Kulturbotschafter in schwierigen Zeiten

Das Teheraner Sinfonieorchester ist trotz der politischen Probleme nach Deutschland gereist und hat das Morgenlandfestival in Osnabrück eröffnet. Ingmar Kreisl sprach mit dem Dirigenten Nader Mashayekhi.

Nader Mashayekhi; Foto: www.osnabrueck.de
Das Sinfonieorchester hat seine Rolle als kultureller Vermittler sehr gut demonstriert, meint Nader Mashayekhi

​​Messen Sie der Reise des Teheraner Sinfonieorchesters nach Deutschland auch politische Bedeutung bei?

Nader Mashayekhi: Ja, ich glaube, in diesen Zeiten hat das Ganze sicher einen politischen Aspekt. Das Wichtigste ist, dass wir die andere Seite des Iran zeigen können. Wir wollen zeigen, dass wir Iraner auch anders sein können.

Verstehen Sie sich auch als eine Art Kulturbotschafter?

Mashayekhi: Ich glaube, ja.

Um Diplomatie mit kulturellen Mitteln zu betreiben?

Mashayekhi: Nein, nicht bewusst, aber das ist auch ein Nebeneffekt.

Die Ausreisegenehmigung für Ihr Orchester wurde von vielen als eine kleine politische Sensation bezeichnet. Sehen Sie das auch so?

Mashayekhi: Absolut. Für mich kam das völlig unerwartet. Ich muss jetzt nach Iran gehen und ein paar Tage darüber nachdenken, was alles geschehen ist. Das war wirklich eine Sensation.

Sie haben erst vor kurzem die Leitung des Teheraner Sinfonieorchesters übernommen. Welche Bedingungen fanden Sie bei Ihrem Arbeitsbeginn vor?

Mashayekhi: Dadurch, dass das Orchester lange Zeit keinen Dirigenten hatte, musste man es wieder neu zusammenführen. Innerhalb eines Monats haben die Musiker verstanden, dass die Arbeit ernst gemeint ist und es nicht um irgendetwas, sondern um eine enorm wichtige Reise für das Orchester und für die Musik in Iran ging.

Ihre Musikauswahl für das Eröffnungskonzert in Osnabrück war für viele überraschend. Das Orchester hat unter anderem ein Stück von Frank Zappa gespielt. Hat man von iranischer Seite versucht, auf die Auswahl der Musikstücke Einfluss zu nehmen?

Mashayekhi: Frank Zappa fand ich einfach toll. Wenn ein Teheraner Sinfonieorchester Frank Zappa spielt, dann würde ich als Erster da hin gehen, um zu sehen, was da los ist.

Ich schätze die Musik Frank Zappas sehr. Sie ist sehr musikalisch und gleichzeitig sehr intellektuell. Trotzdem tut er nicht so, als ob er intellektuell wäre, dies steht nicht im Vordergrund. Ebenso gibt es in seiner Musik viele Aspekte, die für ein Sinfonieorchester interessant sind.

Und die Musiker haben zum ersten Mal angefangen zu üben. Das war sehr schön, dass die Musiker nicht einfach unvorbereitet zur Probe gekommen sind, sondern richtig miteinander geübt haben.

Und niemand hat versucht, die Aufführung eines Frank Zappa Stückes zu untersagen?

Mashayekhi: Nein, niemand hat das gemacht.

Wie kommen junge Menschen in Iran auf die Idee, sich für europäische Musik zu begeistern und ein klassisches Instrument zu erlernen?

Mashayekhi: Es gibt eine bestimmte Schicht, die sich dafür interessiert. Vor zehn Jahren musste man noch aufpassen, dass man nichts Negatives zu einem bestimmten Musiker sagte, denn er wäre gegangen. Dann hätten wir beispielsweise keinen Flötisten oder Cellisten mehr gehabt. Aber diese Zeiten sind längst vorbei. Ich habe gesehen, dass die Jugendlichen wahnsinnig gut spielen können. Bis jetzt habe ich ungefähr 60, 70 Leute gesehen, und die waren wirklich sehr gut.

Im Orchester spielen viele Frauen. Sind die iranischen Frauen in diesem Bereich in eine Männerdomäne vorgestoßen?

Mashayekhi: Ja, eindeutig. Die Frauen in Iran sind anders als Frauen in Saudi-Arabien. Die Frauen nehmen Gelegenheiten wahr. Sie sind in jedem Bereich sehr aktiv. Und vor allem sind sie viel disziplinierter als die Männer.

Was bedeutet die Deutschland-Tournee für das Orchester? Ist es auch eine Möglichkeit, in Iran bekannter zu werden?

Mashayekhi: Eindeutig. Meine erste Idee war, wenn wir das Orchester verbessern wollen, dann müssen wir seine Rolle in der Gesellschaft erst einmal definieren. Brauchen wir überhaupt ein Sinfonieorchester in Teheran? Und wenn ja, warum? Dieses Konzert war eine Antwort auf dieses warum. Das Sinfonieorchester hat seine Rolle als kultureller Vermittler sehr gut demonstriert. Ich wollte dies zeigen, ich wollte zeigen, dass das Sinfonieorchester wichtig ist.

Was sind Ihre Ziele für das Orchester? Wollen Sie es zu der Größe zurückführen, die es zu Zeiten des Schahs hatte und sehr viele internationale Stars Teil des Ensembles waren.

Mashayekhi: Es ist zwar sehr schön, wenn Stardirigenten kommen, ich möchte das auch. Aber ich möchte es nicht so wie vor 30 Jahren machen. Denn was bringt es, wenn 80 Prozent des Orchesters Ausländer sind? Wenn es zu Problemen kommt, dann kehren sie Iran den Rücken und verschwinden. Das wäre ein harter Schlag für das Orchester und würde seine Existenz bedrohen.

Interview Ingmar Kreisl

© Qantara.de 2006

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Weitere Informationen auf der Homepage des Morgenlandfestivals in Osnabrück