint? Viele politische Analysten schieben dem Iran einseitig den Schwarzen Peter zu und verweisen dabei auf den Streit um das iranische Atomprogramm, die anti-israelischen Hetztiraden Ahmedinejads sowie auf die innenpolitische Repressionspolitik des Teheraner Regimes.

Doch auch der Westen macht in diesem Spiel seine Fehler, die sich nur allzu häufig auf ein fehlendes Verständnis der iranischen Gegenseite zurückführen lassen. Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), spricht in diesem Zusammenhang in seinem Buch "Iran – eine politische Herausforderung" vom Problem des Westens, den "Iran richtig zu lesen." Wie aber liest man den Iran richtig?

Iran als rationaler Akteur

Obwohl aus den Reihen der iranischen Elite immer wieder scheinbar radikal-ideologische Statements zu vernehmen sind, spielt die Ideologie doch nur eine Nebenrolle in der außenpolitischen Konzeption des Iran: "Das Regime ist in der Außenpolitik ein rationaler Akteur", sagt der Publizist und Iranexperte Bahman Nirumand.

Ayatollah Khameini; Foto: AP
"Sobald die Beziehungen mit Amerika sich für die iranische Nation als nützlich erweisen, werde ich der Erste sein, der dazu seine Zustimmung gibt", sagte Ayatollah Khamenei 2008 in einer Rede.

​​ Zu einer rationalen Politik gehört im Iran auch der Wunsch nach besseren Beziehungen zum Westen. Der Soziologe und gebürtige Teheraner Amir Sheikzadegan sieht diesen Wunsch vor allem in wirtschaftlichen Fragen begründet: "Gute Beziehungen zum Westen würden das immense Potential der iranischen Wirtschaft freisetzen, die sich heute in vielen Bereichen, insbesondere aber im Energiesektor, in einem desolaten Zustand befindet."

Sogar der oberste Revolutionsführer Ayatollah Khamenei, der nicht gerade als Fürsprecher einer Versöhnung gilt, sagte in einer Rede Anfang 2008, dass er "sobald die Beziehungen mit Amerika sich für die iranische Nation als nützlich erweisen werden, der Erste sein wird, der dazu seine Zustimmung gibt."

Konfrontation mit dem Westen

Warum aber geht die iranische Führung dann doch immer wieder auf Konfrontationskurs mit dem Westen? Zumal große Teile der politischen Elite mit der konfrontativen Außenpolitik unzufrieden sind.

Die Beantwortung dieser Frage muss vor allem zwei Faktoren berücksichtigen. Zunächst einmal: Iran fühlt sich vom Westen nicht anerkannt und potentiell bedroht. "In dem Weltbild Ahmedinejads", so Bahman Nirumand, "existieren nur Freunde und Feinde. Das Lager des Islam, glaubt er, werde umzingelt vom dekadenten Westen."

Ehemaliger iranischer Ministerpräsident Mohammed Mossadegh; Foto: Wikipedia
Der Sturz des demokratisch gewählten Premierministers Mohammed Mossadegh, der durch amerikanische und britische Geheimdienste angestiftet wurde, ist im Iran nicht vergessen.

​​ Dass Ahmedinejad mit solch einer Sichtweise in der iranischen Bevölkerung durchaus auf Verständnis stößt, liegt in der Geschichte der iranischen Beziehungen zum Westen begründet. Seit 1801, als Russland das damals zum persischen Reich gehörende Georgien annektierte, wurde Iran wiederholt zum Spielball ausländischer Mächte und ihrer Interessen.

Seinen Höhepunkt fand die ausländische Penetration Irans in den Jahren 1914 und 1941, als Russland und Großbritannien den Iran besetzten und untereinander aufteilten. Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahmen dann die USA die Rolle der "Kolonialmacht" im Iran. Der Sturz des demokratisch gewählten iranischen Ministerpräsidenten Mossadegh durch die CIA im Jahr 1953 ist auch heute noch in der iranischen Bevölkerung nicht vergessen. Erst mit der islamischen Revolution von 1979 wurde die westliche Penetration Irans beendet.

Seit der Revolution ist daher der Wunsch nach Stärke ein immer wiederkehrendes Element in den Äußerungen iranischer Machthaber. "Die Geschichte, und deren Perzeption in der Gegenwart, spielt in der Entscheidungsfindung der iranischen Elite eine sehr große Rolle", weiß Bahman Nirumand. "Sowohl Radikale als auch Liberale ziehen ähnliche Schlüsse aus der Vergangenheit – Iran muss stark sein, um nicht mehr zum Spielball ausländischer Mächte zu werden."

Antiimperialismus-Rhetorik der iranischen Machthaber

Allerdings weist Amir Sheikzadegan darauf hin, dass "was das iranische Volk anbelangt, eine deutliche Sättigungserscheinung bezüglich der Antiimperialismus-Rhetorik der Machthaber zu spüren ist." Die junge iranische Bevölkerung hat keine eigenen Erfahrungen mit der Penetration Irans durch ausländische Mächte gemacht, so dass es ihr trotz aller Propaganda schwerer fällt, den Westen für alles Übel in der Welt verantwortlich zu machen. Dennoch kann es als wahrscheinlich gelten, dass auch in der jüngeren Bevölkerung antiwestliche Gefühle hochkommen, sobald der Westen erste Anzeichen "kolonialen Handelns" erkennen lässt.

Ein US-Soldat auf einer Straße in Bagdad; Foto: AP
US-Soldaten in Bagdad: Die junge iranische Bevölkerung hat keine eigenen Erfahrungen mit der Penetration Irans durch ausländische Mächte gemacht. Daher fällt es ihr schwer, den Westen für alles Übel in der Welt verantwortlich zu machen.

​​ Und genau solch ein "koloniales Handeln" wirft der Iran momentan den USA vor. Das iranische Regime fühlt sich von den USA bedroht: Diese führen als Besatzer in Afghanistan und Irak Krieg, haben rund um Iran ihre Soldaten stationiert und unter Bush unverblümt von der Notwendigkeit eines "Regime Change" im Iran gesprochen und oppositionelle Gruppierungen wie die Jund Allah unterstützt.

Diese Situation führt zu einem Paradox: Zwar hat der Iran ein echtes Interesse an einem Ausgleich mit den USA, denn nur ein solcher böte die erhoffte Sicherheit. Aber "niemand möchte als Pionier der Versöhnung mit den USA herhalten, denn dann läuft man Gefahr, sofort von den Rivalen als Verräter bloß gestellt und politisch ausgeschaltet zu werden", erklärt Sheikhzadegan.

Außenpolitik ist Innenpolitik

Ein zweiter Faktor für die dem Westen gegenüber misstrauische Haltung Teherans ist: Außenpolitik ist auch immer Innenpolitik. Wie in allen anderen Staaten der Welt auch, wird auch im Iran die Außenpolitik im Dienste der Innenpolitik instrumentalisiert. Mehr als einmal nutzte das iranische Regime die in der Bevölkerung verbreiteten antiwestlichen Gefühle für innenpolitische Zwecke.

Besonders Ahmedinejad, dessen Rückhalt in der Bevölkerung rapide zurückgegangen ist, versucht durch eine aggressive Außenpolitik die eigene Bevölkerung von innenpolitischen Problemen abzulenken. Der Atomstreit bietet dafür ein geradezu ideales Feld, bestehen doch die meisten Iraner auf dem prinzipiellen Recht einer eigenen, zivilen Nutzung der Atomenergie. Ahmedinejad kann deshalb recht erfolgreich auf der Klaviatur des "Wir gegen Sie" spielen.

Iranischer Präsident Mahmud Ahmedinejad; Foto: AP
Populist Ahmedinejad: Durch eine aggressive Rhetorik nach Außen versucht Ahmedinejad von seiner gescheiterten Politik im Inneren abzulenken, meint Horbach.

​​ Das heißt allerdings nicht, dass er eine Verständigung mit dem Westen grundsätzlich ablehnt, brächte ihm eine solche doch auch wieder mehr Zustimmung in der jungen Bevölkerung. Doch der Preis, den er bisher fordert, ist für den Westen zurzeit noch zu hoch. Und die Angebote des Westens sind bisher in den Augen Irans nicht annehmbar.

Was allerdings einem Ausgleich am meisten im Wege steht, ist das beiderseitige Misstrauen. Um dieses Misstrauen überwinden zu können, ist es von fundamentaler Bedeutung zu erkennen, dass nicht nur der Westen, sondern auch der Iran durchaus gute Gründe für sein Misstrauen hat. Und am Anfang jedweden Ausgleichs muss eine beiderseitige Anerkennung dieser Gründe stehen, damit man sich schließlich auf Augenhöhe wieder begegnen kann.

Christian Horbach

© Qantara.de 2010

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de

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