"Das Schreiben duldet keine Klischees"

Fariba Vafi zählt zu den beliebtesten zeitgenössischen Schriftstellerinnen Irans. Sie hat bereits zahlreiche preisgekrönte Kurzgeschichten sowie Romane veröffentlicht. Im Gespräch mit Maryam Aras blickt sie auf ihre eigene Lebensgeschichte und die Situation der Frau im Iran nach der Islamischen Revolution zurück.

Von Maryam Aras

Frau Vafi, in Ihrem neuen Roman "Tarlan" ist die junge Titelheldin kurz nach der Islamischen Revolution noch voller Hoffnung. Sie will Schriftstellerin werden. Allerdings entscheidet sie sich angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Situation doch für eine Ausbildung als Polizistin. Die Leser erhalten Einblicke in die faszinierende, aber auch sehr widersprüchliche Welt der Polizeianwärterinnen. Haben Sie diese Geschichte selber erlebt?

Fariba Vafi: Nein, ich kann als Schriftstellerin nicht nur meine eigenen Erfahrungen wiedergeben. Oft schreibe ich Geschichten von Menschen, die ich einmal gekannt habe. So verhielt es sich auch mit den Hauptfiguren in "Tarlan" – obwohl die Geschichten oft Wendungen nehmen, die ich so nicht geplant hatte. Die Figuren entwickeln ein Eigenleben, das mich dann selbst überrascht. Ich finde, hier ist der besondere Blick des Schriftstellers wichtig. Mein eigenes Leben mag zwar auch inspirierend sein, aber natürlich nur sehr eingeschränkt.

Sie selbst waren während der Islamischen Revolution 1979 noch eine sehr junge Frau. Wie hat sich die Situation der Frauen in der iranischen Gesellschaft im Laufe der nachfolgenden Jahrzehnte entwickelt?

Vafi: Die Identität der Frauen im Iran hat sich in den letzten Jahren sehr gewandelt, das dürfte jedem klar sein, der sich in der iranischen Gesellschaft umsieht. Diese Veränderung hat auf vielen verschiedenen Ebenen stattgefunden: Die größte Veränderung ist wahrscheinlich das starke Selbstbewusstsein der Frauen, das heute überall spürbar ist.

Ihre eigene Biographie ist ja ein interessantes Beispiel: Sie haben nach dem Abitur in diversen Fabriken gearbeitet und eine Familie gegründet. Heute sind Sie eine der erfolgreichsten Schriftstellerinnen Irans. Sehr typisch für die Teheraner Kulturszene ist das nicht.

Iranische Frauen in Teheran demonstrieren gegen das unter Ayatollah Khomeini im Jahre 1979 erlassene Gesetz zur Islamischen Kleiderordnung (Hijab) für Frauen; Quelle: DW
Gewachsenes Selbstbewusstsein: Iranische Frauen in Teheran demonstrieren gegen das unter Ayatollah Khomeini im Jahre 1979 erlassene Gesetz zur Islamischen Kleiderordnung (Hijab) für Frauen.

Vafi: Naja, die Menschen haben so ein Klischeebild davon, wie ein Schriftsteller zu sein hat. Ich habe auch lange diesem Schriftsteller-Klischee nachgehangen. Aber dann habe ich festgestellt, dass das Schreiben selbst ein Raum ist, in dem man mit Klischees nicht weiterkommt. Das Schreiben duldet keine Klischees.

Wann haben Sie mit dem Schreiben angefangen?

Vafi: Gern geschrieben habe ich schon als Jugendliche. Ich habe immer gute Noten für meine Schulaufsätze bekommen. Eines Tages besuchte der Bürgermeister meiner Heimatstadt unsere Schule. Unser Lehrer, ein Revolutionär, forderte uns auf, einen Bericht über diesen Besuch zu verfassen. Am nächsten Tag fragte er, wer etwas geschrieben hätte. Ich hob schüchtern die Hand und war die einzige in der ganzen Klasse. Ich bin dann nach vorne gegangen, habe meinen Bericht vorgelesen und der Lehrer hat mich sehr gelobt. An dem Tag habe ich beschlossen, mit noch größerer Ernsthaftigkeit zu schreiben. In dieser Zeit habe ich auch die Bücher des iranischen Schriftstellers Samad Behrangi und verschiedene Romane russischer Autoren für mich entdeckt, die mich sehr beeindruckt und dazu motiviert haben, weiterzuschreiben.

In "Tarlan" erteilt Reza, ein junger Aktivist, der Titelheldin Ratschläge, wie sie ihre Geschichten schreiben soll. "Allgemeine Aussagen über die Menschheit" sollten sie beinhalten. Das klingt sehr nach dem ideologischen Jargon der 1970er Jahre. Ist diese Art zu schreiben heute veraltet?

Buchcover Fariba Vafi: "Tarlan" im Sujet Verlag
"Polizist sein war besser als all das Nichtwerden", schreibt Fariba Vafi in seinem zweiten Roman "Tarlan": Die Protagonistin des Romans will Schriftstellerin werden. Doch die wirtschaftlichen Zwänge nach der Islamischen Revolution von 1979 veranlassen sie schließlich zu einer Ausbildung als Polizistin.

Vafi: Nein, über die Menschheit zu sprechen, wird nie altertümlich sein. Vielleicht entwickelt sich die Sprache oder das Verhältnis von der Sicht der Menschen zu den Begriffen. Die Art, sich auszudrücken ändert sich. Die Begriffe lösen sich aus diesem Zusammenhang und werden schärfer.

Sie wurden in Tabriz geboren, im aserbaidschanischen Nordwesten Irans, und haben lange dort gelebt. Ihre Muttersprache ist die Turksprache Azeri. Schreiben Sie auch auf Azeri?

Vafi: Bis jetzt nicht. Ich wollte immer gerne auf Azeri schreiben und hoffe, das auch eines Tages zu tun. Wenn ich auf Persisch schreibe, merke ich manchmal, dass mir einiges von dem, was ich in meiner Muttersprache ausdrücken könnte, durch die Finger rinnt. Wie bei einem Traum, dem beim Erzählen ein Teil verloren geht. Etwas fehlt immer.

Ihr literarischer Stil wird oft auch als "realistisch" bezeichnet. Dabei beschreiben Sie in Ihrer pointierten Sprache nicht nur komplexe Beziehungen, sondern zeigen auch deren Probleme auf. Haben Sie lange an diesem Stil arbeiten müssen?

Vafi: Nein, eigentlich nicht. Ich wollte immer möglichst schlicht schreiben. Ich glaube, der Stil eines Schriftstellers ist abhängig von seiner Sicht auf das Leben. Deshalb ist dieser individuelle Blick so wichtig. Die Realität, die in einem Roman erschaffen wird und dessen Erzählweise kann man nicht voneinander trennen. Aber ich verfolge keine bestimmte Strategie mit der Art, wie ich schreibe. Ich schreibe so, wie ich die Welt, die Gesellschaft und die Menschen in ihr sehe. Natürlich muss die Sprache immer wieder sorgfältig überarbeitet werden und genau und eindrücklich sein. Das geht nicht anders, wenn man in die Tiefe der erschaffenen Realität vordringen will. Ohne eine genaue Sprache bleibt jede Geschichte ein oberflächlicher Tatsachenbericht.

Sie schreiben meist über Familienbeziehungen. Wenn man sich die Familienentwürfe im Iran heute ansieht, reichen diese von sehr traditionellen Eheschließungen bis hin zur "weißen Ehe" – einem Zusammenleben ohne Trauschein. Welche Lebensrealitäten erschaffen Sie in Ihren Geschichten?

Vafi: Ich konzentriere mich in meinen Romanen auf Krisen innerhalb des gesellschaftlichen Geflechts der Familie, egal ob traditionell oder modern. Auf Strukturen, die zwischenmenschliche Beziehungen zerstören. Ich versuche, sie in ihrem Wesen zu erfassen und kritisiere sie. Innerhalb dieser Gemeinschaft, die wir Familie nennen, versuchen Frauen Widerstand zu leisten gegen die Unterdrückung und die Gewalt, der sie oft ausgesetzt sind, um in irgendeiner Form zu einer unabhängigen Identität zu finden. Diese Frauen blicken klar auf die Rollen, die ihnen vorgeschrieben wurden und versuchen, sich ihre eigenen Rollen auszusuchen.

Das Gespräch führte Maryam Aras.

© Qantara.de 2015

Fariba Vafi wurde 1963 in Tabriz geboren. Mit 24 Jahren veröffentlichte sie ihren ersten Kurzgeschichtenband "In der Tiefe der Bühne". Sie heiratete und bekam zwei Kinder. 1999 folgte der nächste Sammelband, 2002 ihr erster Roman "Kellervogel", der u.a. mit zwei der wichtigsten iranischen Literaturpreise ausgezeichnet wurde. Seit 2004 veröffentlicht sie in regelmäßigen Abständen Romane und Kurzgeschichten. Zuletzt erschien ihr siebter Roman "Nach dem Ende" (bisher nur in Persisch), über die Rückkehr einer Exil-Iranerin in ihre alte Heimat. Ihre Werke wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt, u.a. ins Italienische, Norwegische und Arabische. Vafi lebt heute mit ihrer Familie in Teheran.