"Der Irak ist keine Kampfarena für andere Staaten"

Der irakische Ministerpräsident al-Maliki sprach im Rahmen seines Deutschlandbesuchs mit der Deutschen Welle über die Entwicklungschancen des seines Landes, die Aufgaben seiner Regierung und das Verhältnis zu den Nachbarländern. Mit al-Maliki sprach Mohamed Ibrahim.

Der irakische Ministerpräsident Nuri al-Maliki; Foto: dpa/picture alliance
Seit zwei Jahren im schwierigen Amt: Nuri al-Maliki

​​Herr Ministerpräsident, lassen Sie uns mit der Sicherheitssituation im Irak beginnen. Die Lage hat sich offensichtlich in letzter Zeit verbessert, welche Faktoren haben dazu beigetragen? Kann man sagen, dass der Irak wieder auf dem Weg zur Normalität ist?

Nuri al-Maliki: Mit Sicherheit. Dazu beigetragen haben zum einen die abstoßenden Aktionen der Al-Kaida und der illegalen Milizen, zum anderen haben sich die Iraker entsonnen, wie gut sie trotz ihrer unterschiedlichen konfessionellen und ethnischen Zugehörigkeiten im Zeichen der Einheit zusammengelebt haben. Die Regierung hat sich zudem entschlossen gezeigt, ohne Rücksicht auf deren Konfession gegen alle vorzugehen, die außerhalb des Gesetzes stehen. Dadurch bekamen die Menschen das Gefühl, dass der Staat keinen Unterschied zwischen seinen Bürgern macht.

Dazu kamen die umfassenden Sicherheitsmaßnahmen, die für uns alle eine Belastung waren. Hierbei haben die Koalitionstruppen eine große Rolle gespielt. Aber unsere neu aufgebauten Sicherheitsorgane in der Polizei und der Armee, die von Milizen gesäubert wurden, sind jetzt professioneller, sind sich ihrer nationalen Aufgabe bewusst und sind schlagkräftiger geworden. So konnten sie sich erfolgreich einer der größten Herausforderungen im Irak stellen.

Inwieweit lässt sich die verbesserte Sicherheitslage mit der Präsenz ausländischer Truppen im Irak in Verbindung bringen?

al-Maliki: Die Ereignisse der letzten Zeit beinhalten eine klare Botschaft: In Basra standen wir großen Herausforderungen gegenüber, desgleichen an vielen anderen Orten. Der dortige Erfolg kann mit allem Stolz den irakischen Sicherheitskräften in der Polizei und der Armee zugute gehalten werden. Die Planung und die Ausführung lag in den Händen der irakischen Regierung. Die irakischen Sicherheitskräfte sind mit der irakischen Gesellschaft und der Geografie besser vertraut, kennen die Illegalen besser und sind zudem gut ausgebildet. Das hat uns und auswärtige Beobachter in dem Vertrauen bestärkt, dass die Armee und die Polizei des Irak auch allein in der Lage sind, Sicherheit zu gewährleisten. Auch die Koalitionstruppen bestätigen dies mittlerweile und sind stolz darauf, dass die irakische Armee die Lage unter Kontrolle bekommt.

Man diskutiert zur Zeit stark das Sicherheitsabkommen, das der Irak mit den USA unterzeichnen soll. Wird dieses Abkommen einen Zeitplan zum Abzug der US-amerikanischen Truppen aus dem Irak beinhalten?

al-Maliki: Der Dialog zwischen der US-amerikanischen und der irakischen Seite läuft noch. Die anfänglichen Entwürfe beinhalteten noch sehr weitgehende Forderungen, die wir beziehungsweise die USA jeweils nicht akzeptierten. Aber die politische Situation entwickelt sich. Gerade haben mehrere irakische Minister nach einer Zeit des Boykotts ihre Mitarbeit in der Regierung wieder aufgenommen. Die politischen Strukturen festigen sich, die Sicherheit hat sich verbessert und wir stehen vor einer wichtigen Aufgabe.

Ausländische Streitkräfte können nicht für immer im Land bleiben. Seit langem befinden wir uns in einem intensiven Dialog über einen festen Zeitplan für die Truppenpräsenz und eine Phase, die den Abzug dieser Truppen vorbereitet. Die Unterredungen darüber dauern an. Alle irakischen Parteien, aber auch die Koalitionstruppen sind sich im Prinzip darüber einig, dass ihre Präsenz befristet sein und dass die Verantwortung irgendwann an die immer stärker werdenden irakischen Kräfte übergeben werden muss.

Glauben Sie, dass die Gegebenheiten im Irak es jetzt wieder zulassen, dass ausländische und auch deutsche Firmen in den Irak kommen und sich am Wiederaufbau des Landes beteiligen?

al-Maliki: Ich war persönlich in Japan, Korea und anderen Staaten und habe die dortigen Firmen aufgefordert, im irakischen Elektrizitätssektor, im Treibstoff- und Ölbereich zu investieren. Aber niemand kam diesem Aufruf nach, weil die dortigen Regierungen es ihren Firmen aufgrund der Sicherheitssituation untersagt haben, in den Irak zu gehen. Jeder Beobachter wird aber bestätigen können, dass eine ganze Reihe von Wirtschafts- und Industrieministern aus Japan, Deutschland, den USA und Großbritannien den Irak besucht haben, und dass Konzerne wie GE und Siemens bereits im Irak tätig sind und dort in verschiedensten Sektoren konkurrieren.

Der für uns wichtigste Bereich ist der der Stromversorgung und das Erdöl. Durch eine Wiederinstandsetzung dieser Bereiche könnten die Landwirtschaft und die Industrie wieder aufgebaut und der Lebensstandard der Iraker und ihre Lebensumstände insgesamt verbessert werden. Sie wissen, wie ängstlich das Kapital ist. Die Firmen kommen nur, wenn die Umstände es zulassen. Wir haben für eine verbesserte Sicherheitssituation gesorgt, aber wir bieten noch mehr: Kapital will auch Schutz.

Deshalb wurde eine Investitionsbehörde für alle Gouvernorate gebildet, die Investoren schützt und ihnen günstige Umstände gewährleistet. Dies zusammen mit der verbesserten Sicherheitssituation erlaubt den Schluss, dass es jetzt Zeit wird, im Irak zu investieren, und tatsächlich haben ja viele Firmen in allen möglichen Bereichen bereits damit begonnen.

Dennoch verharren noch Hunderttausende von Irakern außerhalb der Grenzen. Glauben Sie nicht, dass diese zunächst zurückkehren müssten, um ausländischen Unternehmen ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln?

al-Maliki: Hier wäre zunächst zu fragen, warum die Presse sich so sehr mit ungenauen und aufgebauschten Zahlen aufhält und nicht über die vielen Tausend Iraker berichtet, die bereits Tag für Tag zurückkehren. Auch die Staaten, die behauptet hatten, sie hätten eine oder zwei Million Iraker aufgenommen, hatten in Wirklichkeit nur 50.000 oder 100.000 Flüchtlinge im Land. Jetzt kehren viele Iraker bereits zurück, und wir versuchen dies zu erleichtern. So weit wir können, garantieren wir ihnen Sicherheit und stellen Fahrzeuge für Rückkehrer zur Verfügung. Wir gewähren alles, was eine Rückkehr ins Land erleichtert, und die Sicherheitslage hat sich verbessert.

Die Iraker lieben ihr Land, deswegen kommen jetzt sehr viele zurück, sei es aus dem Ausland oder seien es Innenvertriebene. Wir haben uns einen Zeitraum von 60 Tagen gesetzt, während der wir das Problem der Flüchtlinge und Vertriebenen lösen wollen. Wenn aber Iraker - genauso wie Syrer, Libanesen oder Jordanier - lieber emigrieren möchten, um beispielsweise zu studieren, zu investieren oder zu arbeiten oder aus sonstigen Gründen, dann verbieten wir ihnen das nicht. Aber die Faktoren, die eine Abwanderung bedingt haben, haben wir beseitigt, insbesondere in Bezug auf die Sicherheit. Auch die Wirtschaftslage hat sich verbessert. Die Iraker im Ausland können also auf einen Arbeitsplatz und einen Lebensunterhalt für ihre Familien hoffen.

Wie kommentieren Sie Berichte über eine zunehmende Emigration von irakischen Minderheiten, insbesondere von Christen?

al-Maliki: Auch hier wird übertrieben, und dies wird politisch ausgenutzt. Man spricht über die Emigration im Wesentlichen aus politischen Gründen. Die politischen Ziele gehen zum Teil auf Gruppierungen im Irak zurück, zum Teil scheinen sie auch uneigennützig zu sein. Aber es war nicht nur eine bestimmte Ethnie oder Konfession Ziel von Angriffen, und tatsächlich wurden nicht nur Christen von Muslimen oder umgekehrt verfolgt. Wir hatten vielmehr eine Welle des Terrors und des willkürlichen Mordens gegen Christen, Sabier und Muslime, Sunniten wie Schiiten, Araber und Kurden, und die Christen hatten darunter ebenso zu leiden wie andere.

In jedem Fall ist dem Staat daran gelegen, dass die Betroffenen im Land bleiben und ihr Leiden gemildert wird, dass sie in ihren Regionen verbleiben und dass sie Schutz erfahren, denn es handelt sich bei all diesen Menschen um Iraker, ja um die ursprünglichen Bewohner des Landes. Sie verspüren ein gewisses Unrecht, aber nicht nur sie, und die Regierung darf sie nicht anders behandeln als andere.

Wie kann man die Rolle Irans im Irak beschreiben? Wirkt der Iran stabilisierend oder betrachtet der Iran den Irak als einen Ort der Auseinandersetzung mit den USA?

al-Maliki: Niemand kann bestreiten, dass es einen iranisch-amerikanischen Konflikt gibt. Da wird debattiert und gedroht, und es gibt diplomatische und politische Lösungsbemühungen. Dieser Konflikt besteht weiter, und man könnte sehr lange darüber sprechen. Wenn der Irak schwach und zerrissen ist und ein Spielfeld für andere wird, dann wird der Iran wie jeder andere Staat sich ermuntert sehen, im Irak mitzumischen. Aber in dem Maße, in dem der Irak seine Souveränität und seine nationale Einheit wiedererlangt hat und seine Regierung und seine Sicherheitsorgane erstarken und die Bürger sich um seinen Staat scharen, konnte der Irak ein Signal an alle aussenden, die geglaubt hatten, dass sie den Irak als Kampfplatz nutzen könnten.

Sollen andere sich zu Land, zu Wasser oder in der Luft bekämpfen, aber auf irakischem Territorium lassen wir das nicht zu. Wir erlauben keiner Regierung, im Irak Rechnungen mit anderen zu begleichen. Insofern hat die nationale Einheit und haben die stärker gewordenen Sicherheitsorgane und ihre erfolgreichen Einsätze uns nun in eine Situation gebracht, dass wir darüber nachdenken können, wie wir die Beziehungen zu unseren Nachbarn regeln können. Die uns umgebenden Staaten werden ja nicht verschwinden, und wir auch nicht. Daher versuchen wir Beziehungen auf der Grundlage gemeinsamer Interessen und von Nichteinmischung aufzubauen und zu gestalten. Unsere vom Volk angenommene Verfassung untersagt uns jede Einmischung in die Angelegenheiten anderer Länder, verbietet jede Einmischung von außen und untersagt, dass vom Irak aus die Sicherheit der Nachbarstaaten beeinträchtigt wird.

Wir glauben, dass die Region ein umfassendes Sicherheitssystem benötigt, und wir arbeiten darauf hin. Daher hat auch der Iran und haben andere Staaten begriffen, dass es zu einem Dialog kommen muss, um die Probleme zu lösen, die ja zum Teil nicht neu sind. Es gab einen achtjährigen Krieg zwischen Iran und Irak, es gibt das Problem des Abkommens von 1975 und es gibt Grenz- und Wasserstreitigkeiten, die wir vom vorigen Regime geerbt haben. Da gibt es jetzt Bewegung, und Arbeitsgruppen beider Seiten sind in Kontakt, um diese Dinge beizulegen. Das Ziel ist, gleichberechtigte Beziehungen im beiderseitigen Interesse aufzubauen.

Die arabischen Staaten haben sehr gezögert, Botschaften im Irak zu eröffnen - sie beginnen jetzt schüchtern damit. Wie bewerten Sie diese Zögerlichkeit und diesen Schwenk?

al-Maliki: Die Zögerlichkeit war ja zum Teil vielleicht gerechtfertigt, sei es aus Gründen der Sicherheit, sei es auf Grund der Befürchtung, dass der Irak nun für immer dem Einfluss anderer Staaten wie des Iran oder der USA erliegen würde. Viele Rechtfertigungen wurden da ins Feld geführt. Dahinter stand vielleicht auch ein Standpunkt, der so nicht zu akzeptieren ist: Wer sagt, dass der Irak wieder in seine arabische Umgebung zurückkehren muss, der muss auch Präsenz zeigen und das Vakuum füllen, statt anderen das Feld zu überlassen und sie dann dafür zu kritisieren. Diese Rechtfertigungen greifen jetzt nicht mehr.

Wer geglaubt hatte, dass die irakische Regierung konfessionalistisch ist, musste sich eines Besseren belehren lassen. Wer geglaubt hatte, dass sie zulassen würde, dass die ausländischen Truppen der irakischen Sicherheit schaden, muss nun einsehen, dass die irakische Regierung weder die Sicherheit des Irak noch der Nachbarstaaten aufs Spiel setzt. Andere hatten geglaubt, dass die Regierung ihre Bürger ungleich behandeln oder schwach sein würde.

All diese Rechtfertigungen sind jetzt Gott sei Dank hinfällig. Deshalb sind viele Staaten jetzt wieder vor Ort. Jordanien, die VAE, Kuwait und Bahrain haben hier eine Vorreiterrolle gespielt, und auch die anderen arabischen Staaten sind hoffentlich bald wieder im Irak vertreten, um sich selbst davon zu überzeugen, dass der Irak, auf den sie so viel halten, intakt ist. Die Staaten haben sich auch nicht mit Worten des Bedauerns zurückgemeldet, sondern haben ihre Wertschätzung für den Irak bekundet und betont, dass der erfolgreiche Weg des Irak sie dazu ermutigt und es ihnen ermöglicht hat, wieder Vertretungen im Irak zu beziehen. Aber wir wollen nicht nur Botschaften. Wir wollen, dass die Staaten sich an Investitionen, am Wiederaufbau und an Dienstleistungen beteiligen. Wir wollen brüderliche Beziehungen und diplomatische Verbindungen mit allen arabischen Staaten.

Interview: Mohamed Ibrahim

© Deutsche Welle 2008

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