''Der Tod Gaddafis hat alles ins Rollen gebracht''

Als Ende März eine Gruppe von Unteroffizieren Präsident Amadou Toumani Touré stürzte, gelang es Tuareg-Nomaden und Islamisten der Rebellengruppe Ansar Dine innerhalb weniger Tage, den gesamten Norden Malis unter ihre Kontrolle zu bringen. Über die politische Lage in Mali hat sich Ulrich von Schwerin mit dem Entwicklungshelfer Henner Papendieck unterhalten.

Sie waren zum Zeitpunkt des Putsches am 22. März selbst in Bamako, der Hauptstadt Malis. Wie haben Sie den Putsch erlebt?

Henner Papendieck: Als ich Mitte März ankam, lag das bereits in der Luft. An dem Tag, als der Putsch stattfand, saßen wir beim nationalen Polizeichef. Während des Gesprächs fingen die drei Telefone auf seinem Schreibtisch immer schneller an zu klingeln. Irgendwann sagte ich, Monsieur le Commissaire, wir sind wohl gerade zu einem sehr unpassenden Moment gekommen. Letztlich war das aber gar nicht als Putsch geplant. Das war eine Meuterei, die mangels Widerstand zum Staatsstreich wurde und das System implodierte.

Die Putschisten warfen dem Präsidenten vor, nicht genug gegen den Aufstand der Tuareg zu tun.

Papendieck: Nein, sie sagten, wir sind nicht richtig ausgestattet. So werden wir Kanonenfutter. Der Hintergrund war der Angriff in Aguelhok: Dort oben, wo die Wüste endet und das Gebirge beginnt, gibt es eine Polizei- und Militärschule. Da gab es Mitte Januar einen Angriff der Tuareg, bei dem diese 90 Soldaten gefangen genommen und anschließend umgebracht haben. Als in Bamako bekannt wurde, was geschehen war, hat das zu Protesten und großem Unmut geführt.

Wie ist es zu dem erneuten Aufstand der Tuareg gekommen?

Papendieck: Was das ganze ins Rollen gebracht hat, war der Sturz und der Tod Gaddafis. Man sagt, die Truppen, die jetzt den Norden Malis unter ihre Kontrolle gebracht haben, waren die Söldner, die in Misrata auf der Seite des libyschen Diktators den härtesten Widerstand geleistet haben.

Henner Papendieck; Foto: privat
Der Putsch in Mali war mehr eine Meuterei, die nur mangels Widerstand zum Staatsstreich wurde, meint der deutsche Entwicklungshelfer Henner Papendieck

​​Es heißt, die Franzosen hätten den Tuareg danach angeboten: wenn ihr abzieht, werden wir euren Konvoi nicht bombardieren. Daraufhin ist ein Konvoi von 150 bis 250 Fahrzeugen mit schweren Waffen durch Libyen und Algerien gezogen. Mali konnte dem nicht viel entgegensetzen. Die Armee hat sich praktisch kampflos zurückgezogen.

Wie sieht nun die Lage im Norden Malis aus?

Papendieck: In der Region von Timbuktu herrscht heute ein Regime des Banditentums. Es reichen zwei Pritschenwagen mit fünf, sechs Bewaffneten, um eine kleine Landstadt zu kontrollieren. Viele der jetzigen Aufständischen sind zuletzt integrierte Soldaten gewesen, also frühere Rebellen, die nach dem Ende der letzten Tuareg-Rebellion Mitte der 1990er Jahre in die Armee, die Gendarmerie und andere Einheiten aufgenommen worden waren. Als im Januar der Aufstand begann, sind viele dieser früheren Tuareg-Rebellen wieder übergelaufen.

Hat sich die Lage der Tuareg seit dem letzten Aufstand verändert?

Papendieck: Unter dem ersten demokratisch gewählten Präsidenten Alpha Oumar Konaré verfolgte man die Politik, die Tuareg mit Geschenken zu befrieden, weil man wusste, dass man sie nicht besiegen konnte. Während seinen beiden Amtszeiten zwischen 1992 bis 2002 herrschte relative Ruhe. Doch dann wurde Amadou Toumani Touré (ATT) Präsident. Er genoss den schlechtest möglichen Ruf beim Ifoghas-Clan der Tuareg und umgekehrt hatte er auch die schlechtest mögliche Meinung von ihnen. Touré hat eine Politik beständiger Stiche gegen die Ifoghas geführt. Die Rebellion ist auch eine Rebellion gegen das System ATT.

Gibt es im Norden Malis eine eigene Tradition des Islamismus?

Papendieck: Die Salafisten sind aus Algerien gekommen. Im Jahr 1991 hat die neue demokratische Regierung den nördlichsten Militärposten in Taoudenni aufgegeben, wo sich zugleich das größte Straflager des Landes befand, mit dem die neue Regierung nichts mehr zu tun haben wollte. Damit war jedoch der ganze Raum nördlich von Timbuktu Niemandsland.

Kämpfer der islamistischen Gruppe Ansar Dine; Foto:AP/dapd
Ansar Dine unterhält Kontakte zu Al-Qaida im Maghreb und anderen radikal-islamistischen Gruppen in der Region. Ihr Ziel ist nicht die Errichtung eines unabhängigen Staates, sondern die Umwandlung Malis in eine islamistische Theokratie.

​​Also haben sich die Islamisten aus Algerien in den Norden Malis verlagert, weil sie hier nicht mehr verfolgt werden konnten und haben ein eigenes logistisches Netz aufgebaut. Aus den Salafisten ist dann vor sechs oder sieben Jahren Al-Kaida im Islamischen Maghreb entstanden.

Wie ist die Haltung der lokalen Bevölkerung in Timbuktu zu den Salafisten?

Papendieck: Die islamische Tradition der Tuareg-Bevölkerung ist völlig konträr zur Lehre der Salafisten. Die große Mehrheit der Tuareg sind entspannte Muslime, die Heilige und deren Gräber verehren. Da gibt es eine natürliche Distanz zu den Salafisten. Es war immer das große Rätsel, wenn der Bier-Lkw nach Timbuktu kam: Alle sind zwar fromm, aber am Ende war das Bier trotzdem alle. Natürlich gehen am Freitag die meisten in die große Moschee. Aber dort herrscht eher ein Sufi-Islam. Timbuktu ist die Stadt der 333 Heiligen.

Woher kommt dann Ansar Dine?

Papendieck: Iyad ag Ghali, der nun Chef von Ansar Dine ist, war während der ersten Tuareg-Rebellion Anführer der MPLA (Mouvement Populaire pour la Libération de l'Azawad). Nach dem Aufstand wurde er von der Regierung integriert und als Diplomat nach Saudi-Arabien geschickt. 2003 wurde er vom Präsidenten zurückgerufen, um bei der Befreiung der deutschen Geiseln zu vermitteln. Danach war er einflussreicher als davor – und auch finanziell stärker. Er war immer die graue Eminenz im Hintergrund. Wann genau er Ansar Dine gebildet hat, kann ich aber nicht sagen.

Wie könnte eine Lösung des Konflikts aussehen?

Papendieck: Es muss eine Verhandlungslösung geben, doch ohne die ernstzunehmende Drohung mit militärischen Sanktionen wird das nicht gehen. Dabei wird man vor allem mit Ansar Dine und Iyad ag Ghali verhandeln müssen.

Amadou Toumani Touré; Foto: picture-alliance/dpa
Präsident Amadou Toumani Touré war den Tuareg in Mali verhasst. Sie werfen ihm vor, den Norden des Landes aufgegeben zu haben.

​​Dieser ist ein Mitglied der dominanten Sippe der Ifoghas-Tuareg mit den richtigen Kontakten und einem ausgeprägten politischen Gespür. Es wird mehr Autonomie für den Norden geben müssen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die Ifoghas auf einem eigenen Staat mit eigener Währung und Außenpolitik bestehen werden.

Wie steht es um die Entsendung ausländischer Truppen?

Papendieck: Der Sicherheitsrat der Afrikanischen Union hat bereits die notwendigen Resolutionen für eine Intervention verfasst. Doch wer sollte militärisch intervenieren? Wer sollte es verantworten? Und vor allem: Wer soll es bezahlen? Zudem besteht in Mali die Befürchtung, dass Burkina Faso und die Elfenbeinküste auf diesem Weg vor allem eigene Söldner loswerden wollen, und dass solche Söldner die Lage im Süden Malis nur noch komplizierter machen würden.

Hat man es heute also in gewisser Weise mit der gleichen Lage wie nach dem Aufstand in den 1990er Jahren zu tun?

Papendieck: Zum Teil ja. Es wird wieder die Frage der Integration und des Wiederaufbaus geben. Nur wollen die Rebellen heute viel mehr als damals. Sie haben viel mehr Waffen und kontrollieren viel mehr Land. Damals war es eine Rebellion, heute ist es eine Invasion. Außerdem gab es damals nicht den Aspekt der islamistischen Ideologie und des internationalen Terrorismus. Heute gibt es durch den Drogen- und Waffenhandel in der Wüste viel mehr Geld. Nord-Mali ist bereits ein Hort des internationalen Terrorismus. Je länger man wartet, desto schwieriger wird eine Lösung.

Interview: Ulrich von Schwerin

Dr. Henner Papendieck und Dr. Barbara Papendieck-Rocksloh bauten nach dem ersten Tuareg-Aufstand 1994 im Auftrag der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) und der KfW Entwicklungsbank das Programm Mali Nord auf, um die Folgen des Konflikts zu überwinden. Seit Februar 2011 haben sie die Leitung abgeben, begleiten das Programm aber weiterhin.

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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de