"Eine Mischung aus Vakuum und Vulkan"

Der Krieg in Syrien wirft seine Schatten auch auf den Nachbarstaat Libanon, der immer mehr unter der Flüchtlingssituation und der ökonomischen Krise leidet. Mona Sarkis hat sich mit dem libanesischen Journalisten Abdel Mottaleb El-Husseini über die gegenwärtigen politischen Machtkonstellationen und Akteure im Zedernstaat unterhalten.

Von Mona Sarkis

Herr El-Husseini, die libanesische Hisbollah kämpft unverhohlen an der Seite des syrischen Regimes. Welche Konsequenzen hat dies für die "Partei Gottes", die jahrelang ihren genuin libanesisch-nationalen Charakter betonte?

Abdel Mottaleb El-Husseini: Sie gilt auch früheren arabischen Unterstützern der Hisbollah nur mehr als Instrument Irans und hat viel Ansehen verloren. Auch ihr Nimbus als Befreiungsbewegung ist praktisch verschwunden, seit sie einen brutalen Diktator offen unterstützt. Dies widerspricht ja auch ihrem eigenen Selbstverständnis. Die Hisbollah sah sich stets als die "Partei der Entrechteten" und die Unzufriedenheit ihrer Mitglieder, dass sie Damaskus helfen sollen, war anfänglich groß. Aber der Druck von außen war größer. Vom ersten Tag der syrischen Revolte an lief die saudische Propagandamaschinerie auf einen sunnitisch-schiitischen "Clash" hinaus. Der Iran will seinen einzigen arabischen Verbündeten halten. Zudem ist Syrien das Transitland für die Waffen, die die Hisbollah aus Teheran erhält. Mit Assad würde also auch die Hisbollah fallen. Angesichts dieser Konstellation konnte die Partei nicht außen vor bleiben.

Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah trug im Lauf der Zeit zur konfessionellen Verschärfung bei, indem er vom Kampf gegen die "sunnitischen Abtrünnigen vom Glauben" (Takfiristen) sprach.

Hisbollah-Kämpfer in einem Vorort von Beirut, Foto: picture-alliance/AP
Keine zweite Front: Solange die Hisbollah in Syrien kämpft, ist sie nicht an einer militärischen Konfrontation mit Israel interessiert. Die Israelis sind darüber froh, weil sie den Sturz Assads, der für sie ein seit Jahren kalkulierbarer Gegner ist, nicht wünschen. Nichtsdestotrotz fürchtet Tel Aviv ein weiteres Erstarken der Hisbollah und bleibt daher in Habachtstellung, meint El-Husseini.

El-Husseini: Nachdem das Ausmaß ihrer Beteiligung in Syrien immer klarer wurde, konnte die Hisbollah ja auch schlecht noch die alten panarabischen Slogans verkaufen. Also ergriff sie die Flucht nach vorne und tat es den Saudis gleich, indem auch sie die Verteidigung der heiligen schiitischen Stätte in Syrien als Begründung für ihre militärische Intervention erklärte. Natürlich hat sie dadurch die Kluft zwischen Sunniten und Schiiten zusätzlich vertieft und sich selbst in eine bedrohliche Lage gebracht, die ihr noch lange zu schaffen machen wird.

Von der Schlacht um Yabrud, die die Hisbollah dieses Frühjahr für das syrische Regime gewann, kursierten Videos auf Youtube. Darin bejubelten Hisbollah-Kämpfer bereits die Rückkehr des "Saheb al-Zaman" – eine Umschreibung für den Mahdi, der nach schiitischem Glauben ein Nachkomme des Propheten ist und am Ende der Zeit wieder erscheinen wird, um alles Unrecht auf der Welt zu beseitigen. Wie ist dergleichen zu werten? Handelt es sich um Anzeichen für einen ausufernden religiösen Fanatismus in der Partei, die bislang doch als überaus pragmatische politische Akteurin einzustufen war?

El-Husseini: Ich halte es für ausgeschlossen, dass die Hisbollah zum schiitischen Pendant von Al-Qaida mutiert. Anders als diese ist sie nicht lose strukturiert, sondern hervorragend organisiert und verfügt aufgrund ihrer politischen Erfahrung – schließlich stellt sie Minister und Abgeordnete im libanesischen Parlament – und ihrer militärischen Erfolge über ein ganz anderes Selbstverständnis. Zudem hängt sie nicht vom finanziellen Wohlwollen einiger fanatischer Personen ab, sondern ist fester Bestandteil einer Regionalmacht – des Iran. Das sind völlig andere Voraussetzungen als im Falle Al-Qaidas.

Was ist aus dem Befreiungskampf der Hisbollah gegen Israel geworden?

Saudischer Geheimdienstchef Prinz Bandar bin Sultan; Foto: picture-alliance/dpa
Geheimdienstchef Prinz Bandar bin Sultan hat den USA verübelt, dass sie in Syrien nicht militärisch auf Seiten der Rebellen intervenierten und ihre Verbündeten auch an der Lieferung von Waffen hinderten. Die USA ihrerseits kritisierten die Unterstützung radikaler islamistischer Rebellengruppen in Syrien durch Saudi-Arabien. Bandar, der gute Kontakte zu den US-Präsidenten George Bush und George W. Bush unterhielt, spielte in den vergangenen Jahrzehnten wiederholt eine zentrale Rolle bei Ereignissen im Irak, im Libanon und Syrien.

El-Husseini: Es liegt auf der Hand, dass die Hisbollah keine zweite Front errichten will, solange sie in Syrien kämpft. Die Israelis sind darüber froh, weil sie den Sturz Assads, der für sie ein seit Jahren kalkulierbarer Gegner ist, nicht wünschen. Nichtsdestotrotz fürchtet Tel Aviv ein weiteres Erstarken der Hisbollah und bleibt daher in Habachtstellung. Wie die Hisbollah ihre Glaubwürdigkeit als größte arabische Widerstandsorganisation gegen Israel indes zurückgewinnen will, ist eine andere Frage.

Auch die Politik der libanesischen Regierung ist gegenwärtig von Unsicherheit geprägt: Sie ist durch die Querelen mit der Hisbollah handlungsunfähig, die Parlamentswahlen wurden im vorigen Jahr verschoben und die extreme Polarisierung zwischen pro-iranisch und pro-saudisch Kräften macht die Wahl eines neuen Staatspräsidenten unmöglich.

El-Husseini: Momentan erhofft man sich eine saudisch-iranische Annäherung, die den Krieg in Syrien beenden könnte. Anlass dazu gab unlängst der saudische Außenminister, als er seinen iranischen Kollegen zum Staatsbesuch nach Riad einlud. Zu verdanken ist dies den internen Machtkämpfen im saudischen Königshaus und dem Druck der USA. Beide Faktoren hatten bereits im vergangenen April zu der spektakulären Entlassung des saudischen Geheimdienstchefs Prinz Bandar Bin Sultan geführt. Bandar Bin Sultan war ein Hardliner in der Syrienpolitik und unterstützte stets ein militantes Vorgehen gegen Damaskus – oder zumindest die Bewaffnung der Rebellen. Doch die Auswüchse der Rebellen in Syrien gingen schließlich allen zu weit, weshalb die USA auf Eindämmung drängten. Bandar Bin Sultans Entlassung ist ein erstes Signal dafür, dass die saudisch-iranische Konfrontation in Syrien nicht weiter eskalieren soll. Aber die Frage ist, ob das gelingt und wenn ja, wann. Solange alles derart unklar ist, wird kaum konstruktive Bewegung in die libanesische Politik kommen.

Welche Auswirkungen haben die inzwischen rund eine Million syrische Flüchtlinge auf den Libanon?

El-Husseini: Die Mehrheit von ihnen ist sunnitisch. Und das erschüttert das fragile konfessionelle Gefüge im Land. Zudem ist davon auszugehen, dass viele dieser Sunniten starke Ressentiments gegenüber Damaskus und der Hisbollah hegen. Ferner stellen natürlich alle Flüchtlinge eine immense Herausforderung für die ohnehin schwache Wirtschaft dar.

Das Interview führte Mona Sarkis

© Qantara.de 2014

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de

Der Journalist und Politikwissenschaftler Abdel Mottaleb El-Husseini wurde 1949 im Libanon geboren und lebt heute in Deutschland. Er beschäftigt sich vor allem mit politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Fragen in der arabischen Welt.