Die vorderste Front

Mit "Osama" brachte Siddiq Barmak den ersten bekannten afghanischen Spielfilm nach der Taliban-Herrschaft auf die Weltbühne. In seinem neuesten Film "Opium War" widmet er sich dem Drogenanbau, den Opfern sowie der Ignoranz des Westens. Martin Gerner sprach mit ihm.

Mit "Osama" brachte Regisseur Siddiq Barmak den ersten bekannten afghanischen Spielfilm nach der Taliban-Herrschaft auf die Weltbühne. In seinem neuesten Film "Opium War" widmet er sich dem Drogenanbau, den Opfern und der Ignoranz des Westens. Martin Gerner sprach mit ihm.

Siddiq Barmak, Foto: &copy www.barmakfilm.com
Siddiq Barmak: "Wenn der Westen den Anbau von Schlafmohn in Afghanistan verdammt, dann muss er auch aufhören, die Drogen zu kaufen!"

​​Herr Barmak, worum geht es in Ihrem neuen Film?

Siddiq Barmak: Zwei Soldaten der US-Armee überleben einen Hubschrauberabsturz in Afghanistan. Sie treffen eine afghanische Bauernfamilie, die ihre Felder verloren hat, deren Vater zum Anbau von Schlafmohn gezwungen ist.

Wie schwierig war es, in Afghanistan einen Film zu diesem Thema zu drehen?

Barmak: Wir wollten für diesen Film ein Feld mit Schlafmohn anbauen. Da mussten wir natürlich vorher mit der afghanischen Regierung, der Isaf und dem US-Militär reden. Im Laufe der Dreharbeiten ist das Feld langsam vertrocknet und am Ende haben wir es abgebrannt.

Ansonsten nimmt der Film zur Strategie der Drogenbekämpfung in Afghanistan selbst keine Stellung. Auch wenn in Afghanistan ein richtiger Opiumkrieg tobt und wie jeder Krieg seine Opfer fordert. In diesem Film geht es mir allerdings nicht nur um den Krieg in Afghanistan. Ich versuche zu zeigen, was für eine Tragödie Krieg im Allgemeinen ist. Wie jeder Opfer dieses Krieges wird, egal ob Afghane oder Amerikaner.

Allerdings steht die afghanische Regierung wegen des Schlafmohnanbaus international unter Druck . Ist da nicht allein das Thema des Films eine Stellungnahme?

Barmak: Es ist leicht, mit dem Finger auf jemanden zu zeigen. Aber wenn der Westen den Anbau von Schlafmohn in Afghanistan verdammt, dann muss er auch aufhören, die Drogen zu kaufen. Wo liegt denn der Markt für diese Drogen? Ich möchte damit auch ein Nachdenken über die junge Generation im Westen und ihre sozialen Probleme anregen.

Mohnpflanze in Afghanistan, Foto: AP
Afghanistan bleibt mit weitem Abstand weltweiter Spitzenproduzent von Opium und Heroin.

​​Und abgesehen von den Problemen der westlichen Gesellschaft ?

Barmak: Es ist ziemlich hart, das zu sagen, aber ich bin der Überzeugung: Wir bewegen uns auf das Ende zu. Es ist ein pessimistischer Film. Vielleicht um uns wachzurütteln. Ein wenig wie ein Arzt, der seinen Patienten vorbereitet, indem er ihm eine bittere Wahrheit mitteilt.

Dann sehen Sie keine Zukunft für Ihr Heimatland?

Barmak: Ich bin nicht sicher, ob Afghanistan eine bessere Zukunft haben wird. Die internationale Staatengemeinschaft ist hier sehr präsent. Zugleich findet eine Schlacht verschiedener Geheimdienste statt. Die Amerikaner dienen da in meinem Film als Symbol für die gesamte internationale Staatengemeinschaft in Afghanistan.

Immerhin gibt es enorme internationale Anstrengungen beim Wiederaufbau.

Barmak: Wir dachten, dass nach dem Ende der Taliban die afghanische Regierung und die internationale Staatengemeinschaft einen sehr genauen Plan zum Wiederaufbau haben würden. Viele Ausländer, egal ob Europäer oder Amerikaner, haben behauptet, sie seien Experten für Afghanistan.

Aber sie haben keine guten Ratschläge für die Menschen hier. Sie kennen Afghanistan nicht, es fehlt ihnen an ganz grundlegendem Wissen über das Land. Das Land ist ganz anders als Bosnien oder Ost-Timor. Afghanistan ist ein multi-ethnischer Staat, mit vielen Sprachen und den unterschiedlichsten Traditionen.

Ist das auch ein Grund dafür, dass die Taliban so einen Zulauf haben? Oder sind es nicht doch vor allem politische Gründe?

Barmak: Natürlich betreiben viele Taliban das Geschäft Pakistans. Aber es sind zum Teil auch normale Menschen, die man als Taliban bezeichnet. Arbeitslose zum Beispiel, Mujahedin aus dem Kampf gegen die Sowjetunion. Viele hat man entwaffnet, jetzt sind sie mittellos. Nehmen Sie einen ehemaligen General der Armee, der über einige Autorität verfügte. Jetzt verkauft er Kartoffeln auf der Straße. Man sollte schauen, dass man diesen Menschen so schnell wie möglich Arbeit vermittelt.

Dann sind da die ständigen Hausdurchsuchungen durch amerikanische Soldaten. Oft wird dabei keinerlei Rücksicht auf Tradition und Kultur dieser Familien genommen. Gestern erzählte mir ein Freund, dessen Haus an der Straße zwischen Kandahar-Stadt und dem Flughafen liegt, von seiner Tochter.

Als die Amerikaner vor fünf Jahren an seinem Haus vorbeifuhren, lief seine kleine Tochter auf die Straße und winkte den Amerikanern. Heute winkt sie nicht mehr, sondern wirft mit Steinen nach ihnen.

Können Afghanistan und die internationale Gemeinschaft die Opiumfrage überhaupt lösen?

Barmak: Es gibt aktuelle Zahlen, nach denen rund 1,5 Millionen Menschen in Afghanistan Drogen konsumieren. Viele von ihnen haben alle Hoffnungen aufgegeben, besonders aus der Generation, die gegen die Sowjetunion gekämpft hat. Sie haben nach dem Sieg über die Russen irgend eine Form von Belohnung erhofft. Der Bau einer Straße zwischen Kabul und Kandahar ist allerdings nicht die Art von Belohnung, die sie sich erwartet haben. Sie haben ja persönlich einen sehr hohen Preis gezahlt.

2,5 Millionen Afghanen haben in diesem Krieg ihr Leben gelassen. Die, die heute noch leben, haben vielfach mit schweren physischen und psychischen Problemen zu kämpfen. Aber diese Menschen haben den Kommunismus aufgehalten. Das war ja nicht nur für Afghanistan wichtig. Afghanistan war im Kampf gegen den Kommunismus die vorderste Front.

Und alle haben davon profitiert. Ich bin mir sicher, dass sich Deutschland auch deswegen wiedervereinigen konnte, weil Afghanistan die Sowjetunion besiegt hatte. Amerika hat davon profitiert. Wenn die Russen Afghanistan erfolgreich erobert hätten, wären sie bis zum Indischen Ozean vorgedrungen. Ich denke, die Welt vergisst diese Geschichte. Wahrscheinlich ist es nur menschlich, zu vergessen. Aber das ist ein Problem.

Martin Gerner

© Martin Gerner

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