Den Windstößen widerstehen

Aynur Doğan singt auf Türkisch und Kurdisch und eckt mit ihren politisch ambitionierten Songs bewusst an. Ihr letztes Album "Rewend" handelt vom Unterwegssein und von Heimatverbundenheit. Marian Brehmer hat sich mit ihr unterhalten.

Von Marian Brehmer

Sie stammen aus der Provinz Tunceli im Herzland der Kurden. Was hat Ihre Kindheit und Jugend in der anatolischen Provinz geprägt?

Aynur Doğan: Als Kind war ich viel in den Bergen um unser Dorf Doğan unterwegs. Die Tiere, der Käse, der in unserem Dorf produziert wurde, das Spielen in der Natur – das sind Erinnerungen, die mir geblieben sind. Dann ist unsere Familie nach Istanbul gezogen. Ich stand damals kurz vor meinem Schulabschluss.

Wie haben Sie den Umzug vom Land in die Stadt empfunden?

Doğan: Istanbul wirkte auf mich außerordentlich groß und hektisch. Aber dort haben sich für mich auch neue Perspektiven aufgetan. In Istanbul konnte ich mich besser als auf dem Land der Musik widmen. Ich knüpfte Kontakte in der Musikerszene, besuchte Musikkurse und lernte Bağlama, türkische Laute. Aber wenn ich heute in mein Dorf zurückkehre, bin ich wieder wie eine Bewohnerin des Dorfes. Die Leute dort behandeln mich keinesfalls unterschiedlich.

Welchen Stellenwert nimmt die Musik in Ihrem Leben ein?

Widerstand gegen umstrittenes Staudammprojekt in Hasankeyf: "Wir alle sind von den Windstößen in unserem Leben betroffen. Es dauert, bis so eine Botschaft ankommt", sagt Aynur Doğan.

Doğan: In meinem alevitischen Dorf war ich von Musik umgeben. Die Aleviten kennen kein zentrales heiliges Buch. Deshalb spielt Musik in unserem Glauben und unserer Tradition eine sehr wichtige Rolle. Alle Informationen und Geschichten wurden bei uns generationenübergreifend durch Musik weitergegeben. Musik ist für uns ein Kommunikationsmittel. Bei der Geburt kommt man mit Musik in Berührung, in der Jugend und auch auf dem Friedhof wird Musik gespielt. Das ganze Leben ist Musik. Alle diese Einflüsse aus meiner Heimat finden sich in meinen Liedern wieder. Von der Heimat strömt für mich Kraft und Wärme aus.

Ihr letztes Album aus dem Jahr 2010 trägt den kurdischen Titel "Rewend" (Nomade). In dem Musikvideo, das Fatih Akin gedreht hat, kann man Sie in Hasankeyf beobachten, jenem historischen Ort in Südostanatolien, der nach Plänen der türkischen Regierung bald einem Staudamm weichen soll. Sehen Sie sich selbst als Nomadin?

Doğan: Ich war in den letzten Jahren oft in der Welt unterwegs, habe viele Konzerte gegeben, viele Menschen kennengelernt. All dies habe ich in "Rewend" eingebaut. Das Lied hat mit einer Wanderung zu tun, handelt vom ständigen Unterwegssein.

Es ist wie ein Windstoß, der dich überall hinträgt und aus deiner Heimat fortreißt. Wenn man die Heimat vergisst, dann passieren solche Dinge wie in Hasankeyf. Mit "Rewend" wollte ich diese Kraft, die von der Heimat ausgeht, wieder aktivieren. Auf allen Wanderungen in der Welt sollte man seine Wurzeln nie vergessen.

Haben Sie in Bezug auf das umstrittene Staudammprojekt etwas bewirken können?

Doğan: Wir alle sind von den Windstößen in unserem Leben betroffen. Es dauert, bis so eine Botschaft ankommt. Aber es muss gekämpft werden – wenn alle Menschen dagegen sind, kann man gemeinsam so ein Vorhaben stoppen. Zusammen mit Fatih Akin, vereint als zwei Künstler, haben wir eine starke Stimme.

Wegen Ihres mutigen Auftritts wurden Sie aber auch schon attackiert: Während Ihres Konzerts im Juli 2010 in Istanbul kam es zum Eklat. Was genau passierte dort?

Doğan: Die Türkei ist ein junges Land. Das erklärt auch, weshalb einige Dinge in diesem Staat noch immer nicht unter Kontrolle sind – dazu gehört der ethnische Konflikt mit den Kurden. Es gibt immer wieder Menschen, die in Sängerinnern wie mir eine Gefahr sehen.

Sie wollen das kulturelle Selbstbewusstsein der Kurden nicht.

Auf mein Konzert in Istanbul waren 5.000 Menschen gekommen. Während des zweiten Liedes, das ich auf Kurdisch gesungen habe, hat fast die Hälfte der Zuhörer angefangen, mich auszubuhen. Ich musste das Konzert abbrechen. In den Medien wurde übrigens hinterher berichtet, dass nur einige wenige das Konzert gestört hatten.

Wie gingen Sie mit dieser negativen Erfahrung um?

Doğan: Für mich war diese Situation äußerst unangenehm. Das war das erste Mal, dass mir so etwas passiert ist. Mich hat das zwei Monate lang beschäftigt. Ich habe mich daraufhin zurückgezogen und intensiv darüber nachgedacht. Aber dann habe ich mich erinnert, wie Politik funktioniert: Es gibt eben Leute, die solche Stimmungen schüren. Viele der kurdischen Künstler mussten deshalb auswandern. Bei meinen Konzerten in Deutschland konnte ich wieder neue Kraft schöpfen.

Würden Sie sich selbst als politische Sängerin sehen?

Couragiert für die kulturellen Rechte der Kurden: kurdischen Sängerin Aynur Doğan

Doğan: Ich sehe mich vor allem als Musikerin. Natürlich haben alle Dinge, über die ich singe, eine Botschaft. "Weg", "Krieger", diese Wörter aus meinen Liedern haben eine gesellschaftliche Bedeutung. Mir geht es um Menschenrechte. Ich bin niemand, der im Stillen für sich singen möchte.

Wie beurteilen sie die rechtliche Situation kurdischer Musiker in der Türkei heute?

Doğan: Im Jahr 2005 wollte ein Gericht in Diyarbakir mein Album "Keçe Kurdan" verbieten. Das Urteil wurde dann allerdings wieder aufgehoben. Auch jetzt sind kurdische Musiker, die auf Kurdisch singen wollen, in der Türkei in ihrem Schaffen erheblich eingeschränkt. So etwas wie die GEMA (Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte) existiert nur für türkische Musiker. Für kurdische Musiker gelten solche Rechte nicht. Wenn kurdische Musiker in der Türkei etwas produzieren wollen, müssen sie das aus eigener Initiative tun. Mit einer Ausnahme: Du singst als kurdische Sänger für die AKP und machst Wahlkampf für die Regierung. Dann wird man stets gut bezahlt.

Fühlen Sie sich denn als kurdische, politisch ambitionierte Sängerin ausgegrenzt?

Doğan: Im Radio und Fernsehen wird zwar inzwischen meine Musik gespielt, aber als Kurdin werde ich nach wie vor benachteiligt. Außerdem müssen kurdische Clips per Gesetz mit türkischen Untertiteln versehen sein. Meine Musik wird nur ausgestrahlt, wenn ich unterschreibe, dass ich für alles in meiner Musik verantwortlich bin – zum Beispiel wenn es Proteste geben sollte.

Für Kurden ist es derzeit noch sehr schwierig, eigene Konzerte auf die Beine zu stellen. Es gibt keine Förderung von der Regierung. Finanziell müssen Konzerte allein durch kurdische Vereine getragen werden. Außerdem dauert es oft wochenlang, die Genehmigung für ein Konzert zu erhalten. Inzwischen kennt man mich in der ganzen Türkei, aber ich kann im Land nur wenige Konzerte geben. Ich spiele mehr in Europa als zuhause.

Interview: Marian Brehmer

© Qantara.de 2013

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de