Europas neue Nahoststrategie

Andreas Reinicke ist EU-Beauftragter für den Nahost-Friedensprozess. Er glaubt, dass Ägypten sich weiter konstruktiv in der Region engagiert. Von Israel fordert er ein klares Bekenntnis zur Zwei-Staaten-Lösung. Mit ihm sprach Michael Knigge.

Im syrischen Bürgerkrieg sind Schätzungen zufolge bislang rund 70.000 Menschen ums Leben gekommen. Kürzlich drohten Iran und Syrien nach einem mutmaßlichen israelischen Luftangriff mit Vergeltung. Und in Ägypten kommt es immer wieder zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen den Muslimbrüdern und der Opposition. Haben Sie in den vergangenen Wochen schon einmal daran gedacht, ihren Job als Sonderbeauftragter der EU für den Friedensprozess im Nahen Osten an den Nagel zu hängen?

Andreas Reinicke: Nein, ich habe eher daran gedacht, meinen Job oder meine Arbeitszeit zu verdoppeln. Aber Sie haben natürlich recht. Gerade die Situation in Syrien ist besorgniserregend und tragisch. Der Angriff auf eine Anlage in Damaskus ist einfach nur ein weiteres Zeichen dafür, wie schwierig die Sicherheitslage in Syrien auch in Bezug auf die Nachbarstaaten ist.

Wir haben natürlich noch das weitere Problem des syrischen Giftgaspotentials, das allen große Sorgen bereitet, und wir haben das Problem der palästinensischen Flüchtlinge. Es gibt etwa eine Million palästinensische Flüchtlinge in Syrien, die versucht haben, sich weitgehend neutral zu verhalten, weil sie keine Alternative haben, irgendwo anders hin zu gehen. Einige sind jetzt nach Jordanien und in den Libanon geflohen, und man kann nur erahnen, welche zusätzlichen Schwierigkeiten das noch mit sich bringt.

Ägypten spielte in der Vergangenheit häufig eine sehr konstruktive und wichtige Rolle beim Friedensprozess zwischen Israel und den Palästinensern, aber auch im übrigen Nahen Osten. Kann eine ägyptische Regierung der Muslimbrüder diese Rolle Ihrer Ansicht nach auch künftig einnehmen? Angesichts der jüngsten israelfeindlichen Äußerungen von Präsident Mursi könnte man daran zweifeln.

Reinicke: Wir müssen sehen, dass sich die gesamte arabische Welt in einer Phase der strategischen Neuorientierung befindet. Die alten Koalitionen funktionieren nicht mehr richtig, die Spieler haben sich geändert. Syrien haben wir eben angesprochen. Mursi und Ägypten sind ein anderes Feld. Die Saudis suchen eine neue Rolle und die Golfstaaten fragen sich ebenfalls, wie es in Zukunft weiter gehen wird mit ihrem Verhältnis zum Iran. Daraus ergeben sich eine Menge neuer Konstellationen.

Was aber klar sein wird, ist, dass Ägypten auch unter dem neuen Präsidenten eine gewichtige Rolle spielen wird. Ich stehe in Kontakt mit den Ägyptern, um neue Möglichkeiten zu erörtern. Das ist ein längerer Diskussionsprozess. Die Ägypter sind sich im Klaren darüber, dass sie hier konstruktiv sein müssen, und sie haben im Falle des Gaza-Konflikts ja auch erst einmal gezeigt, dass sie bereit und in der Lage sind, eine konstruktive Rolle zu spielen.

Sie fürchten also nicht, dass Ägypten vom Antreiber zum Bremsklotz des Nahost-Friedensprozesses werden könnte?

Reinicke: Ich glaube, allen Staaten, und eben auch Ägypten, ist bewusst, dass der Konflikt zwischen Israel und Palästina ein Problem ist, das es zu lösen gilt. Sie wissen, dass ihre eigentlichen Probleme innenpolitischer Art sind. Und sie wissen auch, dass der Palästina-Konflikt ein Problemfall ist, der in der ganzen arabischen Welt für Unruhe sorgt. Diesen zu lösen, ist in aller Interesse - auch im ägyptischen Interesse.

Andreas Reinicke, Foto: dpa/picture-alliance
Glaubt an eine zunehmend wichtige Rolle der Europäer im Nahostfriedensprozess: Andreas Reinicke ist seit Februar 2012 EU-Sonderbeauftragter für den Nahost-Friedensprozess. Zuvor war er von 2008 bis 2012 deutscher Botschafter in Syrien.

​​Das ist aber ein schwieriger Weg, und wir hoffen, dass wir jetzt mit der neuen US-Administration, mit dem Willen der EU und den 27 europäischen Mitgliedsstaaten in diesem Jahr einen neuen Anlauf machen und einen Schritt weiterkommen können.

Sie haben die USA erwähnt, deren Engagement ja allgemein als unabdingbar gilt, um beim Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern überhaupt eine Chance auf Erfolg zu haben. Sehen Sie Anzeichen dafür, und haben Sie die Hoffnung, dass Präsident Obama in seiner zweiten Amtszeit einen Neuanfang beim Friedensprozess machen will?

Reinicke: Die USA spielen eine wichtige und entscheidende Rolle bei der Lösung dieses Konfliktes. Das wissen wir alle. Aber auch die Europäer werden eine zunehmend wichtige Rolle spielen und die europäischen Außenminister haben dies in den vergangenen Monaten immer wieder zum Ausdruck gebracht.

Wir haben in der Anhörung des neuen amerikanischen Außenministers Kerry im Senat gehört, welche Bedeutung er diesem Thema beimisst, und wir werden jetzt in den nächsten Tagen und Wochen sehen, wie es weitergeht. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton und ich selbst stehen in engem Kontakt mit der amerikanischen Administration, um Mittel und Wege auszuloten, wie wir auch zusammen diese Schritte machen können.

Was erwarten Sie sich von der neuen israelischen Regierung, die ja ebenfalls ein wichtiger Bestandteil einer jeden Lösung des Nahostkonflikts sein muss?

Reinicke: Wir erwarten von der neuen Regierung, die ja erst noch in der Phase der Bildung ist, dass sie offen für eine Zwei-Staaten-Lösung ist. Der israelische Premierminister Netanjahu hat es ja bereits in seiner Rede in Bar Ilan gesagt, und wir wünschen uns, dass die neue Regierung diese Linie aufgreift und offen für Verhandlungen ist. Genauso erwarten wir, dass die Palästinenser nach der Abstimmung in der UN-Generalversammlung offen für weitere Verhandlungen sind.

Neben dem Israel-Palästina-Konflikt ist der Streit um das iranische Atomprogramm ein weiterer Krisenherd für die ganze Region. Die USA und Israel haben jüngst erneut erklärt, dass sie eine Atommacht Iran nicht dulden wollen und eine militärische Option nicht ausschließen. Wie ist die Position der EU zu diesem Thema?

Reinicke: Sie wissen, dass die EU und Catherine Ashton mit einem Mandat des Sicherheitsrates die Verhandlungen mit den Iranern führen. Wir tun dies seit längerer Zeit mit großer Geduld und großer Ernsthaftigkeit. Dies werden wir zunächst einmal fortführen und hoffen, dass die iranische Regierung den Ernst der Lage verstehen wird und auch die Chancen und Möglichkeiten, die ihnen die neue amerikanische Administration bietet.

Interview: Michael Knigge

© Deutsche Welle 2013

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de