"Ich glaube nicht an weibliche Solidarität"

Die libanesische Journalistin und Schriftstellerin Joumana Haddad gilt als eine der couragiertesten Frauenrechtsaktivistinnen in der arabischen Welt. Im Interview mit Ceyda Nurtsch erzählt sie von ihrem Erotik-Magazin "Jasad", feministischen Stereotypen und weshalb der "Arabische Frühling" nur ein weiterer Winter war.

Von Ceyda Nurtsch

Vor fünf Jahren brachten Sie die erste Ausgabe Ihrer Zeitschrift "Jasad" (Körper) heraus. Welche Reaktionen erfolgten darauf?

Joumana Haddad: Erst einmal muss ich sagen, dass "Jasad" seit zwei Jahren nicht mehr herausgegeben wird – nicht aufgrund der Zensur, sondern wegen finanzieller Probleme. Wir haben acht Ausgaben herausgebracht, die Zeitschrift erschien vierteljährlich. Leider hatten wir keine finanzielle Unterstützung, also musste ich die Publikation beenden. Wir bekamen keine Werbung, weil die Leute Angst hatten, in einem solchen Erotik-Magazin zu werben. Während wir die Zeitschrift herausbrachten, waren die Reaktionen verschieden.

Natürlich gab es viel Ablehnung und Zorn, und täglich erhielt ich Drohbriefe per Mail, die meisten von ihnen waren anonym. Aber gleichzeitig bekamen wir auch viel Unterstützung. Das Problem war, dass die Attacken gegen uns öffentlich waren, wohingegen die Unterstützung für uns privat blieb, weil sich die Leute nicht zu sagen trauten, dass sie ein solches Magazin unterstützen. Die Verkaufszahlen im Libanon waren dennoch sehr gut. In allen anderen arabischen Ländern wurde die Zeitschrift zensiert, aber es gelang uns manchmal einige Kopien per Kurierdienst auch außerhalb des Libanon zu verschicken.

Auf die negativen Reaktionen war ich vorbereitet. Ich ließ mich deshalb auch nicht davon einschüchtern, und es hinderte mich nicht daran, die Zeitschrift weiter herauszugeben. Ich glaubte an das Projekt und glaube noch immer daran. Ich hoffe, dass ich die Publikation bald schon wieder fortsetzen kann, denn es ist wichtig, in der arabischen Welt Fragen um das Thema Körper zu diskutieren. Der Körper in der arabischen Welt trägt viele Fesseln und man kann nicht über Demokratie, Freiheit und all diese Themen sprechen, ohne eines der Haupttabus in unserem Teil der Welt anzugehen, nämlich die Sexualität, insbesondere die weibliche Sexualität.

Welches Ziel verfolgten Sie mit "Jasad"?

Fotomontage Joumana Haddad-Porträtbilder und Jassad-Ausgabe; Quelle: Joumana Haddad
Radikaler Bruch mit nahöstlichen Tabus, die sich um den Körper und die Sexualität ranken und mit patriarchalen Klischees: Joumana Haddad gab 2008 das Erotik-Magazin Jassad in Beirut heraus und musste sich als Reaktion Schmähungen und Attacken gefallen lassen.

Haddad: Ich kann nicht sagen, dass ich ein bestimmtes Ziel im Sinn hatte. "Jasad" war schließlich keine Ideologie. Es war vor allem ein Projekt, von dem ich dachte, dass es wichtig und neu in der arabischen Welt ist. Gleichzeitig wollte ich einen Platz für Künstler und Intellektuelle in der arabischen Welt schaffen, die wie ich dachten und an diesen Themen interessiert waren. Wie brachten daher auch keine Texte unter falschen Namen heraus. Jeder Autor trug die volle Verantwortung, unter seinem richtigen Namen zu veröffentlichen. Das hatte den Effekt, dass die Leute ihre Meinungen mit großem Selbstbewusstsein und Mut vertraten, denn sie sagten: "Ich bin davon überzeugt, dass ich das Recht habe, das zu sagen was ich denke."

In Ihrem Buch "Wie ich Scheherazade tötete" bringen Sie Scheherazade symbolisch um, weil sie in ihren Augen ein Symbol von Verhandlung und Zugeständnis darstellt. Hätten Sie nicht vielmehr symbolisch den brutalen König umbringen sollen? Sollten Frauen nicht zusammenhalten?

Haddad: Ich glaube nicht an weibliche Solidarität. Ich denke, das ist ein veralteter Stereotyp. Ich glaube an Solidarität zwischen Menschen. Ich glaube, dass Männer und Frauen gemeinsam für eine würdevollere Welt kämpfen sollten. Ich weiß, dass es viele Frauen gibt, die nicht an ihre Würde glauben. Und es gibt viele Männer, die für Frauenrechte kämpfen. Es gibt feministische Männer und es gibt viele patriarchale Frauen. Die Unterscheidung zwischen männlich und weiblich ist also nicht etwas, was mich überzeugt.

Buchcover Joumana Haddad: "Wie ich Scheherezade tötete"
"Wie ich Scheherezade tötete" ist mehr als die Darstellung von Haddads Selbstbefreiung und auch mehr als die Widerlegung der westlichen Klischees von den unterdrückten arabischen Frauen. Es ist vor allem eine Kampfansage an die herrschenden körper- und frauenfeindlichen Strukturen in der arabischen Welt, die es schonungslos benennt.

Auch habe ich den König deshalb nicht getötet, weil er für mich schon tot ist! Ich denke nicht, dass es darum geht, ihn zu bekämpfen, sondern vielmehr die Frau auf die Fallen aufmerksam zu machen, in die sie fällt – die Fehler, die sie begeht. Bevor man die andere Person ändert, hat man die Verantwortung, sich selbst zu ändern. Man hat die Verantwortung, seiner Fehler, Irrtümer und Mängel gewahr zu werden. Das Problem mit dem anderen wird verschwinden, wenn man dieses Selbstvertrauen und den Glauben an seine Kraft hat.

Sie sehen sich als Postfeministin. Was bedeutet das?

Haddad: Es ist eine Neuerfindung des Worts, wenn Sie so wollen, denn das Wort "Feminismus" erschreckt viele Menschen – Männer und Frauen gleichermaßen. Ich spreche über die arabische Welt, aber ich weiß, es ist dasselbe an anderen Orten. Es gibt viele Frauen, die sehr selbstsicher und stark sind, die aber nicht als Feministinnen bezeichnet werden wollen, auch wenn sie in ihrem tiefsten Inneren Feministinnen sind. Ich denke, das ist sehr ungerecht. Ich gebe zu, dass einige Feministinnen, besonders in den 1970er Jahren, als die zweite Feminismus-Welle in Europa sehr stark war, Männern gegenüber sehr aggressiv waren. Sie glaubten, sie müssten ihre Weiblichkeit und ihr Frausein leugnen, um zu beweisen, dass sie stark sind. Sie begannen sich wie Männer zu verhalten oder waren Männer-Hasser.

Zum einen denke ich, dass dieses Stereotyp nicht auf alle Feministinnen zutrifft. Zum anderen glaube ich auch, dass dieses Stereotyp falsch ist, weil Frauen keine Männerhasser sein sollten. Ich denke, dass Männer und Frauen gemeinsam kämpfen sollten, wie ich eben erwähnte. Wir sollten auch nicht unsere Weiblichkeit ablehnen, es sei denn wir wollen das. Aber wir sollten sie nicht ablehnen, um zu beweisen, dass wir stark sind. Dadurch sagt man: um stark zu sein, muss ich mehr als ein Mann werden. Ich glaube an die weibliche Stärke an sich. Sie mag sich von der Stärke des Mannes unterscheiden, aber sie ist da. Ich muss mich nicht wie ein Mann verhalten, um irgendjemandem zu beweisen, dass ich stark bin. Ich kann vollkommen eine Frau sein und es genauso tun. Wenn ich also Postfeministin sage, spreche ich von diesen zwei Punkten, den zwei Kritikpunkten an der feministischen Bewegung und dem feministischen Konzept.

Dennoch definieren Sie sich – wenn Sie sich definieren müssten – in erster Linie als Dichterin. Was ist der Grund dafür?

Haddad: Weil es meine Wahrheit ist, ich bin in erster Linie eine Dichterin. Nicht, weil ich, als ich mit dem Schreiben begann, Gedichte verfasste. Es ist das, was mir am ähnlichsten ist. Wenn ich Poesie verfasse, bin ich mir am nächsten. Das ist mein wahres Wesen. Auch in den Büchern, die ich geschrieben habe und die keine Gedichtbücher sind, existiert immer Poesie. Es gibt hier und da ein Gedicht oder auch poetische Reflexionen. Das ist meine wahre Identität.

Salafisten in Tunis; Foto: FETHI BELAID/AFP/Getty Images
Joumana Haddad: "Was wir jetzt erleben, war abzusehen. In der Zeit der Diktaturen gab es im Verborgenen den Trend zu glauben, die Religion sei das Mittel zur Aussöhnung, die Lösung schlechthin. Also nährte die Ungerechtigkeit der Diktatoren die religiösen Extremisten und ihren Auftrag"

Viele Menschen hatten die Hoffnung, dass sich mit dem sogenannten "Arabischen Frühling" die Situation der Frauen verbessern könnte. Sind sie enttäuscht?

Haddad: Ich bin nicht enttäuscht, weil ich nie daran geglaubt habe, dass es ein Frühling ist. Als es vor drei Jahren in Tunesien und dann in Ägypten begann, schrieb ich in vielen Zeitungen, auch in Deutschland: Passt auf, das ist kein Frühling! Es ist vielleicht eine Revolution, aber kein Frühling. Es ist nur ein weiterer Winter. Natürlich mussten die Diktaturen abgeschafft werden, doch was darauf folgt, ist nur ein weiteres Monster – nämlich das Monster des islamistischen Extremismus. Das kann nicht mehr Freiheit, mehr Rechte, mehr Gleichheit in die Gesellschaften bringen, in denen diese Revolutionen stattfanden. Die Frauen wurden in dieser Phase der Revolution benutzt, um zu zeigen, dass es sich um allgemein populäre Forderungen handelte. Dann wurden sie aus der Rechnung gestrichen und ihre Rolle und Bedürfnisse wurden nicht diskutiert.

Auch die Frauen selbst kämpften nicht mehr weiter – mit Ausnahme Tunesiens. Dort gelang es ihnen, zurückzubekommen, was sie fast verloren hatten. Wir müssen noch warten. Was wir jetzt erleben, war abzusehen. In der Zeit der Diktaturen gab es im Verborgenen den Trend zu glauben, die Religion sei das Mittel zur Aussöhnung, die Lösung schlechthin. Also nährte die Ungerechtigkeit der Diktatoren die religiösen Extremisten und ihren Auftrag. Es ist normal, dass sie nun die Möglichkeit nutzen, das Land unter ihre Kontrolle zu bringen. Aber ich bin davon überzeugt, dass sie versagen werden. In zehn bis fünfzehn Jahren werden die Menschen merken, dass sie keine Diktaturen, aber auch keine religiösen Regime wollen. Und das ist dann vielleicht die Zeit, wenn der Arabische Frühling wirklich kommt.

Interview: Ceyda Nurtsch

© Qantara.de 2014

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de

Joumana Haddad wurde 1970 in Beirut geboren und ist Dichterin, Übersetzerin, Journalistin und Frauenrechtsaktivistin. Neben zahlreichen Büchern publizierte sie 2008 auch das Erotikmagazin "Jasad".