"Wir leiden unter dem autoritären Regime Chinas"

Die Vorsitzende des Weltkongresses der Uiguren, Rebiya Kadeer, kritisiert im Gespräch mit Eren Güvercin die Unterdrückung der uigurischen Muslime und appelliert an die islamische Welt, die Uiguren in ihrem Freiheitskampf zu unterstützen.

Rebiya Kadeer; Foto: AP
Rebiya Kadeer: "Die Uiguren leben in ständiger Angst. Es ist, als lebten sie in einem einzigen großen Gefängnis."

​​ Frau Kadeer, wie stellt sich gegenwärtig die Situation in Xinjiang dar?

Rebiya Kadeer: Seitdem die chinesische Regierung Tausende Sicherheitskräfte in die Region Ost-Turkestan (Xinjiang) geschickt hat, ist die Situation für die Uiguren äußerst angespannt. Die Uiguren leben in ständiger Angst. Es ist, als lebten sie in einem einzigen großen Gefängnis.

Die Regierung in Peking beschuldigt die Uiguren des Terrorismus. Tatsächlich hat es in der Vergangenheit mehrere Bombenanschläge in Xinjiang gegeben. Wie stehen Sie zu diesen Anschuldigungen?

Kadeer: Da die Uiguren Muslime sind, begann die chinesische Regierung schon direkt nach dem 11. September 2001, den Widerstand der Uiguren gegen die brutale Herrschaft der Chinesen in Ost-Turkestan als Terrorismus zu brandmarken. In der Tat gab es vereinzelte Gewaltakte, doch gab es solche auch in anderen Teilen Chinas. Noch immer kann die chinesische Regierung keine überzeugenden Belege für eine angebliche Terrorgefahr vorlegen, die von den Uiguren ausgehen soll.

Steht diese neue Rhetorik tatsächlich mit den Angriffen vom 11. September 2001 und dem "Krieg gegen den Terror" in Zusammenhang?

Kadeer: Ja, das ist offensichtlich. Vor dem 11. September verfolgte die chinesische Zentralregierung die Uiguren als "Konter-Revolutionäre", "Nationalisten" und "Separatisten". Aber da wir Muslime sind, entschied man sich in Peking dafür, die tragischen Ereignisse des 11. Septembers propagandistisch auszunutzen und den "Krieg gegen den Terror" als Vorwand und Rechtfertigung für massive Angriffe auf die Uiguren zu gebrauchen.

Die Öffentlichkeit hat viel über die Unterdrückung der Tibeter erfahren, doch nicht über die Uiguren. Was sind die Gründe dafür?

Kadeer: Einer der wichtigsten Gründe hierfür ist, dass seine Heiligkeit, der Dalai Lama, bereits vor 50 Jahren vor der chinesischen Verfolgung ins Exil fliehen konnte und es ihm so möglich war, die westliche Öffentlichkeit mit der Situation im Tibet vertraut zu machen. Wohingegen die uigurischen Führer von den Sowjets und Chinesen getötet, weshalb es uns bis vor kurzer Zeit nicht gelang, der Welt von unserem Leid zu berichten. Zudem erscheint der Buddhismus dem Westen nicht erst seit dem 11. September 2001 in einem positiveren Licht als der Islam.

Inwiefern werden die uigurischen Muslime in China unterdrückt?

​​ Kadeer: Das Leiden der uigurischen Muslime manifestiert sich auf vielen Ebenen – politisch, sozial, kulturell und religiös. Es gibt eine weit verbreitete Diskriminierung und Benachteiligung im Bildungssystem, im Arbeitsleben und bei der Gesundheitsversorgung. In China werden Uiguren praktisch wie potenzielle Verbrecher oder Terroristen angesehen.

Stehen Sie in Kontakt zum Dalai Lama? Könnten die unterdrückten Minderheiten in China zusammen nicht mehr erreichen als allein?

Kadeer: Ja, von Zeit zu Zeit spreche ich mit seiner Heiligkeit. Ich glaube tatsächlich, dass wir gemeinsam mehr bewirken können, als wenn jeder für sich allein eintritt.

Was erwarten Sie von der internationalen Staatengemeinschaft?

Kadeer: Die internationale Staatengemeinschaft sollte den Druck auf China erhöhen, um die seit 60 Jahren bestehende Unterdrückung der Uiguren, Tibeter und anderer religiöser und ethnischer Minderheiten durch das autoritäre Regime zu beenden. Die chinesische Regierung sollte dazu aufgerufen werden, einen friedlichen Dialog zu beginnen, in dem die Frage Ost-Turkestans genauso behandelt wird wie die tibetische.

Haben die Uiguren aus der muslimischen Welt Unterstützung erhalten?

Uigurin protestiert im westchinesischen Provinz Xinjiang; Foto: AP
Die Provinz Xinjiang war Anfang Juli Schauplatz schwerer Unruhen zwischen Uiguren und Sicherheitskräften. Dabei wurden offiziellen Angaben zufolge 197 Menschen getötet und über 1.700 verletzt.

​​Kadeer: Diese Unterstützung gab es vereinzelt und nur bis zu einem gewissen Grad. Wir hoffen, dass die muslimischen Länder und Völker uns noch mehr helfen. Und wir hoffen auch, dass in der muslimischen Welt erkannt wird, wie sehr wir unter dem autoritären, atheistischen Regime in China zu leiden haben. Die Verfolgung von Muslimen in China ist derzeit fast größer als in jedem anderen Land. Deshalb ist es dringend geboten, dass die muslimischen Völker und Regierungen ihren leidenden uigurischen Glaubensbrüdern beistehen.

Sie waren eine sehr erfolgreiche Geschäftsfrau in China, sogar eine Abgeordnete im Kongress. Wie kam es, dass Sie dann eine entschiedene Gegnerin des kommunistischen Regimes wurden?

Kadeer: Das kommunistische Regime versuchte mich als Marionette zu missbrauchen, um ihre brutale Unterdrückung der uigurischen Muslime zu legitimieren. Als ich nicht die Rolle spielte, die sie mir zugedacht hatten, landete ich für sechs Jahre im Gefängnis und die Regierung hat mich nun zu ihrem schlimmsten Feind und sogar zur Terroristin erklärt.

Einige Ihrer Familienmitglieder leben noch in China. Haben Sie noch Kontakt zu ihnen?

Kadeer: Seit dem vergangenen Massaker vom 5. Juli habe ich jeden Kontakt zu meiner Familie verloren. Ich bete zu Allah, dass sie alle wohlauf sind, doch ich kann mir dessen nicht sicher sein, da die Regierung sie bereits seit langem überwacht.

Wie bleiben Sie auf dem Laufenden über das, was in Xinjiang passiert? Gibt es noch Möglichkeiten, an verlässliche Informationen zu kommen?

Kadeer: Ich erhalte Informationen von Uiguren, die in Ost-Turkestan leben und ins Ausland reisen. Ich bekomme auch häufig Anrufe und E-Mails von Uiguren, die mich mit detaillierten und glaubwürdigen Berichten über die Verfolgung der Uiguren informieren.

Eren Güvercin

© Qantara.de 2009

Übersetzung aus dem Englischen von Daniel Kiecol

Qantara.de

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