Nicht wirklich im siebten Himmel

Der heute in Frankreich lebende algerische Schriftsteller Yasmina Khadra gehört zu den Erfolgsautoren seines Landes. Der Film "The Attack" nach dem Buch "Die Attentäterin" von Yasmina Khadra bekam auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse den Preis für die beste internationale Literaturverfilmung. Mit ihm sprach Regina Keil-Sagawe

Von Regina Keil-Sagawe

"Quel étage?" fragt die nette Brünette im Fahrstuhl des Algerischen Kulturzentrums in der Rue de la Croix-Nivert. "In den siebten Stock", gebe ich zurück. "Ah, quelle chance! Sie haben es gut! Da ist man dem Himmel am nächsten, und der Blick über Paris grandios. Ich arbeite im zweiten." Bedauernd zuckt sie die Achseln und verschwindet in die Bibliothek.

Im siebten Stock erwartet mich Yasmina Khadra alias Mohammed Moulessehoul, der algerische Autor, der in den 1990ern wie ein Komet am Pariser Literaturhimmel aufstieg und dessen nom de plume seither für spannende Unterhaltung steht. Für große, leidenschaftlich engagierte Literatur, die mit unerschrockenem Pathos den Konflikten zwischen der Arabischen Welt und dem Westen nachspürt. Und die weltweit für Völkerverständigung wirbt, für Frieden und Toleranz in Algerien, Somalia, Afghanistan, in Israel, Palästina und im Irak.

Heute wirkt er erschöpft, hat dunkle Schatten unter den Augen, der Bestsellerautor und Institutsdirektor, dessen Terminkalender nur noch wenig Freiraum kennt. In Spanien hat er soeben seinen jüngsten Roman vorgestellt, auf der Frankfurter Buchmesse ist er Ehrengast. Einen Espresso lang gewährt Khadra mir Audienz.

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Yasmina Khadra, Sie sind einer der Ehrengäste der diesjährigen Buchmesse, um an der Preisverleihung für die beste internationale Literaturverfilmung teilzunehmen, die dieses Jahr an The Attack geht, den Film, den der libanesische Regisseur Ziad Doueiri nach Ihrem in Israel spielenden Roman Die Attentäterin gedreht hat. Welche Erwartungen verbinden Sie mit diesem Preis? Ist es eine Art Wiedergutmachung, nachdem der Film in Cannes nicht prämiert werden konnte, weil weder der Libanon noch sonst ein arabischer Staat ihn in seinem Namen antreten lassen wollten – und Qatar, Hauptfinancier des Films, sogar größere Summen geboten hat, damit sein Name aus dem Abspann getilgt wird …?

Preisgekrönt: Der Film "The Attack" bekam den mit 10.000 Euro dotierten Preis der Frankfurter Buchmesse für die beste internationale Literaturverfilmung. Der Film basiert auf dem Roman "Die Attentäterin" von Yasmina Khadra.

Yasmina Khadra: Es gibt ein Leben nach der Niederlage. Der Film wurde in Cannes nicht gezeigt, dafür wird er jetzt in Frankfurt prämiiert – wie zuvor ja schon in Marrakesch, beim Internationalen Filmfestival. Das ist das Auf und Ab des Daseins. Kein Grund, das Leben deshalb weniger zu lieben, trotz mancher Ungerechtigkeit, mancher Missgunst, manch übler Nachrede. Ich bin ein unbequemer Autor, jemand, der stört, der nicht ins Bild passt, aber dafür kann ich doch nichts. Mein atypischer Werdegang als Schriftsteller ist für manche nicht nachvollziehbar. Erwartungen? Habe ich keine. Ich gehe die Dinge an, die mir am Herzen liegen, und Gleichgesinnte können sich gerne anschließen. Wenn mein Leben in Paris mich eines gelehrt hat, dann ist es das: Es hat sich noch kein Krokodil dadurch erweichen lassen, dass man ihm seine Tränen trocknet.

Sie sind durch Bücher bekannt geworden sind, die Probleme der Gegenwart aufgreifen, wie zuletzt in Ihrem Afrika-Roman Die Landkarte der Finsternis, der vom Schicksal eines Frankfurter Arztes erzählt, der von somalischen Piraten gekidnappt wird. In Ihrem aktuellen Roman Les Anges meurent de nos blessures ("Die Engel sterben an unseren Wunden"), der Geschichte eines Boxers mit all ihren Höhen und Tiefen, kehren Sie aber erneut ins Algerien der 1930er Jahre zurück, wie schon zuvor im Roman Die Schuld des Tages an die Nacht, der 2012 von Alexandre Arcady verfilmt wurde. Was reizt Sie an dieser neuerlichen Rückkehr ins koloniale Algerien, Es wird ja wohl kaum Kolonialnostalgie sein, die Sie da plötzlich antreibt?

Khadra: Ich ein Nostalgiker? Ich habe zu der Zeit ja noch gar nicht gelebt. Nein, ich liebe mein Land über alles. Und versuche, seiner Geschichte, seiner Großherzigkeit, seiner Überlebenskunst gerecht zu werden und die enthusiastischen Erwartungen nicht zu enttäuschen, die meine algerischen Leser, große wie kleine, in mich setzen. Les Anges meurent de nos blessures ist eine Antwort auf das Schweigen, mit dem eine ganze Epoche zugedeckt wird. Eine Epoche, deren Widersprüche und Paradoxien jedes Maß übersteigen, die geprägt ist von unvorstellbaren Missverständnissen. Es war mein Ziel, einen Roman zu schreiben, der der Größe meines Volkes würdig ist.

Sie sind bereits in 41 Ländern übersetzt, und Ihr letzter Roman ist sogar parallel in Frankreich und Spanien erschienen ("Los angeles mueren por nuestras heridas"). Wie kam es denn dazu?

Khadra: In Spanien werde ich mehr als in jedem anderen Land der Welt übersetzt. Alle meine Bücher sind auf Spanisch erschienen, manche sogar auf Katalanisch. (Sein Blick gleitet über die dunkle Schrankwand, in der sich meterweise Übersetzungen seiner Bücher reihen.) Die spanischen Medien haben mich stets anständig behandelt. Kein Journalist hat je versucht, mein Image zu entstellen. Die Spanier sind professionelle Kritiker, ehrenhaft, gewissenhaft, ohne Vorurteile und frei von Arroganz.

Ein Segeltörn als existenzielles Drama: Yasmia Khadra beschreibt in seinem neuesten Roman, wie zwei Deutsche während ihrer Selgeltour von somalischen Piraten entführt werden und Zeugen eines düsteren Kapitels der afrikanischen Gegenwart werden.

In einem Interview, das Sie vor kurzem einer spanischen Zeitung gewährten, konnte man lesen, dass Sie planen, Frankreich zu verlassen, um sich in Spanien niederzulassen? Aber Sie sind doch seit 2007 Direktor des Algerischen Kulturzentrums in Paris, des einzigen algerischen Kulturzentrums in Europa, das sich unter Ihrer Leitung gut entwickelt hat. Sie werden es doch nicht aus der Ferne leiten wollen? Ist das ein Zeichen wachsender Erschöpfung Ihrerseits?

Khadra: Ich mag Spanien, mag die Spanier. Vor drei Jahren habe ich ein Haus in der Nähe von Alicante erworben. Ich fühle mich wohl unter diesem Menschenschlag, der sich trotz der Finanzkrise sein heiteres, angenehmes Wesen bewahrt hat. Ich habe in kurzer Zeit viele neue Freunde gewonnen. Ich bin Beduine. Bei uns sind die zwischenmenschlichen Beziehungen von großer Herzlichkeit geprägt. Ich finde in Südspanien eine Art Seelenfrieden, den ich brauche, um weiterhin schreiben zu können – und um mir meine Liebe zur Menschheit zu bewahren. Zum Algerischen Kulturzentrum bin ich gekommen, um einer Kultur auf die Beine zu helfen, die in unserem Land an den Rand gedrängt wird. Die algerischen Künstler und Intellektuellen hatten Unterstützung nötig. Ich bin für sie da, gehe mit gutem Beispiel voran. Ich sage den Algeriern: tut etwas für Eure Leute. Ich hätte es nicht mehr nötig, zu arbeiten, ich habe Millionen von Lesern. Aber mich auf meinem Erfolg auszuruhen, das wäre purer Egoismus.

Vermutlich haben Sie längst einen neuen Roman in Arbeit?

Khadra: Ja, er ist seit Ende Juni fertig und trägt den Arbeitstitel "Qu’attendent les singes?" ("Worauf warten die Affen?"). Darin geht es um das Algerien von heute mit allem, was schiefläuft und verabscheuenswert ist, um den Zorn und Unmut der Bevölkerung, die politischen und intellektuellen Missstände, den Kampf, den die Algerierinnen und Algerier zu führen haben, um ein Mindestmaß an Menschenwürde zu erlangen. Ich möchte den Roman veröffentlichen, solange Präsident Bouteflika noch im Amt ist. Dass ich Direktor des Algerischen Kulturzentrums bin, heißt ja nicht, dass ich die Dinge nicht mehr beim Namen nenne.

Seit 1997 sind elf Ihrer Romane in deutscher Übersetzung erschienen, etliche davon preisgekrönt. L‘Ecrivain aber, jener Roman, mit dem Sie 2001 in Paris Ihr Pseudonym gelüftet haben, steht noch aus. Im Frühjahr 2014 erscheint Ihre Autobiographie, mehr als überfällig, nun im Hamburger Osburg-Verlag. Ist das eine besondere Freude für Sie?

Khadra: Ich freue mich immer, wenn irgendwo auf der Welt Übersetzungen meiner Bücher erscheinen. L’Ecrivain erzählt mein Leben als Kindersoldat, meine Begegnung mit der Literatur. Ich denke, das ist eine gute Initiative, um die vielen Klischees und die Häme abzubauen, mit der meine Person oft überzogen wird. Viele Journalisten, gerade in Frankreich, verwechseln mich mit einem Abziehbild – und tun einer Person unrecht, die sie niemals zu verstehen versucht haben.

Sie wurden mit zahlreichen Literaturpreisen geehrt, in Europa und Amerika, unter anderem 2011 mit dem renommierten Grand Prix de Littérature der Académie Française. Seit dem Sommer 2013 sind Sie nun auch im französischen Referenzlexikon, dem Petit Robert des Noms Propres, erwähnt – wie finden Sie das?

Khadra: Sehr beruhigend, denn es heißt, auch in Frankreich gibt es Leute, die mich als Romancier wahrnehmen und keine plumpe Stigmatisierung betreiben.

Das Interview führte Regina Keil-Sagawe

© Qantara.de 2013

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de