"Es ist jeden Tag ein neuer Kampf"

In Mali ist weibliche Genitalbeschneidung immer noch landesweit verbreitet. Charlotte Wiedemann sprach mit Imam Cheick Mohammadou Diallo, Generalsekretär einer Vereinigung westafrikanischer Muslime und Christen gegen Beschneidung.

In Mali ist die grausame Tradition der weiblichen Genitalbeschneidung immer noch landesweit verbreitet. Charlotte Wiedemann sprach mit Imam Cheick Mohammadou Diallo, Generalsekretär einer Vereinigung westafrikanischer Muslime und Christen gegen Beschneidung.

Cheick Mohammadou Diallo, Foto: Wiedemann
Imam Cheick Mohammadou Diallo aus Mali kämpft seit 22 Jahren gegen die genitale Verstümmelung von Frauen.

​​Herr Diallo, Sie haben an der ersten Konferenz islamischer Gelehrter im November 2006 an der Al-Azhar-Universität in Kairo zum Thema Genitalverstümmelung teilgenommen, die die weibliche Genitalbeschneidung als eine "schädigende Unsitte" verurteilt hat. Muslime sollten diese "gemäß den Lehren des Islam unterbinden". Spielt es in Mali eine Rolle, was an der Universität beschlossen wurde?

Mohammadou Diallo: Wir haben den Text der Fatwa hier verteilt, aber das hat kaum Wirkung hinterlassen. Der Hohe Islamische Rat und die Vereinigung der Imame, alle hier sind für Beschneidung, auch die muslimischen Intellektuellen. 95 Prozent der Muslime hier denken, Beschneidung ist islamisch. Das muss man ändern, ansonsten ist eine Aufklärung der Bevölkerung unmöglich. Die religiösen Autoritäten müssen ihre Haltung ändern, sonst wird die Aufklärung niemals zum Ziel führen.

Ich selbst bin bereits im Jahr 2000 aus der Vereinigung der Imame ausgeschlossen worden, weil ich in einer Fernsehpredigt die Beschneidung unislamisch genannt habe. Dieser Ausschluss gilt bis heute.

Warum ist Beschneidung in Mali so tief verwurzelt?

Diallo: Mali ist ein Sonderfall in der Region. In allen anderen Ländern Westafrikas gilt mittlerweile ein gesetzliches Verbot. In Mali haben die Behörden Angst davor. In Senegal zum Beispiel praktiziert die größte ethnische Gruppe, die Wolof, keine Beschneidung, nur die kleineren Ethnien tun es. Deshalb war es dort einfacher, ein Gesetz dagegen durchzusetzen. Aber in Mali sind alle Ethnien dafür. Die einzige Ausnahme sind die arabisch-stämmigen Malier, aber das sind nur etwa zwei Prozent der Bevölkerung.

Die Menschen glauben, ein beschnittenes Mädchen ist sexuell zuverlässiger, und das ist ihnen in Hinblick auf ihre Töchter von größter Bedeutung. Wir sind in einem Land mit über 50 Prozent Analphabeten, und es hat sich in den Köpfen festgesetzt, dass eine unbeschnittene Frau sexuell untreu ist. Aber man kann einer Frau nicht etwas wegschneiden, damit sie zuverlässig wird. Das sagen wir den Leuten immer wieder. Es ist eine Frage der Erziehung, der Mentalität, nicht des Wegschneidens.

Auch malische Christen lassen beschneiden. Aber die Muslime halten besonders hartnäckig daran fest. Warum?

Diallo: Problematisch sind hier in der Tat besonders die Muslime, denn auf ihrer Seite gibt es ein Amalgam von Tradition und Religion. Es gibt sehr umstrittene Hadithe zum Thema Beschneidung, da haben ungebildete Menschen gar keinen Überblick. Und alles, was wir dem Gläubigen über die gesundheitlichen Folgen, über die medizinischen Probleme sagen, das verblasst, wenn er in der Moschee hört: Beschneidung ist islamisch. Dann hört er allem anderen nicht zu - oder er vergisst es gleich wieder.

Aber Beschneidung ist weder islamisch noch sonst in irgend einer Weise religiös. Der Islam verurteilt so etwas sogar ausdrücklich. Im Koran sagt Gott: "Wir haben den Menschen in der vollkommensten Form geschaffen." In der vollkommensten Form! Wenn man glaubt, da etwas wegschneiden zu müssen, was soll das denn heißen?

Sind die malischen Prediger überhaupt ausreichend mit islamischer Lehre vertraut?

Diallo: Nein, überhaupt nicht. Die meisten haben keine klassische islamische Ausbildung. Sie haben eine Koranschule besucht, drei, vier, maximal fünf Jahre; dann wurden sie Prediger. Sie können oft nicht einmal den Koran interpretieren. Das ist ein großes Problem. Und es gibt viele Imame in Mali, die kein Arabisch sprechen. Ein Imam, der kein Arabisch spricht! Die Mehrheit der Prediger und Imame hier verfügt über kein adäquates Niveau an Wissen.

Sie selbst haben in Ägypten und in Marokko studiert. Was hat Ihre Haltung zur Beschneidung beeinflusst?

Diallo: Ich kämpfe seit 22 Jahre gegen die Beschneidung. Ich habe schlimme Fälle gesehen; ich habe gesehen, was die Verstümmelung aus einem Menschen macht. Und ich habe an internationalen Konferenzen teilgenommen; ich habe Kontakt zur Azhar-Universität, zu den Muftis in Ägypten und in Saudi-Arabien; ich tausche mich aus. Die meisten malischen Muslime haben dazu keine Gelegenheit, sie haben keinerlei Kontakt zur islamischen Welt draußen. Das ist ein großer Unterschied.

Was können Sie tun, um den Wissensstand zu verbessern?

Diallo: Es ist jeden Tag ein neuer Kampf. Wir – die Gegner der Beschneidung - sind eine kleine Minderheit; unter den Imamen sind wir nur zwei bis drei Prozent - und es gibt tausende Imame in Mali; allein in der Hauptstadt Bamako gibt es mehr als tausend Moscheen. Ich spreche im Radio, aber nicht alle Sender lassen das zu. Ich nehme das Thema in meine Predigten auf, aber das geht nicht immer.

Werden Sie diffamiert?

Diallo: Ich habe viele Feinde und viele Probleme. Viele Imame geben mir nicht mal die Hand, viele reden nicht mit mir. Ich bin sogar körperlich angegriffen worden, hier im Hof meines Hauses, neben der Moschee. Es waren Fanatiker von außerhalb, sie hatten Geld dafür bekommen. Mein Haus wurde dann zwei Wochen lang von der Polizei überwacht, um mich zu schützen. Es ist alles sehr, sehr schwierig.

Sie wollten, dass nach Kairo in Mali eine zweite islamische Konferenz zurBekämpfung der Beschneidung stattfindet. Dies scheint nun gescheitert. Malis Staatspräsident Amadou Toumani Touré hatte Angst, die Schirmherrschaft zu übernehmen. Wie beurteilen Sie die Haltung der malischen Regierung?

Diallo: Die Regierung muss ihre Politik ändern. Sie muss endlich einsehen, dass sie sich in dieser Frage nicht mit den religiösen Organisationen verbünden darf. Es gibt ein Regierungsprogramm gegen Beschneidung - aber unglücklicherweise hat es nicht die Unterstützung der Regierung. Es ist nur Gerede. Wenn sich der Staatspräsident der Sache wirklich annehmen würde, wenn er hinter den Aufklärungskampagnen stünde, dann hätten wir viel weniger Probleme. Ich weiß nicht, wovor er Angst hat.

Sie haben selbst vier Töchter. Werden sie beschnitten?

Diallo: Wir leben hier in einem großen Haushalt, in einer Großfamilie. Einer meiner Brüder lässt bescheiden, ein anderer nicht. Ich lasse meine Töchter nicht beschneiden. Und sie werden deswegen später keine Nachteile haben.

Interview: Charlotte Wiedemann

© Qantara.de 2007

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