"Freiheit beginnt im Geist"

In seinen beiden Dokumentarfilmen porträtiert der iranische Regisseur Ayat Najafi Frauen, die für Veränderung in der Islamischen Republik kämpfen. Marian Brehmer sprach mit ihm über seine Projekte und die Situation iranischer Filmemacher.

Von Marian Brehmer

Wie sind Sie Filmemacher geworden? 

Ayat Najafi: Schon im Alter von sechs Jahren war ich Schauspieler und ging später auf die Theaterschule. Meine Karriere begann mit diversen Theaterprojekten in der Teheraner Theaterszene. Ein Beispiel ist mein Stück "Sleepy Noon", das 2001 aufgeführt wurde. Es handelt von einem alten Mann, der glaubt, dass er in seinem Garten eine Atombombe entwickelt. Die Atombombe ist ein Symbol für Teheran - eine Stadt, die sich selbst und ihre Menschen zerstört. Als ich das Theaterstück schrieb, war der Atomstreit zwischen dem Iran und dem Westen noch nicht so erhitzt. Das Stück enthielt politische Anspielungen und auch Kritik an den Reformern im Lager des damaligen Präsidenten Mohammad Khatami. Viele von uns hatten schon damals das Gefühl, dass sie uns belügen.

Gerieten Sie mit solchen politischen Botschaften in Konflikt mit der Regierung?

Najafi: Viele meiner Stücke wurden abgesagt. Und ich habe auch nie einen Cent Fördermittel erhalten. All dies bestärkte mich in meiner Entscheidung, den Iran zu verlassen. 1999 war ich Regieassistent bei Shakespeares "Ein Sommernachtstraum". Unsere Vorführung wurde mittendrin von den "Basidsch"-Milizen unterbrochen, vor versammeltem Publikum. Diese Konfrontation mit den Extremisten im Iran hat mir einen anderen Blick auf unsere Gesellschaft gegeben. Es gibt so viele unterschiedliche Fraktionen innerhalb der iranischen Gesellschaft, die nicht miteinander kommunizieren. Während meiner Arbeit am Theater reiste ich auch aufs Land. Ich verbrachte wunderbare Tage in den Dörfern und empfand die Menschen als religiös, aber sehr aufgeschlossen und tolerant. An diesen Orten findet man viel Einfachheit, Tiefe und Ehrlichkeit. Die Einteilung in sogenannten "weltoffene Städte" und "engstirnige Dörfer", wie man es im Westen oft wahrnimmt, gefällt mir nicht. Die Realität sieht ganz anders aus.

Ihr erster Dokumentarfilm "Football Undercover" handelt von der iranischen Frauenfußballmannschaft. Was hat Ihr Interesse an diesem Thema geweckt?

Najafi: Als ich zum ersten Mal von der iranischen Frauenmannschaft hörte, wollte ich direkt eine Dokumentation über das Team drehen. Zunächst habe ich einen Kurzfilm über Banafsheh, eine iranische Fußballspielerin, gemacht. Ihre Stärke und ihr Optimismus haben mich beeindruckt. Dann kam ich auf die Idee, ein Spiel zwischen dem iranischen Frauenteam und einer deutschen Fußballmannschaft zu organisieren. Mit "Football Undercover" wollte ich diese starken Frauen dem iranischen Publikum vorstellen und zeigen, wie sehr sie für Veränderung kämpfen. Seit ich den Iran verlassen habe, bin ich optimistischer geworden. Sobald du den Druck, unter dem Künstler im Iran stehen, verlässt, gewinnst du eine andere Perspektive. Gleichzeitig wollte ich einen Iran jenseits der üblichen Stereotypen zeigen. Der Film war in Europa ein großer Erfolg.

Auch Ihr neuer Film "No Land's Song" stellt Frauen in den Mittelpunkt. Er zeigt den Kampf Ihrer Schwester Sara, ein Konzert mit Solosängerinnen in Teheran zu organisieren. Wie entstand diese Idee?

Najafi: Die Idee, eine Dokumentation über Musik zu machen, entstand gleichzeitig mit meiner Begeisterung für die iranische Sängerin Qamar-ol-Moluk Vaziri. Sie war die erste Frau, die 1924 öffentlich auftrat. Qamar kämpfte sehr für ihre Karriere und wurde in allen möglichen Genres berühmt. Ihr Einfluss auf die iranische Musikszene war gewaltig, und trotzdem starb sie in Armut. Inspiriert durch Qamar beschlossen Sara und ich, das erste Konzert für weibliche Solostimmen seit der Islamischen Revolution zu organisieren und einen Film über den gesamten Prozess zu drehen. Wir wussten, dass das nicht leicht sein würde, denn damit hätten wir ein grundlegendes Tabu der iranischen Regierung gebrochen.

Welche Schwierigkeiten traten beim Dreh des Films auf?

Najafi: Sara und ich schrieben das Filmkonzept gemeinsam. Erst beim Dreh entwickelte sich Sara zur Protagonistin des Films. Sie zeigte sich sehr unerschrocken und couragiert im Umgang mit den iranischen Behörden. Die Hauptfrage für mich war, wie ich die Geschichte erzählen sollte. Was tun, wenn das Konzert von der Regierung abgeblasen wird? Wir luden Sängerinnen aus Frankreich ein, die gemeinsam mit den iranischen Frauen auftraten. Damit war nicht nur eine Brücke der Kulturen geschaffen, sondern mit ihrer Hilfe konnten wir auch das Konzert durchführen, obwohl die Behörden es platzen lassen wollten. Letztlich wollten sie nicht, dass die Ausländer mit einem schlechten Eindruck vom Iran wieder abreisen. Im Konzert gab es lange Solosequenzen von Frauenstimmen, obwohl die Behörden uns davor gewarnt hatten.

So gesehen war das Konzert ein historisches Ereignis. Wie war die Reaktion darauf im Iran?

Najafi: Das Publikum reagierte sehr aufgeregt. Auch Regierungsbeamte waren unter den Konzertbesuchern. Doch aufgrund der Anwesenheit des französischen Botschafters und der ausländischen Darsteller auf der Bühne konnten sie nicht einschreiten. Es gab keine Berichterstattung über das Konzert in den iranischen Medien. Bis zur Premiere von "No Land's Song" im August 2014 wusste niemand, dass wir einen Film über das Konzert gemacht haben. Ich plane, den Film im Herbst in deutschen und französischen Kinos zu zeigen. Für mich ist "No Land's Song" ein optimistischer Film - auch wenn er von einer sehr schwierigen Situation handelt.

Wenn es um die Freiheit der Künste im Iran geht, wird die Lage des iranischen Filmschaffens oft hervorgehoben. Wie beurteilen Sie die Situation iranischer Filmemacher im Moment?

Najafi: Es ist unfair, aus dem Ausland über die Situation iranischer Filmemacher sprechen zu wollen. Ich glaube aber an Veränderung von innen. Es wird im Westen oft übersehen, dass der Iran eine der größten Filmindustrien der Welt hat. Asghar Farhadis Film "Eine Trennung" hatte im Jahr seines Erscheinens die zweitgrößte Zuschauerzahl in iranischen Kinos – ein Arthouse-Film! Natürlich ist es hart, unter der herrschenden Zensur zu arbeiten. Aber es ist nicht unmöglich. Was mich wirklich stört, ist die Art und Weise, wie das iranische Kino oft im Westen dargestellt wird. Man interpretiert die Dinge oft gerne dramatischer, als sie eigentlich sind. Für mich ist das auch eine Form der Zensur. Das iranische Kino von heute ist dynamisch und es geht mit ihm auch nicht bergab. Selbst in schweren Zeiten haben iranische Filmemacher stets hervorragende Filme gemacht. Der Film "Eine Trennung" wurde übrigens in der Regierungszeit Ahmadinedschads produziert.

Denken Sie, dass Filmemacher in schweren Zeiten kreativer werden?

Najafi: Ich will nicht sagen, dass Zensur Künstler kreativer macht, denn damit würde ich ja die Zensur legitimieren. Die Zensur ist in jedem Fall ein Verbrechen. Aber ich glaube auch, dass Freiheit im Geist beginnt. Man kann in Deutschland leben und total engstirnig sein. Umgekehrt kann man im Iran leben und sehr aufgeschlossen sein. Wenn man keine Probleme hat, wird man faul. Das schlägt sich im nord- und westeuropäischen Kino nieder. Aber das iranische Kino, genauso wie das osteuropäische, platzt vor Kreativität.

Das Interview führte Marian Brehmer.

© Qantara.de 2015