"Der Nahost-Konflikt ist zu asymmetrisch"

In seinem neuen Buch beschreibt der Journalist Martin Schäuble die Gesellschaften von Israel und Palästina aus der Binnensicht. Dafür hat er das Land zu Fuß bereist. Über die innere Zerrissenheit der beiden Völker sprach er mit Abderrahmane Ammar.

Von Abderrahmane Ammar

Worum geht es in Ihrem Buch "Zwischen den Grenzen. Zu Fuß durch Israel und Palästina"

Martin Schäuble: Das Buch ist ein Reisebericht. Darin kommen all die zu Wort, die mir am Wegesrand begegnet sind. Israelis, die in der Negev-Wüste leben oder in Tel Aviv, Palästinenser, die in Hebron im Süden leben oder in Jenin, eine Kleinstadt ganz im Norden des Westjordanlands.

Sie sind zu Fuß durch Israel und Palästina gereist. Was hat Sie dazu motiviert, ein Buch über diese ungewöhnliche Reise zu verfassen?

Schäuble: Den Nahost-Konflikt kennen viele nur aus den Nachrichten. Diese transportieren oftmals eine Perspektive, die einen Blick von oben hat. Ich wollte aus der Augenhöhe heraus berichten, mit Menschen sprechen, die den Konflikt alltäglich erleben. Etwas zu Fuß oder per Anhalter zu erleben, ist für mich etwas ganz anderes.

Ich war nah am Geschehen, lernte viele Menschen sehr persönlich kennen. Zugleich ist das Buch eine Einladung zu einer gemeinsamen Reise, die ich mit den Lesern unternehmen möchte.

Zurzeit trennen 400 Kilometer Zaun und Mauer das Westjordanland von Israel, insgesamt sollen es sogar 700 Kilometer werden. Sie ist zu einem Symbol der Unterdrückung und der Trennung geworden. Martin Schäuble hat angesichts der politischen Lage in Israel und den Palästinensergebieten wenig Hoffnung, dass sich die Situation bald zum Besseren wenden wird.

Welche Sorgen teilen die jungen Menschen in Israel und Palästina?

Schäuble: Es fällt mir schwer, von „den Israelis“ und „den Palästinensern“ zu sprechen. Zu viele Unterschiede gibt es da auch innerhalb der Gesellschaften. Eine Gemeinsamkeit scheint aber die Sorge vor der eigenen Zukunft, auch der beruflichen, zu sein.

Die Mittelschicht in Israel hat große Abstiegsängste, das zeigten auch die massiven Proteste gegen die eigene Regierung.

In Palästina gibt es viele Uniabsolventen, die einfach keine Anstellung finden, die ihren Qualifikationen entspricht. Das ist für beide Seiten tragisch und wird Folgen haben.

Sie haben schon ein Buch über die Dschihadisten in Palästina veröffentlicht.  Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen der Arbeitslosigkeit und religiösem Fundamentalismus?

Schäuble: Bei meinen bisherigen Büchern lernte ich vor allem eines: Einfache Antworten gib es bei diesem Thema nicht. So wäre ich bei „Black Box Dschihad“ vielleicht froh gewesen, hätte ich eine Gleichung gefunden, eine mathematische. Eine Gleichung, die genau besagt, wie einer der jungen Männer aus dem Buch zum Dschihadisten wurde. Was ihn dazu gemacht hat. Aber das Leben ist weit mehr als eine Gleichung. Und wenn wir Fundamentalismus erklären wollen, dann müssen wir immer genau hinschauen, uns Zeit nehmen für den Einzelfall, biografisch forschen. Das ist mühsam, aber die Arbeit lohnt sich.

Martin Schäuble durchquerte Israel und die Palästinensischen Gebiete von Nord nach Süd - das sind rund 425 Kilometer Luftlinie. Auf diesem langen Weg begegnete er zahlreichen und sehr unterschiedlichen Einheimischen und Siedlern, die er in seinem Buch zu Wort kommen lässt. Besonders wichtig war ihm dabei der Dialog auf Augenhöhe, den Nachrichtenmeldungen seiner Meinung nach oft nicht besitzen.

Haben Sie Menschen getroffen, die Sie als Hoffnungsträger für Frieden und Versöhnung bezeichnen können - auf beiden Seiten? 

Schäuble: Viele tragen Hoffnung in sich. Doch weitaus spürbarer ist die Verzweiflung, die Hoffnungslosigkeit. Viele meiner Gesprächspartner richteten sich daher im Konflikt ein, im Ausnahmezustand sozusagen. Sie gewöhnten sich daran, machten das Beste daraus und hielten sich an persönlichen Erlebnissen fest. Das verstehe ich auch, die politische Situation ist so verfahren, dass auch ich kaum Hoffnung habe.

Welche Alternativen gibt es zur Zweistaatenlösung? Ist eine Trennung beider Völker überhaupt möglich? 

Schäuble: Aus der Ferne, wenn ich zum Beispiel in Deutschland bin für Lesungen, dann sehe ich Chancen, habe Ideen. Aber hier lebend, den Alltag sehend, die Checkpoints zum Beispiel, die Frustration, da bin ich wieder Realist. Ich sehe derzeit keine Möglichkeit für einen Frieden. Zweistaatenlösung, Einstaatenlösung – wichtig wäre doch erst ein Kontakt auf Augenhöhe. Und diese Augenhöhe kann hier nicht hergestellt werden. Der Konflikt ist zu asymmetrisch.

Ist es denkbar, dass aus der Zivilgesellschaft beider Völker Versöhnungsimpulse hervorgehen? 

Schäuble: Das glaube ich derzeit nicht. Auch, weil die Gesellschaften zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind. In Israel ist es der Zusammenstoß zwischen Ultra-Orthodoxen und Weltlichen. In Palästina der Bruderkrieg von Hamas und Fatah. Wer denkt da an Versöhnung mit dem Nachbarstaat?

Was kann und soll Europa tun, um diesen Konflikt zu entschärfen?

Schäuble: Jede Einmischung sah bisher eher hilflos aus. Es ist unklar, für welche Seite man steht. Unklar, wofür man überhaupt auch inhaltlich steht. Hier fehlt die gemeinsame Vision. Ein doch sehr europäisches Problem. Andererseits bezweifle ich, dass Europa eine Stimme hätte, auf die man hier auf beiden Seiten gewissenhaft hören möchte. Vielleicht ist das auch richtig so, denn Konflikte von außen zu lösen, ist ja auch eine komplizierte Sache, die schnell scheitern kann.

Interview: Abderrahmane Ammar

© Qantara.de 2013

Martin Schäuble ist Politikwissenschaftler, Journalist und Sachbuchautor. Vor kurzem ist sein Buch „Zwischen den Grenzen. Zu Fuß durch Israel und Palästina“ im Hanser Verlag erschienen.

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de