Zunehmendes Ressentiment der Gastgeber

Die Zahl der irakischen Flüchtlinge in Syrien wird auf bis zu eineinhalb Millionen geschätzt. Die meisten von ihnen leben in Damaskus. Dies hat die ohnehin schwierige infrastrukturelle Situation der syrischen Hauptstadt noch weiter verschärft. Hintergründe von Razan Zaytuna

Irakische Flüchtlinge vor dem Büro des UNHCR in Damaskus; Foto: AP
Viele irakische Flüchtlinge sind auf die Unterstützung durch die Flüchtlingshilfe der UN angewiesen - irakisches Ehepaar vor dem Büro des UNHCR in Damaskus

​​Während der jüngsten Asienmeisterschaft im Fußball drückten die Syrer dem irakischen Team die Daumen. Nach dem Sieg im Endspiel schäumte die Begeisterung über.

Freunde tauschten Glückwünsche aus, manche konnten ihre Freudentränen nicht unterdrücken. Die Syrer betrachteten diesen Sieg - ebenso wie die Iraker - als Freudenpreis für den Irak und seine Menschen, als seelische Entschädigung für die Tage der Folter und den täglichen Blutzoll.

Doch kaum war der Abend angebrochen, da mischten sich unter die Glückwünsche schon die ersten Beschwerden. Denn die irakischen Flüchtlinge in Syrien gingen auf die Straßen, um den Sieg zu feiern. In einigen Ballungszentren kam es daraufhin zu erheblichen Verkehrsbehinderungen und Staus.

Im Stadtzentrum trugen Gruppen von Männern, Frauen und Kindern die irakische Flagge und feierten auf ihre eigene Weise.

Einige Syrer sahen darin eine Belästigung des Gastlandes und seiner Menschen. Einmal mehr offenbarten sich Gefühle des Überdrusses über die Anwesenheit der irakischen Flüchtlinge in ihrem Land.

Täglich 2000 neue irakische Flüchtlinge

Die geschätzte Zahl der irakischen Flüchtlinge in Syrien schwankt zwischen einer Million und anderthalb Millionen. Erst jüngst taxierte eine Menschenrechtsorganisation die Zahl der täglich nach Syrien kommenden Iraker auf 2000 Personen. Ihnen wird ein Aufenthaltsrecht von sechs Monaten gewährt; danach müssen sie aus verwaltungstechnischen Gründen das Land verlassen und erneut einreisen.

Die meisten Flüchtlinge kommen in die Hauptstadt Damaskus, die aufgrund der großen Landflucht bereits aus allen Nähten platzt.

Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass die Syrer ein hilfsbereites und offenes Volk sind und dass sie Ankömmlinge stets willkommen heißen. Ebenso verhielt es sich anfangs auch mit den irakischen Flüchtlingen.

Horrende Mieten

Doch die hohe Anzahl irakischer Flüchtlinge in Syrien und die lange Dauer ihres Aufenthalts haben die miserablen ökonomischen Bedingungen zum Vorschein gebracht hat, unter denen die meisten Syrer leben. Zum einen stiegen die Preise auf – so heißt es - bis zu 30 Prozent. Zum anderen kletterten die Immobilien- und Mietpreise in bisher unbekannte Höhen, was zu einer Verschärfung der ohnehin vorhandenen Wohnungskrise unter den Syrern führte.

Die Preise für ein Haus verdoppelten oder verdreifachten sich in einigen Regionen. Manche Hausbesitzer setzten daraufhin die syrischen Mieter, die etwa 5000 oder 7000 syrische Lira Miete bezahlt hatten, vor die Tür und nahmen stattdessen irakische Flüchtlinge auf – zu einem Mietpreis zwischen 15.000 oder 20.000 Lira im Monat.

Einen solchen Mietpreis können sich Syrer gemessen an ihrem beschränkten Einkommen unmöglich leisten. Auch ist die Kaufkraft der irakischen Flüchtlinge mit der der syrischen Staatsbürger nicht vergleichbar.

Dies sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es tatsächlich auch sehr viele bedürftige irakische Flüchtlinge gibt, die von Hilfsleistungen und Spenden leben.

Überfüllte Schulen und Wasserrationierung

Der für ökonomische Belange zuständige stellvertretende syrische Ministerpräsident erklärte Anfang des Jahres, dass an den syrischen Schulen 75.000 irakische Schüler unentgeltlich unterrichtet würden. Dies erzeugt einen zusätzlichen Druck auf die Schulen, die ursprünglich schon über ihre Kapazitätsgrenze hinaus ausgelastet waren.

Ebenso stieg der Stromverbrauch um 16 Prozent, obwohl Syrien in diesem äußerst heißen Sommer seit mehreren Monaten eine Einschränkung des Stromverbrauchs erlebte. Ganz abgesehen auch von der Wasserkrise, die zu einer extremen Rationierung geführt hat.

Das Problem beschränkt sich aber nicht allein auf die materielle Seite, sondern hat auch eine moralische. Häufig wird über die Ausbreitung der Prostitution und damit zusammenhängender ungewohnter Anblicke in einigen Gegenden mit hoher irakischer Wohndichte gesprochen. Viele Syrer, darunter sogar weltoffene, betrachten dies als gesellschaftlich und moralisch inakzeptabel. Tatsächlich gab es in diesen Gegenden zwar schon vorher Prostitution, aber einmal mehr trug die Anwesenheit der Iraker dazu bei, das Problem offenkundig zu machen.

Die Ausbreitung dieses Gewerbes ist wohl eines der üblichen Phänomene eines lang anhaltenden und zerstörerischen Krieges. Dass sich das Phänomen in Syrien auch auf Orte mit hoher irakischer Bevölkerungsdichte ausweitete, ist daher eine logische Konsequenz.

Psychologische Barriere

Auch scheint es, als spiele die Differenz zwischen den sozialen Milieus in beiden Gesellschaften eine Rolle. Anders als etwa im Verhältnis zu Palästinensern und Libanesen unterscheidet sich der irakische Dialekt sehr stark vom syrischen – mit Ausnahme des Dialekts, der in der Grenzregion zum Irak gesprochen wird.

Möglicherweise bildet dies ein erstrangiges psychologisches Hindernis, das andere Unterschiede im Verhalten und in den Lebensstilen zwischen der syrischen und irakischen Gesellschaft verstärkt.

In einer früheren Untersuchung der Autorin zu diesem Thema charakterisierten viele Syrer ihre irakischen Gäste mit den Eigenschaften "derb, rau und fehlender Respekt in Anbetracht ihrer Rolle als Gäste". Auch wenn diese Beschreibungen weder genau sind, noch verallgemeinert werden können, weisen sie doch auf eine tatsächlich vorhandene psychologische und soziale Barriere hin.

​​Im selben Kontext können auch die weit reichenden Folgen nicht ignoriert werden, die die Einwanderung großer Menschengruppen auf die bestehende Bevölkerungsstruktur mit ihren besonderen Eigenschaften und internen Beziehungen hat.

Denn dadurch wird sicherlich das Gefühl einer unbewussten Ablehnung gegenüber den Neuankömmlingen verstärkt, da sie ganze Wohnviertel durchdrungen haben, von denen einige inzwischen nach irakischen Städten benannt sind.

Befürchtungen der Minderheiten

Als Beispiel hierfür lässt sich der etwas außerhalb liegende Stadtbezirk Dscharamana anführen, in dem inzwischen Tausende Iraker leben. Dieser Bezirk besteht aus einer vielfältigen Bevölkerung, zu der Gemeinschaften der drusischen und christlichen Minderheiten gehören, die einen vertrauten Umgang untereinander pflegen und eng miteinander verkehren.

Diesen Gemeinschaften lässt sich zwar keinesfalls ein Dasein in Isolation nachsagen, aber sie gewähren ihren Angehörigen ein Mindestmaß an Sicherheit darüber, dass ihre kulturellen und sozialen Besonderheiten durch das Zusammenleben bewahrt werden.

Die hohe Konzentration von Irakern innerhalb dieser Gemeinschaften – und manchmal auch auf ihre Kosten – hat einige Empfindlichkeit gegenüber den Neuankömmlingen hervorgerufen. Dies trifft besonders auf die Drusen zu, die – da es keine irakischen Drusen gibt – das Gefühl haben, das Eindringen der Iraker habe die Besonderheit und Intimität der ansässigen Gemeinschaft verletzt.

Konzentration auf die Hauptstadt

Einige Syrer haben zwar von der Anwesenheit der zahlungskräftigen irakischen Flüchtlinge materiell profitiert. Für die große Mehrheit der Syrer trifft dies jedoch nicht zu. Die Flüchtlinge leben nicht in besonderen oder abgetrennten Zeltlagern, sondern sie leben in den Hauptwohngegenden der Syrer mit mittlerem oder beschränktem Einkommen.

Möglicherweise wären viele der Empfindlichkeiten ihnen gegenüber nicht entstanden, hätte die syrische Regierung die Flüchtlinge auf verschiedene Städte und Verwaltungsbezirke verteilt, anstatt sie in der Hauptstadt zu konzentrieren, die ohnehin unter enormen infrastrukturellen Problemen leidet.

Zusammenfassend kann man jedoch feststellen, dass die Anwesenheit der irakischen Flüchtlinge eher die wirtschaftlichen und infrastrukturellen Krisen in Syrien zum Vorschein gebracht hat, als diese Krisen primär ausgelöst zu haben.

Razan Zaytuna

Aus dem Arabischen von Manfred Sing

© Qantara.de 2007

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Irakische Flüchtlinge in Syrien
Belastung der Wirtschaft und der Infrastruktur
Der Strom irakischer Flüchtlinge belastet das syrische Erziehungs- und Gesundheitswesen und treibt vor allem auf dem Wohnungsmarkt die Preise in die Höhe. Zudem befürchten manche, dass der Bürgerkrieg im Irak zu Spannungen unter den exilierten Irakern führt. Von Viktor Kocher