Mehr Demokratie in Pakistan wagen

Nach dem erzwungenen Rücktritt des pakistanischen Premiers Nawaz Sharif wittert die Opposition Aufwind. Ihr bekanntester Vertreter, Imran Khan, sprach in Islamabad mit Shah Meer Baloch über seine Sicht auf die aktuellen Ereignisse.

Von Shah Meer Baloch

Herr Khan, sind die im Westen geäußerten Sorgen über die demokratische Entwicklung Pakistans nach der Absetzung von Premier Nawaz Sharif berechtigt?

Imran Khan: Diese Sorgen sind völlig unberechtigt. Pakistans Kurs geht in Richtung Demokratie. Die Säulen der Demokratie sind: Transparenz, verantwortliche Regierungsführung, freie und faire Wahlen, Unabhängigkeit der Medien und Justiz. Diese Säulen werden in Pakistan derzeit gefestigt. Bislang herrschte in Pakistan Kleptokratie anstatt Demokratie. Aber die Dinge ändern sich zum Besseren.

Zum ersten Mal musste ein pakistanischer Ministerpräsident wegen Geldwäsche, Korruption und Fälschung von Dokumenten seinen Posten räumen. Einige Menschen haben sich nur deshalb einen Weg an die Macht verschafft, um sich zu bereichern. Jedes Mal wenn das Militär die Kontrolle übernahm, hat das Volk gejubelt. Jetzt aber hält das Militär still.

Nach meiner Meinung wird die Demokratie infolge des Urteils des Verfassungsgerichts gegen Nawaz Sharif gestärkt. Wer immer seine Nachfolge antritt, wird es sich zweimal überlegen, bevor er sich der Korruption schuldig macht.

Pakistans liberale Kreise und manche Kommentatoren im Westen sprechen im Zusammenhang mit der Entlassung Sharifs von einem "Putsch durch die Justiz." Es gibt auch den Vorwurf, dass Sie und Ihre Partei (Tehreek-i-Insaf) vom Militär instrumentalisiert worden seien, um Sharif zu stürzen.

Khan: Das ist ein Witz. Ich wüsste nicht, wer sich liberal nennt und mit solch schwachsinnigen Behauptungen auf den Plan tritt. Erstens: Der Armeechef wurde von Sharif persönlich ausgewählt.Zweitens: Sharif hatte noch vergangenen Dezember die Ernennung des Chief Justice (Oberster Verfassungsrichter) überschwänglich begrüßt. Warum hätten diese Persönlichkeiten sich zusammentun sollen, um Sharif mit einem "Justizputsch" zu stürzen?

Sogar der britische Premierminister musste vor dem Parlament das Auftauchen seines Namens in den "Panama Papers" erklären. Wir, die pakistanischen Oppositionsparteien, haben gleichermaßen von Sharif verlangt, seine Einkommensquellen zu erläutern, da es dabei um Offshore-Firmen geht, denen Luxus-Immobilien in London gehören.

Wie hat er das Geld aus dem Land geschafft? Er konnte die Fragen nicht beantworten, die ihm von den beiden Kammern des Verfassungsgerichtes gestellt wurden. Genauso wenig konnte er die Quelle seines Einkommens gegenüber dem gemeinsamen Untersuchungsausschuss erläutern, der vom Verfassungsgericht eingesetzt worden war.

Er konnte es nicht und er belog das Gericht über die Herkunft seines  Einkommens. Er legte gefälschte Dokumente vor. Wie kann man hier von einem "Putsch der Justiz" sprechen? 

Und dass ein pakistanischer Armeechef zwei Mal öffentlich erklärt hat, dass die Armee zur Demokratie und Verfassung Pakistans steht, hat es auch noch nicht gegeben. Also was diese Experten sagen, ist nur Propaganda von Nawaz Sharif, der sich in seinen Korruptionsaffären verfangen hat.Wenn Sie Ministerpräsident Pakistans wären: Welche Art von Beziehungen würden Sie zu den USA und zur EU anstreben?

Khan: Pakistans sollte sich in erster Linie um gute Beziehungen zu seinen Nachbarn bemühen, also mit Iran, Afghanistan, Indien und China. Dann sollte es sich auch um Annäherung an den Westen bemühen. Wir wollen gute Beziehungen zu China, denn Pakistans Wohlstand ist von China abhängig.

Peking pumpt durch den chinesisch-pakistanischen Wirtschaftskorridor Milliarden US-Dollar in unser Land. Ganz klar, die EU und die USA  gehören zu Pakistans wichtigsten Handelspartnern. Und ich würde freundschaftliche Beziehungen zu ihnen unterstützen.

Afghanistan Anschlag in Kabul 1.3.2017 Foto: Reuters/Mohammed Ismail
Taliban in der Offensive: Trotz Milliarden von US-Dollar für militärische Mittel ist es den USA und der Regierung in Kabul nicht gelungen, die Taliban zu besiegen. In den letzten Monaten ist es den Islamisten gelungen, große Teile des Landes wieder unter ihre Kontrolle zu bringen. Deshalb sind die USA inzwischen zu Verhandlungen bereit.

Ihre Unterstützung für Verhandlungen mit den pakistanischen und afghanischen Taliban wird von vielen kritisiert. Sie weigern sich, den Terror extremistischer Gruppen zu verurteilen und machen stattdessen die amerikanische Intervention in Afghanistan dafür verantwortlich. Glauben Sie wirklich, dass das pakistanische Militär nicht verschiedene islamistische Gruppen in Afghanistan und Kaschmir unterstützt?

Khan: Das sind lediglich Unterstellungen von Leuten, die die dschihadistischen Bewegungen und die Taliban nicht verstehen und keine Ahnung von den Vorgängen in Pakistan und Afghanistan haben. Die militärische Lösung (in Afghanistan, Anm. d. Red.) ist gescheitert. Auch die USA wollen mit den Taliban verhandeln, weil sie mit militärischen Mitteln nicht weiterkommen, trotz vieler Milliarden US-Dollar, die sie dafür verwendet haben.

Diese Dschihad-Organisationen wurden vom Pakistanischen Militärischen Geheimdienst (ISI) und von der amerikanischen CIA geschaffen, um die Sowjets in Afghanistan (in den 80er Jahren, Anm. d. Red.) zu bekämpfen. Als die Sowjetunion auseinanderbrach und die USA sich davonmachten, blieb Pakistan allein mit diesen Dschihad-Gruppen.

Nach dem Angriff vom 11. September 2001 setzte Washington diesen Dschihad-Gruppen plötzlich nach und nannte sie "Terroristen" - dieselben Leute, die sie vorher als Helden gefeiert hatten. Pakistan steht in diesem Krieg gegen den Terror an vorderster Front und hat dabei große Verluste erlitten. Wir haben 70.000 Menschen in diesem Krieg verloren, der uns aufgezwungen wurde. Pakistan sollte sich aus diesem Krieg heraushalten.

Welche Art von Beziehungen zu Indien streben Sie an? Jeder Versuch eines pakistanischen Premiers, die Beziehungen zu Indien zu verbessern, führe zu Abwehrreaktionen des Militärs, sagen Beobachter.

Khan: Das ist nichts als Propaganda! Früher stimmte das vielleicht einmal, aber jetzt besteht in Pakistans Bevölkerung und Parteien breites Einvernehmen, dass es Frieden mit Indien geben muss. Jedermann weiß, dass Indien mit Narendra Modi von einem Hindu-Nationalisten regiert wird. Sein einziges Ziel ist es, Pakistan zu isolieren. Auf diese Art und Weise können wir keinen Frieden schließen.

Wenn irgendetwas in Indien passiert, gibt Modi sofort Pakistan die Schuld an dem Chaos. Er ist nicht an einem konstruktiven Friedensprozess interessiert, sondern er sabotiert ihn. Auch sein Vorwurf, dass Pakistan in Kaschmir den Terrorismus anheize, geht ins Leere. Vielmehr ist es die Regierung Modi, die mit brutaler Gewalt gegen eine lokal verwurzelte  Bewegung vorgeht.

Im Gegensatz dazu hat sich der frühere indische Ministerpräsident A. B. Vajpayee, der ebenfalls von der rechtsgerichteten BJP kam, stets für Frieden eingesetzt.

Interview: Shah Meer Baloch

© Deutsche Welle 2017