Gedämpfter Optimismus im Nordosten Afghanistans

In Teilen Afghanistans wird das internationale Engagement von der Bevölkerung als Faktor für Sicherheit wahrgenommen - so das Ergebnis der Studie "Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit" der FU Berlin. Ulrich Schwerin hat sich mit dem Autor der Studie, Jan Koehler, unterhalten.

In Teilen Afghanistans wird das internationale Engagement von der Bevölkerung als Faktor für Sicherheit wahrgenommen - so das Ergebnis einer Studie des Sonderforschungsbereichs "Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit" der FU Berlin. Ulrich Schwerin hat sich mit dem Autor der Studie, Jan Koehler, unterhalten.

Jan Koehler; Foto: Freie Universität Berlin
Koehler: "Wir waren erstaunt, dass in Kunduz und Takhar bei der Umfrage 95 Prozent der Haushalte erklärten, dass sich die Sicherheitslage verbessert habe."

​​ Herr Koehler, Sie haben 2007 und 2009 in den Provinzen Kunduz und Takhar im Nordosten Afghanistans die Bevölkerung zu ihrer Bewertung des internationalen Einsatzes befragt. Die Ergebnisse der Umfrage zeigen eine überraschend positive Einschätzung des Engagements.

Jan Koehler: Ja, ich war teilweise selbst von den Ergebnissen überrascht, da ich zuvor im Osten Afghanistans geforscht hatte und dort die internationalen Truppen von der lokalen Bevölkerung mehr als Teil des Sicherheitsproblems denn als Teil seiner Lösung wahrgenommen wurden.

Der große Vertrauensvorschuss, der noch 2004 der Intervention entgegengebracht wurde, war dort aufgebraucht. Daher waren wir erstaunt, dass in Kunduz und Takhar 2007 bei der Umfrage 95 Prozent der Haushalte erklärten, dass sich die Sicherheitslage in den letzten zwei Jahren verbessert habe und 80 Prozent diese Verbesserung der internationalen Militärpräsenz zuschrieben.

Gibt es bei der zweiten Umfragerunde eine Veränderung in der Haltung der Bevölkerung gegenüber den ausländischen Kräften?

Koehler: Bei der Umfrage 2009, von der nun die ersten Ergebnisse ausgewertet werden, waren die Aussagen zur Sicherheit etwas gedämpfter, da der Eindruck war, dass in der Provinz Kunduz die Anschläge zugenommen hatten und der Druck externer Kräfte auf die lokale Bevölkerung gestiegen war, wobei gerade Dorfbewohner, die für den Staat arbeiteten, bedroht wurden.

Dies erklärt die weniger positive Einschätzung der Sicherheitslage, doch muss betont werden, dass gegenüber 2007 noch immer eine Verbesserung wahrgenommen und der Beitrag der internationalen Truppe zur Sicherheit auch hier positiv bewertet wird.

Wie erklärt sich diese positive Bewertung des Einsatzes?

Aufbauarbeiten in Herat; Foto: DW
Außer bei der Schulbildung werden alle Verbesserungen im Bereich der Entwicklung nicht dem eigenen Staat, sondern den ausländischen Helfern und Soldaten zugeschrieben, meint Koehler.

​​Koehler: Ein wichtiger Punkt ist, dass der Nordosten nie eine 'Pax Talibana' gekannt hat. Es wird heute vielfach vergessen, aber ursprünglich waren die Taliban eine Friedensmacht, die gegen die Kommandeure angetreten ist, die in weiten Teilen des Landes eine Gewaltordnung errichtet hatten.

Doch anders als in anderen Landesteilen ist es den Taliban im Nordosten nie gelungen, ihre Macht und ihr Recht durchzusetzen, da sich die Nordallianz dort bis zum Ende gehalten hat. Die Macht der Kommandeure war in der Region daher ungebrochen. Erst die internationalen Truppen haben nach 2001 ihre Willkürherrschaft zurückgedrängt.

Das heißt die ausländische Präsenz wird nicht als Fremdherrschaft empfunden?

Koehler: Die Erklärung eines früheren Talibanführers ist hier aufschlussreich: Er sagte mir, dass grundsätzlich auch im Nordosten die Leute ein Problem mit ausländischer Militärpräsenz hätten, doch seien sie sich bewusst, dass wenn die Deutschen jetzt gehen, die Kommandeure sich erst wieder gegenseitig an die Kehle springen und dann über die früheren Talibananhänger herfallen, wie sie dies bereits nach 2001 getan hatten.

Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Leute die Werteordnung des ausländischen Militärs teilen. Dies geht auch aus den Umfragen hervor, bei denen 43 Prozent sagten, die Militärpräsenz stelle eine Bedrohung der islamischen Werte und lokalen Normen dar.

Lassen sich die Ergebnisse aus den beiden Provinzen, die ja im relativ ruhigen und stabilen Nordosten liegen, auf den Rest des Landes übertragen?

ISAF Soldat der deutschen Bundeswehr in Afghanistan; Foto: AP
In Kunduz sind die meisten der 3.700 deutschen Soldaten in Afghanistan stationiert. Sie wurden in jüngster Zeit jedoch verstärkt Ziel von Anschlägen und Angriffen der Taliban.

​​Koehler: Natürlich sind sie nur begrenzt übertragbar, da in anderen Regionen wirklich Krieg herrscht. Doch umgekehrt zeigt die Studie - entgegen dem in manchen Medien und in der Politik zunehmend verbreiteten Bild-, dass es durchaus Provinzen gibt, in denen es gelungen ist, Frieden durchzusetzen. Letztlich kann man Afghanistan nicht als Ganzes betrachten, sondern muss die Lage von Provinz zu Provinz seperat einschätzen.

Müssten die Deutschen nicht tatsächlich stärker gegen lokale Machthaber vorgehen, wenn sie das staatliche Gewaltmonopol aufrecht erhalten wollen?

Koehler: Die Strategie der Deutschen besteht darin, die afghanischen Kräfte abzusichern und zu unterstützen, sich sonst aber zurückzuhalten. Die Deutschen haben sich bewusst dafür entschieden, die langfristige Akzeptanz in der Bevölkerung nicht wegen kurzfristiger Vorteile aufs Spiel zu setzen. Sie hätten durchaus die Mittel, um die Raketenangriffe auf ihr Lager zu bekämpfen, indem sie die Stellungen zerstören, von denen die Raketen abgeschossen werden. Doch da sie wissen, dass dies nicht ohne Opfer unter der Zivilbevölkerung möglich wäre, unterlassen sie es.

Liegt im Erfolg des Einsatzes nicht auch die Gefahr des Scheiterns, das heißt den Staat als Akteur zu ersetzen?

Koehler: Es ist tatsächlich ein Problem, dass außer im Bereich der Schulbildung alle Verbesserungen im Bereich der Entwicklung nicht dem eigenen Staat, sondern den ausländischen Helfern und Soldaten zugeschrieben werden.

Gerade wenn die lokalen Behörden ineffizient und korrupt sind, ist die Versuchung für Entwicklungsorganisationen groß, die lokalen Strukturen einfach ganz zu umgehen und das Projekt alleine zu realisieren. Das macht natürlich wenig Sinn, wenn man die Verwaltungsstrukturen vor Ort stärken will.

Polizeischulung in Afghanistan; Foto: dpa
In Kunduz und Faisabad führt die Bundesregierung zwei der fünf regionalen Wiederaufbauteams, in denen Zivilisten aus Diplomatie, Wiederaufbau sowie Polizei und Militär kooperieren.

​​ Was können die internationalen Akteure tun, um den afghanischen Staat stärker in den Entwicklungsprozess einzubinden?

Koehler: Es ist ein grundsätzliches Problem der Entwicklungspolitik, dass die ausländischen Akteure nur ihren eigenen Auftraggebern, nicht aber der lokalen Bevölkerung verantwortlich sind. Und die Auftraggeber sind nur an messbaren Ergebnissen interessiert, nicht an den indirekten, oft aber ebenso wichtigen Auswirkungen auf Regierungskultur und Gesellschaft.

Es gibt allerdings auch im Nordosten Afghanistans innovative Bemühungen, die lokalen staatlichen Institutionen und die Gemeinden in transparenten Antrags- und Vergabeprozessen am Entwicklungsprozess zu beteiligen.

Was muss aus Ihrer Sicht geschehen, um das Land dauerhaft zu stabilisieren?

Koehler: Ein mögliches Szenario ist, dass Afghanistan ein vom Ausland finanziell und militärisch abhängiger Klientelstaat bleibt, der gegenüber der Bevölkerung nur eine geringe Legitimität besitzt und entsprechend instabil ist.

Ein anderes denkbares Szenario wäre, dass sich eine von der Bevölkerung anerkannte Regierung etabliert, der es gelingt, sich gegenüber den lokalen Machthabern durchzusetzen. Das wäre allerdings wohl eher ein Staat mit einer starken islamischen Komponente, der nicht unbedingt unseren Vorstellungen von Demokratie und Rechtsstaat entspricht.

Das Interview führte Ulrich Schwerin.

© Qantara.de 2009

Jan Koehler ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Sonderforschungsbereich 'Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit' an der Freien Universität Berlin.

Qantara.de

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