"Ich bin doch hier integriert!"

Über drei Millionen Iraker sind derzeit auf der Flucht - die größte Fluchtbewegung im Nahen Osten seit 1948. Gleichzeitig wird den in Deutschland lebenden irakischen Flüchtlingen der Asylstatus wieder aberkannt. Keine Einzelfälle, wie Beate Hinrichs berichtet.

Irakische Flüchtlingsfamilie in Deutschland; Foto: dpa
Nach dem Sturz von Saddam Hussein wurde vielen irakischen Flüchtlingsfamilien in Deutschland der Asylstatus aberkannt

​​Wenn man Zouhour Mahmoud auf ihre beiden ältesten Kinder anspricht, kommen ihr die Tränen. Denn die vierjährige Shams und der sechsjährige Ahmad leben bei Pflegeeltern in Damaskus, und Zouhour Mahmoud kann nur mit ihnen telefonieren.

Ahmad spricht mit ihr, aber Shams kennt ihre Mutter nicht mehr. Das Mädchen war etwas über ein Jahr alt, als sie und ihr Bruder in Damaskus bleiben mussten, weil es zu schwierig gewesen wäre, sie bei der Flucht aus dem Irak nach Deutschland mitzunehmen. Die Eltern wollten sie nachholen.

Anerkennungsverfahren als Spießrutenlauf

Djafar Abdoun Sattar war noch während des Saddam-Regimes aus Kerbala nach Köln gekommen und hatte in Deutschland Asyl erhalten. Als seine Frau Zouhour nachkam, stellten sie einen Antrag auf Familienzusammenführung. Die Ausländerbehörde bewilligte dies.

Djafar Abdoun Sattar flog nach Syrien, um die Kinder abzuholen. Doch die deutsche Botschaft in Damaskus weigerte sich, Visa für die Kinder auszustellen - auf Anweisung aus dem Bundesinnenministerium, weil Djafar Abdoun Sattar sein Asylstatus mittlerweile wieder aberkannt worden war.

Familie Sattar ist kein Einzelfall. Zehntausende Iraker waren während der Regierungszeit Saddam Husseins geflohen und hatten in Deutschland problemlos Asyl erhalten. Aber 2003, nach dem Sturz des Diktators, begann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), ihnen den Asylstatus abzuerkennen.

Begründung: Das alte Regime und damit der Fluchtgrund bestünden nicht mehr, da sich die politische Lage im Irak geändert habe. Auch verhandelt die Bundesregierung derzeit mit der irakischen Regierung und der Regionalregierung Nordkurdistan über die Abschiebung irakischer Flüchtlinge.

Asylstatus ungewiss

Einen Widerruf seines Asylstatus hat auch Karim Erfan bekommen. Der Kurde aus Kirkuk war während der Saddam-Diktatur als Oppositioneller aktiv gewesen und war für drei Jahre im Gefängnis. Seit seiner Flucht lebt und arbeitet er in Deutschland und hat mittlerweile die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt. Aber sein Antrag wird nicht bearbeitet - mit Hinweis auf den Asylwiderruf.

"Ich bin seit zehn Jahren hier", schimpft er, "ich bin hier integriert und will hier bleiben." Sein Freund Saman Abdelghafur Kheder, ebenfalls aus Kirkuk und seit sechs Jahren in Deutschland, stimmt zu: "Ich habe gar keinen Kontakt mehr zu meiner Familie - ich habe Angst, in den Irak zurückzukehren."

Vor kurzem seien in seiner Heimatstadt Mossul wieder mehrere Anschläge verübt worden, klagt auch Rasul Kawa. In seinem Fall kommt erschwerend hinzu, dass er vor zwei Jahren einen schweren Autounfall hatte, einen Monat im Koma lag und seitdem mehrere Operationen überstehen musste, weitere hat er noch vor sich. Bislang halten noch immer über vierzig Schrauben seine Beine und Schultern zusammen. Arbeiten kann er im Moment nicht.

Über 50.000 Iraker monatlich auf der Flucht

Im Irak herrschen bürgerkriegsähnliche Zustände, die monatlich rund 50.000 Menschen zur Flucht veranlassen. Nach der Genfer Flüchtlingskonvention sowie der EU-Richtlinien und Empfehlungen des UN-Flüchtlingskommissariats müssten die Betreffenden darum weiterhin einen gesicherten Aufenthalt in Deutschland bekommen.

Aber die deutsche Innenministerkonferenz weigert sich, die Gewalt im Irak als Fluchtgrund anzuerkennen, und die Bundesregierung schiebt bereits vereinzelt alleinstehende Männer in den Nordirak ab. Derzeit werden nur bestimmte Widerrufsverfahren zurückgestellt - die von irakischen Christen und Yeziden zum Beispiel.

Verantwortungslose Politik

Karim Erfan vertritt die „Internationale Föderation für irakische Flüchtlinge“ und kritisiert, dass Deutschland das einzige europäische Land mit dieser Widerrufspraxis sei. Das betont auch Bernd Mesovic von der Flüchtlingshilfeorganisation „Pro Asyl“ und fügt hinzu: "Deutschland betreibt eine eigenständige Politik der Verantwortungslosigkeit."

18.000 Iraker haben seit 2003 einen Widerruf ihres Asylstatus erhalten. Sobald er rechtskräftig ist, sind sie "abschiebefähig". Da wegen der Sicherheitslage im Irak aber vor allem in den Großraum Bagdad momentan keine Abschiebungen möglich sind, bekommen die meisten Flüchtlinge in Deutschland eine Duldung.

Das bedeutet, je nach Bundesland: Die Arbeitserlaubnis wird ihnen entzogen bzw. sie bekommen nur Jobs, die kein Deutscher und kein EU-Bürger annehmen will. Für ihre Kinder gilt keine Schulpflicht mehr und ihre Freizügigkeit wird begrenzt.

Sinkende Asylbewerberzahlen

Yassir Frayje betreut zahlreiche Iraker in einer Beratungseinrichtung. Er moniert, dass diese Menschen, die jahrelang in Deutschland gearbeitet hätten, durch die Duldung von Steuerzahlern zu Hilfeempfängern degradiert würden.

Für Pro Asyl sind die Widerrufsverfahren ein "riesiges Arbeitsbeschaffungsprogramm", das das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge "im eigenen Interesse" betreibe.

Auch Yassir Frayje vermutet einen Zusammenhang mit den sinkenden Asylbewerberzahlen: Statt 200.000 Fällen, wie vor ein paar Jahren, hätten die Mitarbeiter des BAMF nur noch 20.000 Anträge pro Jahr zu bearbeiten und wollten schlicht ihre Arbeitsplätze erhalten.

Für Djafar Abdoun Sattar, den Vater von Ahmad und Shams, bleibt derweil nur die Hoffnung, dass ein Behördenmitarbeiter seinen Ermessenspielraum nutzt und die Kinder aus humanitären Gründen doch noch zu ihren Eltern lässt.

Beate Hinrichs

© Qantara.de 2007

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