"Musik ist die beste Waffe, zurückzuschlagen"

Ismail Khan vermischt die traditionellen Elemente seines Volkes mit modernen Klängen. Mit seiner Musik will der junge paschtunische Musiker in Zeiten von Krieg und Zerstörung in Afghanistan und Pakistan ein Zeichen setzen. Mit ihm sprach Emran Feroz.

Von Emran Feroz

Sie sind dafür bekannt für einen Musikstil, der klassische wie moderne Elemente vereint. Warum ist das Ihrer Meinung nach in Hinblick auf Paschto-Musik so wichtig?

Ismail Khan: Es ist bekannt, dass man durch Wandel stets überlebt. Unter der paschtunischen Jugend ist Paschto-Musik immer mehr vom Aussterben bedroht. Währenddessen hat sich der Rest der Welt in ein globales Dorf verwandelt. Alles befindet sich im Wandel und jeder informiert sich heutzutage über verschiedene mediale Kanäle. Doch Paschto-Musik hat sich bislang kaum verändert. Stattdessen wurde dieses Genre bisweilen sogar zurückgeworfen. In der Persönlichkeitsentwicklung eines jeden Menschen spielen jedoch Medien eine enorm wichtige Rolle, vor allem in der Gegenwart. Den Menschen in unserer Region wurde dies jedoch entzogen. Um Paschto-Musik wiederzubeleben, musste ich traditionelle Elemente mit modernen mischen – und das hat funktioniert.

Abgesehen von dieser Musik-Kombination beziehen Sie sich auch häufig auf die Texte von berühmten paschtunischen Dichtern. Welche dieser Dichter waren für Sie wichtig? Und inwiefern haben sie Sie beeinflusst?

Khan: Schon immer habe ich versucht, mich von lyrischen Büchern und Ähnlichem fernzuhalten. Ich hörte derartige Texte nur in Liedern. Meine Intention war, mich niemals von anderen Erfahrungen inspirieren lassen zu wollen. Ich wollte stets originell sein und mich auf meine eigene Kreativität besinnen. Der einzige paschtunische Dichter, den ich wahrhaftig bewundere, ist Hamza Shinwari, bekannt auch als Hamza Baba. Um an ihn zu erinnern, habe ich seine Person in meiner Musik gewürdigt und mich auf seine mythische und tiefsinnige Poesie bezogen.

Ismail Khan; Foto: Ismail Khan
Die historische Heimat der Paschtunen, das heutige Afghanistan sowie die Stammesgebiete Pakistans, sind gegenwärtig vor allem durch Extremismus, Drohnen-Angriffe und Selbstmordanschläge bekannt. Ismail Khan will mit seiner Musik andere Facetten aufzeigen und damit gleichzeitig den Frieden in Pakistan und Afghanistan fördern.

Können Sie als Paschtune beschreiben, auf welche Art und Weise das Leben der Paschtunen in ihren traditionellen Gebieten, etwa in Afghanistan oder den Stammesgebieten in Pakistan, von Musik und Poesie beeinflusst wird?

Khan: Im Grunde genommen hat die Region eine Jahrhunderte alte Geschichte, sowohl musikalisch als auch poetisch. Seit den 1950ern werden die Medien jedoch als Hauptinstrument der Propaganda sowie als Kriegswaffe verwendet. Weltweit werden die Gedanken von Menschen von Medien beeinflusst. Selbiges ist mit den Paschtunen in den Stammesgebieten, woher auch ich stamme, geschehen, allerdings in einer sehr konfusen Art und Weise.

Während die meisten Menschen dort keinen Internetzugang haben, wird ihnen Musik und Film regelrecht serviert. Diese Form von Musik und Film ist meines Erachtens nach allerdings absolut sinnentleert und total destruktiv. Sie werden hauptsächlich von privaten Firmen produziert, die vor allem an ihren finanziellen Gewinn denken. Sie haben nichts mit der paschtunischen Kultur und Tradition im Sinn. Stattdessen stehen Sex und geistlose Geschichten im Vordergrund. Aufgrund dieser Medien sind die Menschen verwirrt und frustriert. Währenddessen hat sich allerdings auch Musik wie die meine in der Region etablieren können. Und soweit ich das mitbekommen habe, hinterlässt sie einen positiven Einfluss.

Sie behaupten, dass die Politik auch Sie beeinflusst, Musik zu machen. Wie ist das zu verstehen?

Khan: Ich war schon immer rebellisch und emotional. Schon als Kind war ich stets neugierig und wollte mehr über mein Volk und ihre Kultur wissen, weil ich es liebte. Als ich den Krieg sah, der über unser Volk hereinbrach, stellte ich mir Fragen. Weshalb lief alles falsch? Warum widerfährt dieses Leid ausgerechnet diesen friedliebenden und unschuldigen Menschen in dieser Region? Die Antwort war für mich klar: Es fehlte ihnen an grundlegendem Bewusstsein und Alternativen. In meinen Augen war demnach Musik die beste Waffe, um zurückzuschlagen.

Unglücklicherweise ist die Region heutzutage vor allem durch mörderische Selbstmordanschläge, Drohnen-Angriffe und andere Dinge bekannt, die man mit Krieg und Blutvergießen in Verbindung bringt. Es klingt so, als ob Sie sich mit Ihrer Musik auch gegen diese einseitige Sicht wenden. Trifft das zu?

Khan: Paschtunen sind friedliebende Menschen. Was gegenwärtig in der Region vor sich geht, wurde den Menschen auferlegt. Und es gibt verschiedene Gründe, warum dies geschehen ist. Musik ist in meinen Augen der beste Weg, um dagegen anzukämpfen und eine andere Sicht zu verbreiten. Die Medien, allen voran das Internet und die Sozialen Medien, sind heutzutage von großem Vorteil, was diesen Kampf betrifft. Sie können von jedem genutzt werden, um bestimmte Ansichten zu verbreiten. Und genau das habe ich auch genutzt, um meine Musik bekannter zu machen.

Sie leben in Peschawar und London. Aber Ihre Musikvideos drehen Sie oft in den pakistanischen Stammesgebieten von Khyber Pakhtunkhwa oder anderswo. Was verbindet Sie mit den Menschen aus der Region bis heute? Und auf welche Art und Weise beeinflusst deren Alltag Ihre Musik?

Khan: Ich lebe nicht mehr in London. Aufgrund meines Master-Studiums habe ich dort einige Jahre verbracht. Das Studium habe ich dort vor rund einem Jahr abgeschlossen. Natürlich hatte ich die Chance, auch weiterhin dort zu leben – oder irgendwo anders im Ausland. Aber ich habe mich anders entschieden. Heute lebe ich wieder in Peschawar. Ich wollte nicht mit meiner Heimat und meinem Volk brechen. Sie haben mir soviel gegeben. Ich bin hier glücklich. Das ist auch der Grund dafür, weshalb sie meine Musik soviel beeinflussen. Sie sind alle ein Teil von mir. Und meine Musik verbindet mich noch mehr mit ihnen. Abgesehen davon verdiene ich kein Geld mit meiner Musik. Ich will mein Volk und deren Kultur unterstützen und den Frieden fördern – und so wird es auch bleiben.

Das Interview führte Emran Feroz.

© Qantara.de 2016