"In der Islamdebatte nicht polarisieren!"

Kölns Erzbischof Meisner macht Rangunterschiede zwischen christlichen und muslimischen Familien - für den Religionssoziologen Detlef Pollack keine Islamfeindlichkeit, aber ein Beispiel für deutsche Vorbehalte. Mit ihm hat sich Stefan Dege unterhalten.

Von Stefan Dege

Herr Prof. Pollack, haben die Deutschen besonders große Angst vor Muslimen - mehr als andere Europäer?

Detlef Pollack: Sie haben nicht mehr Angst, sie fühlen sich nicht stärker bedroht als Franzosen, Niederländer oder Dänen. Allerdings ist die Haltung der Deutschen zu den Muslimen deutlich kritischer, ablehnender, mit mehr Vorbehalten zu sehen.

Das heißt, die Deutschen sind letztlich weniger tolerant gegenüber Muslimen?

Pollack: Ja. Weniger tolerant - man sieht es vor allem daran, dass sie weniger bereit sind, den Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften gleiche Rechte einzuräumen.

Moscheebau in Köln-Ehrenfeld; Foto: dpa/picture-alliance
Prof. Detlef Pollack. "Fragt man nach der Akzeptanz des Baus von Moscheen, von Minaretten oder auch, ob Mädchen Kopftuch tragen dürfen in der Schule, dann ist jedes mal ganz deutlich: Die Deutschen sind viel weniger tolerant."

Wobei konkret? Beim Bau von Moscheen, religiösen Feiertagen....?

Pollack: …zum Beispiel, ja. Fragt man nach der Akzeptanz des Baus von Moscheen, von Minaretten oder auch, ob Mädchen Kopftuch tragen dürfen in der Schule, dann ist jedes mal ganz deutlich: Die Deutschen sind viel weniger tolerant. Den Bau von Moscheen etwa bejahen nur 30 Prozent der Deutschen. In anderen Ländern sind das deutlich mehr. Die Bereitschaft, Vielfalt in der Religionsausübung zu akzeptieren, ist relativ schwach ausgeprägt in Deutschland. Das geht aber zusammen mit einer anderen Haltung, dass man nämlich auf einer ganz abstrakten, allgemeinen Ebene sehr wohl auch die Fairness, den Respekt gegenüber anderen Religionsgemeinschaften nicht missen möchte.

Von muslimischer Seite gibt es zunehmend Begegnungs- und Dialogangebote, zum Beispiel den Tag der Offenen Moschee oder öffentliches Fastenbrechen. Immer häufiger treten muslimische Verbände auch selbstbewusst in Erscheinung, mit Forderungen nach muslimischen Feiertagen zum Beispiel. Dringen sie damit durch?

Pollack: Ich glaube, sie haben gute Chancen, wenn es darum geht, auch in der Praxis rechtliche Gleichbehandlung einzufordern. Aber man muss sehen, dass es auch noch eine kulturelle Ebene gibt. Wenn zum Beispiel muslimische Feiertage genau so gefeiert werden sollen wie etwa Weihnachten, dann stößt das auf große Widerstände in der Bevölkerung. Das Christentum ist nach wie vor, auch wenn viele Menschen nicht zur Kirche gehen, breit akzeptiert. Im Westen Deutschlands sagen 75 Prozent der Bevölkerung, dass das Christentum die Grundlage unserer Kultur ist. Wenn man an dieser Stelle rüttelt, könnten sich sogar die Vorbehalte gegenüber dem Islam eher verstärken als dass sie abgemildert werden.

Diskutiert Deutschland offen genug über das Thema Muslimfeindlichkeit?

Pollack: Das ist zweischneidig. Man muss sicherlich offen darüber diskutieren, aber man sollte es auch nicht zur Eskalation bringen. Man muss Provokationen zurückhaltend behandeln. Vor zehn oder 15 Jahren noch wurden viele Probleme unter den Teppich gekehrt. Inzwischen wird es offensiver angegangen. Aber wenn man zu sehr polarisiert, kann das auch unerwünschte Effekte erbringen.

Muss die Politik eine andere Sprache sprechen, sensibler oder pointierter?

Pollack: Ich würde sagen: sensibler. Die Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft, auch in der Kirche, stehen viel stärker unter Beobachtung. Jedes Wort, das nicht sorgfältig abgewogen ist, kann die Konflikte verschärfen.

Der Kölner Kardinal Joachim Meisner; Foto: dpa/picture-alliance
Sturm der Entrüstung: Mit seiner Aussage "Ich sage immer, eine Familie von euch ersetzt mir drei muslimische Familien" sorgte der Kölner Kardinal Joachim Meisner jüngst für öffentliche Empörung.

Ein katholischer Geistlicher, der sich missverständlich äußert wie vor kurzem der Erzbischof von Köln, Joachim Meisner, macht der etwas nicht richtig?

Pollack: Ja. Man kann sich nicht einfach unvorbereitet hinstellen und vor seinen Anhängern eine Rede halten, wo man sicher sein kann, dass alle applaudieren. Und dann kommt es in die Öffentlichkeit. Sicherlich steht dahinter keine Islamfeindlichkeit. Es gibt ja viele positive Äußerungen von Kardinal Meisner zu den Muslimen. Er würdigt ihre Frömmigkeit, auch, dass sie so viele Kinder in die Welt setzen. Das ist alles für ihn positiv besetzt. Aber er muss sich natürlich vorsehen, Rangunterschiede zwischen christlichen und muslimischen Familien aufzumachen. Das hat er leider getan. Das war eine unbedachte Äußerung, wie er es auch selber zugestanden hat, sehr ungeschickt.

Woran liegt es, daß andere europäische Länder in der Frage des Neben- oder Miteinanders der Religionen weiter sind als wir Deutsche?

Pollack: Ich glaube, dass ein ganz wichtiger Punkt darin liegt, dass die Integrationsdebatten, die Probleme im Zusammenleben zwischen Einheimischen und Zugewanderten, dort früher offensiv diskutiert wurden - in den Niederlanden ganz deutlich, zum Teil auch in Dänemark. Da gab es natürlich auch Konflikte, die stärker eskalierten als in Deutschland, also auch einen größeren Bedarf, mit diesen Problemen umzugehen. In meinen Augen hat sich die Diskussionskultur in Deutschland verbessert. Aber sie ist noch nicht so weit wie in anderen Ländern.

Vor einigen Jahren stritt die deutsche Politik über die sogenannte Leitkultur. Gemeint war natürlich die Dominanz einer christlich-abendländischen Kultur. Fordern Sie jetzt eine Neuauflage dieser Debatte - unter muslimischen Vorzeichen?

Pollack: Das halte ich für sehr gefährlich. Man muss so ein gewisses Kulturverständnis, ein gewisses Heimatgefühl, ein Gefühl der Zugehörigkeit auch ernst nehmen. Auf der kulturellen Ebene haben viele Menschen Probleme damit, wenn man die Sichtbarkeit des Islam so stark inszeniert, dass man sich selber nicht mehr als zugehörig zu einer christlich geprägten Kultur verstehen kann. Das sollte man respektieren. Menschen fühlen sich in der Regel wohler, wenn sie mit Menschen zusammen sind, die ihnen ähnlich sind. Das würde ich eher versuchen, ernst zu nehmen, als diese Leitkulturdebatte neu aufzulegen und multikulturalistisch zu wenden. Sonst kann das die gegenteiligen Effekte hervorbringen - dass man versucht, die eigene Kultur stärker zu verteidigen.

Das Interview führte Stefan Dege

© Deutsche Welle 2014

Detlef Pollack ist Professor für Religionssoziologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und Mitglied im dortigen "Excellenzcluster Religion und Politik". 2010 legte er eine vielbeachtete Studie zur religiösen Vielfalt in Europa vor. Unter dem Titel "Die Grenzen der Toleranz" ist diese jetzt als Buch im Wiesbadener Verlag Springer VS erschienen, ISBN 978-3-531-18678-8

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de