"Es geht nicht nur um Unterdrückung"

"Das Mädchen Wadjda" ist der erste Kino-Spielfilm, der je in Saudi-Arabien gedreht wurde - ausgerechnet von einer Frau. Der Berliner Roman Paul hat den Film produziert und dabei schöne und irritierende Momente erlebt, wie er im Gespräch mit Bernd Sobolla erzählte.

Von Bernd Sobolla

Die 39-jährige Filmemacherin Haifaa al-Mansour erzählt in dem Film "Das Mädchen Wadjda" die Geschichte eines elfjährigen Mädchens, das versucht, gegen alle gesellschaftlichen Konventionen ihre Träume zu verwirklichen: Sie will ein Fahrrad besitzen und damit durch Riad fahren. Frauen und Mädchen dürfen in Saudi-Arabien gar nicht Radfahren - doch Wadjda lässt sich nicht abschrecken. Die Berliner Filmproduzenten Gerhard Meixner und Roman Paul haben mit ihrer Firma "Razor Film" den Film produziert, der am Donnerstag (05.09.2013) in den deutschen Kinos startete. Sie gelten als Experten für den Nahen und Mittleren Osten, produzierten unter anderem die vielfach preisgekrönten Werke "Paradise Now" (Regie Hany Abu-Assad) und "Waltz with Bashir" (Regie Ari Folman).

Wie sind Sie auf den Stoff von "Das Mädchen Wadjda" und die Filmemacherin Haifaa al-Mansour gestoßen, die ja in Sydney Film studierte?

Roman Paul: Haifaa ist eigentlich auf uns gestoßen. Sie schickte uns eine E-Mail, in der sie uns das Projekt anbot. Allerdings hat sie das bei fast jeder europäischen Filmproduktionsfirma getan. Aber nur wir waren interessiert.

War es sehr schwer, die Tür in Saudi-Arabien zu öffnen, um den Film dort zu drehen? Dort wurde noch nie ein Kino-Spielfilm gedreht, Kinos sind verboten, und dann handelt der Film auch noch von einem Mädchen, das mit einem Fahrrad durch die Gegend fahren will…

Der Film bietet ein sehr komplexes Bild vom Leben in Saudi-Arabien. Es war uns wichtig zu zeigen, wie die Menschen dort leben, was ihr Leben ausmacht und dass es in dem Werk nicht nur um Unterdrückung geht.

Haifaa wollte ursprünglich in den Emiraten drehen. Wir haben sie dann gefragt, ob man nicht in Saudi-Arabien drehen könnte. Haifaa meinte: "Das könnte schon sein. Es gibt keine Regelung dazu." Wir sind dann gemeinsam mit ihr nach Saudi-Arabien gefahren, haben uns den Osten des Landes und Riad angeschaut und uns dort mit dem Fernsehproduzenten Amr Alkahtani getroffen [TV-Serien werden durchaus in Saudi-Arabien gedreht, Anmerk. des Autors]. Er war zuversichtlich, dass er die nötigen Genehmigungen bekommen würde. Und so ist es dann gewesen. Es ist auch nicht so, dass in Saudi-Arabien soziale Themen, und darum geht es ja in dem Film, nicht diskutiert würden.

Wir im Westen blicken auf solche Länder von außen, sehen sie als starr und wenig dynamisch an. Aber gerade Saudi-Arabien ist in seinem Innern relativ dynamisch. Da man aber nicht einfach nach Saudi-Arabien fahren kann, bekommt man auch keinen Eindruck davon.

Der Film soll dies ändern. Gleichzeitig ist er auch für ein saudisches Publikum gemacht worden. Es hat Vorführungen in der deutschen und der amerikanischen Botschaft in Riad gegeben. Dort konnten auch Saudis den Film sehen; er hat die Zensurbehörde passiert und wird in Saudi-Arabien im Fernsehen laufen.

Wadjda will sich gegen die sozialen Normen durchsetzen: Der Film "Das Mädchen Wadjda" bildet aber nicht nur den Kampf für größere Freiheiten ab. Er möchte auch das ganz normale Leben der Saudis zeigen, die Roman Paul bei den Dreharbeiten als sehr offenherzig empfunden hat.

Sie waren die ganze Zeit bei den Dreharbeiten dabei. Wie war Ihr Eindruck von Saudi-Arabien?

Paul: Bevor wir hinfuhren, hatte ich ein bisschen Angst vor dem Land. Ich habe mir das in sehr düsteren Farben ausgemalt. Als wir dann dort vor Ort waren, hat sich uns ein ganz anderes Bild gezeigt. Die Menschen waren sehr fröhlich und uns gegenüber sehr freundlich und aufgeschlossen. Das hat uns überrascht. In dem Land gibt es das gesamte politische Spektrum, das geht von links bis rechts. Man trifft Menschen mit ganz unterschiedlichen Ansichten.

Der Film spielt in Riad, aber man sieht von der Stadt nicht sehr viel. Ging es auch darum, die Enge zu zeigen, in der Wadjda lebt?

Paul: Ich empfinde das gar nicht so eng. Der Film spielt in dem Viertel, wo Wadjda mit ihrer Familie lebt. Dann gibt es einen Ausflug in die Altstadt von Riad, wo sie mit Abdullah hinfährt. Sie sind in der Mall anzutreffen, was dort eine sehr große Rolle spielt. Die Einkaufsmalls sind für die Saudis ein großes Vergnügen, weil es ja keine Kinos, Kneipen oder Ähnliches gibt. Sie sind eine Art sozialer Treffpunkt. Im Film sehen wir auch ein Krankenhaus von innen. Also der Film zeigt doch recht unterschiedliche Schauplätze von Riad.

Wadjdas große Sehnsucht ist ein grünes Fahrrad. Grün steht für Hoffnung, es ist aber auch die Farbe der saudischen Flagge. Wie sehen Sie dieses Grün?

Paul: Das Fahrrad ist grün. Es ist das Symbol für Träume, die man auch gegen gesellschaftliche Schwierigkeiten durchsetzen kann, ohne dabei andere groß zu verletzen. Wadjda will ihren Traum verwirklichen. Sie bekommt aber keine Unterstützung, sondern trifft ständig auf Widerstände. Aber sie bleibt dran.

Haifaa al-Mansour ist ihrer Heimatgesellschaft voraus: Die 39-Jährige ist nicht nur die erste saudi-arabische Filmemacherin, sondern hat mit "Das Mädchen Wadjda" den ersten in Saudi-Arabien gedrehten Kinofilm produziert. Ihre Karriere startete sie mit einer Reihe von Kurzfilmen, von denen "The Way Out" mehrfach ausgezeichnet wurde.

Handelt es sich bei Wadjdas Schule um eine Koranschule oder eine allgemein bildende Schule?

Paul: Das ist eine allgemeinbildende Schule für Mädchen. Und die Klasse, die Wadjda besucht, ist der Koran-Club. Das ist vielleicht vergleichbar mit einer Theater-AG bei uns. Und dort gibt es einen besonderen Wettbewerb, der im Film gezeigt wird.

Mir ist die Vehemenz aufgefallen, mit der die Lehrerinnen versuchen, den Schülerinnen die Traditionen einzubläuen. Ich hätte gedacht, dass die Mädchen in der Mädchenschule ein wenig mehr Freiheit genießen können als außerhalb.

Paul: Es geht diesen Frauen nicht darum, Solidarität unter Frauen zu propagieren, um dann eine größere vermeintliche Freiheit in der Gesellschaft zu erreichen. Vielmehr ist es diesen Frauen wichtig, dass die Tradition weitergelebt wird, dass die Mädchen die Regeln verinnerlichen und auch leben. Haifaa al-Mansour hat gesagt, dass sie diesen Film auch ihren ehemaligen Mitschülerinnen widmet. Sie ist in einer Kleinstadt aufgewachsen. Ihre Mitschülerinnen waren zum Teil verrückte Mädchen, die ausgefallene Ideen, Wünsche und Träume hatten. Aber keine von ihnen hatte diesen Eigensinn wie etwa Haifaa, die ihren Traum, Filmregisseurin zu werden, durchsetzte. Die anderen Mädchen haben sich dann mit der traditionellen Gesellschaft arrangiert.

Welchen Einfluss kann eine Frau wie Haifaa al-Mansour in Saudi-Arabien haben?

Paul: Saudi-Arabien ist eine relativ abgeschlossene Gesellschaft. Haifaa wird sicher dort an Prominenz gewinnen, wenn der Film dort ausgestrahlt wird und seine weltweite Karriere fortsetzt. Sie ist eine der herausragenden Künstlerpersönlichkeiten Saudi-Arabiens. Natürlich wird der Film kontrovers diskutiert werden.

Interview: Bernd Sobolla

© Deutsche Welle 2013

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de