Die vielen Gesichter der Oum Kulthum

Mit "Auf der Suche nach Oum Kulthum" hat die erfolgreiche iranische Künstlerin Shirin Neshat ein äußerst persönliches Werk über die ägyptische Sängerin geschaffen. Im Interview mit Schayan Riaz spricht sie über die politische Dimension der Ikone und die patriarchalischen Strukturen in der Filmindustrie.

Von Schayan Riaz

Ihr neuer Film "Auf der Suche nach Oum Kulthum" handelt von einer Regisseurin, die ein Biopic über die ikonische ägyptische Diva drehen möchte. Wonach haben Sie persönlich bei diesem Projekt gesucht?

Shirin Neshat: Zuerst wollte ich selbst nur ein Biopic über Oum Kulthum drehen. Doch schließlich interessierte mich vielmehr, warum ich sie so faszinierend finde. Welchen Teil ihres Lebens und ihrer Karriere ich erzählen möchte. Und so habe ich zur Figur der Regisseurin gefunden und sie im Film diese Fragen stellen lassen. Sie ist quasi eine Version von mir und der Film wurde zu einem Prozess der Selbstfindung. Ich habe angefangen, nach mir selbst statt nach Oum Kulthum zu suchen. Oder besser gesagt, ich bin mir selbst begegnet.

Was hat Sie denn an Oum Kulthum interessiert?

Neshat: Ich bin besessen von starken Frauen aus dem Mittleren Osten: Dichterinnen, Autorinnen, Musikerinnen. Und ich habe immer daran geglaubt, dass ein Film über Oum Kulthum etwas Großartiges wäre. Sie ist ein großartiges Sujet fürs Kino. Mit diesem Projekt wollte ich ihr meinen Tribut zollen - dieser Frau, die eine solch wahnsinnig hohe Popularität erfahren hat. Das ist ziemlich rar für Frauen aus den konservativen und patriarchalischen Gesellschaften der Region. Als Oum Kulthum gestorben ist, haben sich vier Millionen Menschen versammelt, um von ihr Abschied zu nehmen! Aber wie ich schon sagte, mir ging es auch darum, dass ich, als verhältnismäßig kleinere Künstlerin als sie, Antworten über mich selbst herausfinde.

Haben Sie durch diesen Prozess Oum Kulthum besser kennengelernt?

Neshat: Ja, ich muss sagen, dass ich jetzt Oum-Kulthum-Expertin bin! Neben dem ganzen Archivmaterial, den vielen Büchern oder auch meiner Begegnung mit ihrer Familie in Kairo, habe ich mit vielen Menschen aus verschiedenen Teilen der ägyptischen Bevölkerung gesprochen, um deren Beziehung zur Musik von Oum Kulthum zu erforschen.

Und was haben Sie dabei herausgefunden?

Neshat: Was mich am meisten überrascht hat: Es gibt nicht nur die "eine" Meinung über Oum Kulthum. Manche verehren sie, behandeln sie wie eine Göttin, andere kritisieren sie, weil sie gute Beziehungen zu Politikern pflegte. Diesen Aspekt ihres Lebens zeigen wir auch im Film, also wie sie mit der Politik in ihrer komplexen Karriere umgegangen ist, von der Monarchie von König Farouk bis hin zu Gamal Abdel Nassers Regime. Letztendlich muss ich sagen, dass man nicht unter die Haut einer Legende gehen kann. Eine Legende bleibt eine Legende, die man weder aufbereiten noch spalten kann. Eine Künstlerin wie Oum Kulthum gibt es nur einmal in 100 Jahren.

Sie haben soeben die Politik erwähnt. Oum Kulthums Performances hatten auch eine gewisse politische Dimension an sich, obwohl sie selbst vielleicht gar nicht politisch sein wollte. Was glauben Sie würde Oum Kulthum im heutigen Ägypten machen, wo Künstler unter starker Zensur leiden?

Neshat: Das ist eine sehr gute Frage, aber vielleicht sollte sie von den Ägyptern beantwortet werden. Mir ist bewusst, dass das Land im Moment durch eine schwierige Phase geht. Viele Ägypter befinden sich aufgrund des heftigen Drucks von der Zensur oder dem Mangel an freier Meinungsäußerung im Stimmungstief. Es bricht mir das Herz, vor allem nach der äußerst euphorischen Aufbruchsstimmung nach dem Arabischen Frühling. Als Iranerin kenne ich das nur allzu gut, wenn ein Land seit Jahrzehnten mit einer Diktatur ringt. Und ich verstehe, dass Ägypter erschöpft sind, erschöpft von der Idee einer Revolution, von Blutbädern. Aus diesem Grund wissen sie vielleicht nicht mehr, wie sie gegen diese Art von Tyrannei protestieren sollen. So repräsentiert Oum Kulthum eine Stimme der Hoffnung, sowohl mit ihrer Musik als auch mit ihren Texten. Sie nimmt Ägypter mit zu einem wunderbaren Ort, sei er politisch, emotional oder mystisch.

[embed:render:embedded:node:31587]Ihre Hauptdarstellerinnen Neda Rahmanian und Yasmin Raeis sind deutsch-iranischer und ägyptischer Herkunft. Sie selbst kommen aus dem Iran und leben in New York. Was bedeutet Heimat für Sie, vor allem in Hinblick auf Oum Kulthum, die ja weit über Grenzen ging?

Neshat: Irgendwann ist mir bewusst geworden, dass dieser Film die Realität seiner eigenen Herstellung widerspiegeln muss. Also ist "Auf der Suche nach Oum Kulthum" bewusst ein internationaler Versuch von Nicht-Ägyptern, eine arabische Ikone zu erkunden. Aus diesem Grund wurden am Set mehrere Sprachen gleichzeitig gesprochen. Dass das einige kritisch gesehen haben, zeige ich ja auch durch mehrere Szenen im Film. Es gab andauernd solche Momente, bei denen mir vor allem arabische Männer zögernd entgegengekommen sind und nicht an mich geglaubt haben, weil ich eben nicht selbst Araberin bin. Aber ich habe von vornherein klargestellt, dass dies kein Biopic ist. Es ist meine eigene Sichtweise. Und ich wollte so ehrlich wie möglich sein, auch über die Herausforderung. Was mir letztendlich besonders geholfen hat war, dass Oum Kulthum nicht nur eine arabische Ikone, sondern ein Weltstar war. Das ermöglichte mir einen anderen Zugang zu ihr. So konnte ich sie als Muse nutzen.

Frauenfeindlichkeit, vor allem in der Filmindustrie, ist ein wichtiges Thema in diesem Film. Wie sehen Sie "Auf der Suche nach Oum Kulthum" im Gefolge der ganzen #MeToo-Debatte? Ist dies ihr persönlicher Beitrag dazu?

Neshat: Die Filmindustrie wird von Natur aus von Männern dominiert. Was ich spaßig finde, weil ich zwar immer von Männern umzingelt bin, wenn ich arbeite, aber mich nie falsch behandelt gefühlt habe. In meiner Umgebung hat mein Geschlecht nie eine Rolle gespielt und ich habe mich immer respektiert gefühlt. Aber es gibt keinen Zweifel daran, dass Frauen diskriminiert werden. Aber nur weil es mir nicht zugestoßen ist, heißt es ja nicht, dass es nicht existiert. Ich finde es erstaunlich, was manche Schauspielerinnen durchmachen müssen, damit sie in Hollywood Fuß fassen. Oder wie wenige Regisseurinnen ihre Filme zu Ende bringen können. "Auf der Suche nach Oum Kulthum" ist ein Film von einer Frau, der von Frauen handelt. Man kann ihn also aus welchen Gründen auch immer kritisieren, aber es gibt selten solche Filme mit einer total feministischen Sichtweise.

Das Interview führte Schayan Riaz.

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Shirin Neshats Film "Auf der Suche nach Oum Kulthum" läuft derzeit in deutschen Kinos.