Mit "Harassmap" die Isolation der Frauen brechen

Sexuelle Belästigung ist seit vielen Jahren ein grassierendes Problem in Ägypten. Die multimediale Initiative "Harassmap" bietet nun Frauen eine Plattform, auf der sie von ihren Erfahrungen berichten können. Nesrine Shibib sprach mit Rebecca Chiao, Frauenrechtsaktivistin und Mitbegründerin der Initiative.

Von Nesrine Shibib

Rebecca Chiao; Foto: &copy Rebecca Ciao
Rebecca Chiao: "Wir waren weltweit die erste Initiative, die eine digitale, interaktive Belästigungskarte für Frauen aufgebaut hat"

​​ Wie kann eine digitale Karte Frauen auf der Straße helfen?

Rebecca Chiao: Wir wollen mehrere Ergebnisse erzielen. Frauen, die einen Bericht an "Harassmap" schicken, erhalten Hinweise auf relevante Anlaufstellen – wie der Rechtshilfe, Selbstverteidigungsseminare oder psychologische Hilfe. Es gibt viele Leute, für die sexuelle Belästigung kein echtes Problem ist, ja vielleicht gar nicht existiert. Die Karte wird helfen, das Problem sichtbar und klar zu machen. Wir wollen die Karte auch der Polizei zur Verfügung stellen. Sie beabsichtigt, ihre Maßnahmen gegen sexuelle Belästigung zu verstärken, hat aber noch kein System zur genauen Lokalisierung der Belästigungsvorfälle. Auf "Harassmap" werden die "Hot spots" klar angezeigt. Viele Freiwillige sind für den Einsatz in den Gemeinden rekrutiert worden. Sie sollen mit den Menschen sprechen, die dort eine hohe Präsenz haben, wie z.B. Eigentümer von Geschäften. Ziel ist es, die Leute zu ermutigen, hinzuschauen und gegebenenfalls einzugreifen. Wir wollen die Isolation der Frauen in solchen Situationen brechen.

Es scheint, als sei Englisch die primäre Sprache des Projektes. Die Arbeit stützt sich auf Facebook, Twitter und Emails. Wie wollen Sie Frauen mit durchschnittlicher Bildung und eingeschränktem Internetzugang erreichen?

Chiao: Unser Hauptansatz ist die SMS. Handys sind in Ägypten sehr verbreitet. Laut offiziellen Angaben gibt es fünfundfünfzig Millionen Handybesitzer. Schätzungsweise die Hälfte davon sind Frauen. Die Zahl steigt jährlich um 10 Prozent. Die Dunkelziffer ist weit höher. Selbst Leute, die kein Handy haben, verwenden oft die Kiosk-Handys.

Warum ist sexuelle Belästigung überhaupt ein Thema in Ägypten?

Chiao: Das "Egyptian Centre for Women's Rights" (ECWR) hat eine Studie veröffentlicht, die eine Reihe von Gründe auflistet: Sexuelle Frustration, die wirtschaftliche Lage und ein hohes Heiratsalter sind wichtige Faktoren. Meiner Erfahrung nach sind das aber keine hinreichenden Gründe. Auch verheiratete Männer und achtjährige Jungen belästigen manchmal Frauen. Frauen scheinen ein leichtes Ziel zu sein. Das war vor zwanzig Jahren anders. Inflation, niedrige Löhne, Umweltverschmutzung, Verkehrsstaus und übermäßige Bürokratie machen den Leuten das Leben schwer. Menschen, die unter Druck stehen und Unterdrückung erleiden, neigen dazu, diesen Druck an sozial schwächere Menschen weiterzugeben, wie z.B. an Frauen.

Logo der Email geführten Lollipop-Kampagne
"Wenn Du keine Fliegen (oder Männer) an Dir kleben haben willst, musst Du Dich verhüllen, trag' ein Kopftuch! Es lädt die ganze Verantwortung auf die Frauen und entlastet die Männer gänzlich!"</i>

​​Vielleicht klingt das widersprüchlich, aber sowohl die liberalen Medien als auch die extrem religiösen Strömungen stellen Frauen primär als Sexobjekte bzw. als Quelle der Versuchung dar. Männer hingegen werden als hilflose Opfer dargestellt. ECWR hat versucht, diesen Auffassungen entgegenzuwirken. Eine der Reaktionen darauf war das Plakat mit den Lollipops. Die Botschaft war: Wenn Du keine Fliegen (oder Männer) an Dir kleben haben willst, musst Du Dich verhüllen, trag' ein Kopftuch! Es lädt die ganze Verantwortung auf die Frauen und entlastet die Männer gänzlich!

Was denken Sie über den Gesetzesentwurf, der bald vom ägyptischen Parlament verabschiedet werden soll?

Chiao: Sie versuchen es schon seit 2008. Ich glaube es erst, wenn ich's gesehen habe. Ein Gesetz würde schon helfen. Sexuelle Belästigung als Straftat zu bezeichnen, würde etwas bringen. Ich stimme aber auch der Kritik des ECWR zu. Der Entwurf hat Belästigung zwar zum Straftatbestand gemacht, aber um einen Belästiger verklagen zu können, muss eine Frau ihn physisch ergreifen und zur Polizeistation befördern. Bis jetzt wurde nur ein solcher Prozess zu Gunsten der Klägerin entschieden. Das war großartig, aber es handelt sich bislang nur um eine von vierzig Millionen ägyptischen Frauen. Das ECWR schlägt vor, dass Polizisten künftig eine Art "Knöllchen für Belästigung" ausstellen dürfen. Das würde eine sofortige Sanktionierung ermöglichen. Der Vorschlag wurde jedoch nicht in den offiziellen Entwurf übernommen.

Was erhoffen Sie sich für Ihre Arbeit in diesem Jahr?

Chiao: Wir hoffen, weitermachen zu können. Wir hoffen ebenfalls, dass wir unsere Arbeit "globalisiert" ausrichten können. Wir waren weltweit die erste Initiative, die eine digitale, interaktive Belästigungskarte aufgebaut hat. Viele Nichtregierungsorganisationen haben uns um Unterstützung bei der Umsetzung ähnlicher Projekte gebeten. Wir arbeiten nun an einem Software-Paket und einem Handbuch, die wir weltweit an die Nichtregierungsorganisationen weiterreichen wollen. Die letzten Anfragen kamen aus dem Libanon, der Türkei, Syrien und den USA. In New York wurde bereits eine solche Kampagne erfolgreich gestartet.

Interview: Nesrine Shibib

© Qantara.de 2011

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de