"Jetzt respektieren die Dänen die Muslime!"

In einem Interview mit Gihan Shahine von Al-Ahram Weekly berichtet der islamische Prediger Amr Khaled von den Ergebnissen der umstrittenen Konferenz zur christlich-islamischen Verständigung in Kopenhagen

Amr Khaled; Foto: Ikhlas Abbis
Die Dialogkonferenz in Kopenhagen habe zwar keine Wunder vollbracht, dennoch sei es gelungen, dem Islam insgesamt ein positiveres Image in der Öffentlichkeit zu verschaffen, meint Amr Khaled

​​Amr Khaled, 38-jähriger Prediger-Superstar, lehnt sich in seinem großen Sessel zurück und lächelt selbstsicher über die Kritik an der von ihm initiierten Konferenz, die kürzlich inmitten des Wirbels um die Mohammed-Karikaturen in Kopenhagen stattfand. Dort trafen sich Anfang März insgesamt 42 prominente Prediger und Islamgelehrte, darunter auch der ägyptische Mufti Ali Gomaa.

Die Konferenz in Dänemark, Khaleds neuester Beitrag zur christlich-islamischen Verständigung, löste einen regelrechten Proteststurm unter Gelehrten aus; viele von ihnen kritisierten sie als einen unnötigen Kompromiss, der möglicherweise zu einem Ende der muslimischen Proteste und Boykottaktionen führen würde.

Einige Kritiker argumentierten, dass die Konferenz die Rechte von Muslimen in Frage stellt und ein Ende der weltweiten Proteste und Boykottaktionen herbeiführen würde, aber auch differenziertere Anstrengungen in dieser Richtung untergraben würde.

Amr Khaled: Ohne Proteste hätten wir gar keine Chance gehabt, einen Dialog auf den Weg zu bringen. Dieser hat die Proteste aber nicht beenden können. Wir sind nicht im Namen der Muslime oder gar in dem der muslimischen Welt nach Dänemark gekommen. Wir ergriffen lediglich die Möglichkeit, unsere Religion bekannter zu machen und der Sache der Koexistenz zu dienen. Der Ansatz war ein rein informativer; zu keiner Zeit ging es uns darum, die Proteste und Boykotte zu beenden.

Auf der Konferenz herrschte ein sehr besonnener und verbindlicher Ton vor, der zeigte, dass Proteste und Boykottmaßnahmen legitim sind, und zwar so lange bis die Muslime sehen, dass ihrer Religion echter Respekt entgegengebracht wird [...].

Die Konferenz ging auf Anregungen aus der Öffentlichkeit zurück und wurde organisiert vom Dänischen Jugendrat (Danish Youth Council), der nicht mit der Regierung verbunden ist und in dem 800 000 dänische Jugendliche aus verschiedenen Verbänden und Universitäten zusammengeschlossen sind, sowie vom Dänischen Institut für Internationalen Dialog (Danish Institute for International Dialogue). Arabische Geschäftsleute sponserten die Veranstaltung, auch vom (pan-arabischen) Satellitenkanal ART kamen Zuwendungen.

War die Konferenz in Ihren Augen ein Erfolg?

Khaled: Die Konferenz war ja nur der Anfang, ein erster Schritt, dem weitere folgen werden. Wir vollbrachten sicher keine Wunder, doch bin ich davon überzeugt, dass es uns gelungen ist, dem Islam insgesamt ein positiveres Image in der Öffentlichkeit zu verschaffen und wir dadurch viele auf unsere Seite gebracht haben.

Ich meine ein sehr viel freundlicheres und friedliebenderes dänisches Volk zu erkennen, voller Respekt für die Muslime und eines, das sich ernsthaft schämt für das, was passiert ist.

Wir nutzten die moderne Technik, um via Internet mehr als 800.000 junge Menschen in die Konferenz einzubinden. 60 Satellitenkanäle berichteten von der Konferenz und machten Interviews. Das Treffen war die Hauptmeldung im dänischen Fernsehsender Kanal 1 und ich gab der internationalen Presse 35 bis 40 Interviews, darunter der New York Times, der Financial Times und der BBC.

Aber wie reagierte die dänische Regierung? Gab es positive Signale oder gar konkrete Schritte?

Khaled: Es ist zu früh, um dazu etwas zu sagen, weil Regierungen normalerweise sehr langsam sind in ihren Entscheidungsfindungsprozessen. Wir schickten aber der Regierung die Empfehlungen, auf die sich die Jugendlichen bei der Konferenz verständigt hatten.

Wie geht es nun weiter?

Khaled: Wie gesagt war die Konferenz nur ein erster Schritt, um die bestehenden Gräben zu überbrücken, doch sind weitere Aktivitäten bereits in Planung. Ein Austauschprogramm für Jugendliche soll dänischen Jugendlichen die Chance geben, islamische Länder besser kennen zu lernen. In der Universität von Kopenhagen wird es demnächst ein Konzert geben, bei dem der britisch-muslimische Sänger Sami Youssef auftritt.

Und wie steht es um die offizielle Entschuldigung, die von den Teilnehmern der Konferenz gefordert wurde?

Khaled: Es ist sehr unwahrscheinlich, dass sich die dänische Regierung entschuldigen wird. Ich denke, dass es sowieso unnütz wäre, wenn sich die Regierung zu einer schriftlichen Entschuldigung entschlösse, jetzt, wo ein Fünftel der Menschheit so sehr verletzt wurde. Ich meine, dass die dänische Regierung nach anderen Wegen suchen sollte, diese tiefen Wunden zu heilen: durch wahren Respekt und Wohlwollen gegenüber dem Islam und den Muslimen.

Der in Katar lebende islamische Gelehrte Scheich Youssef El-Qaradawi, der dem "Europäischen Rat für Fatwa und Forschung" (European Council on Fatwa and Research) vorsteht, meint, dass der Karikaturenstreit eine großartige Chance für die islamischen Staaten sei, ihren Glauben neu zu beleben und eine neue Einheit zu erreichen. Deshalb betrachtet er nun jede Initiative zum Dialog als Gefahr für diesen Impuls zum Widererstarken der muslimischen Welt, nur um den Interessen Dänemarks zu dienen. Was sagen Sie dazu?

Khaled: Es gibt dazu zwei verschiedene Denkschulen: Für die eine geht es darum, mit ihrer Meinung auf Konfrontationskurs zu gehen, für die andere darum, gemeinsam die Zukunft zu gestalten. Beide Meinungen haben einiges für sich, doch nehme ich mir das Recht heraus, mich für die letztere stark zu machen. Wir müssen uns doch fragen, was wir wirklich wollen: Koexistenz oder Konflikt. Was dient eher den muslimischen Interessen? Können wir vor dem Hintergrund anhaltender Konflikte zu einer Renaissance unseres Glaubens gelangen?

Koexistenz bedeutet ja nicht, dass wir Meinungsverschiedenheiten aus dem Weg gingen. Die Gefahr liegt aber doch darin, dass die neue Kraft des Islam einzig in Konfliktsituation zum Tragen kommt. Zu Zeiten des Propheten Mohammed gab es sehr viel mehr Menschen, die in Friedenszeiten zum Islam übertraten als zu Zeiten von Konflikten und Kriegen. Das beweist doch, dass der Islam in einer Zeit des Friedens zur Blüte gelangen kann.

Das Haupthindernis für ein Widererstarken der ummah (die religiöse Gemeinschaft aller Muslime) besteht heute darin, dass es in der arabischen Welt weiterhin Unfreiheit gibt. Proteste und Boykottaktionen waren legitime Mittel, um die Wut auszudrücken, die die Karikaturen hervorbrachten, doch sollten diese Proteste nur so lange andauern, wie es nötig ist, um die Welt aufzurütteln.

Außerdem klingt es doch unlogisch, dass die durch Dänemark ausgelöste Krise — in deren Verlauf ein Fünftel der Weltbevölkerung gedemütigt wurde — sich nun in Nebenfragen verlieren würde oder zu einem bloßen Streit zwischen zwei Denkschulen verkommt. Wir hoffen jedenfalls, dass die Presse sich dies nicht zunutze machen wird.

Viele stimmen darin überein, dass ein ernsthaftes Führungsproblem erst den Weg bereitete für die Extremisten, die den Karikaturenstreit zu gewalttätigen Auseinandersetzungen nutzten und damit dem Bild der Muslime großen Schaden zufügten. Warum haben Sie sich nicht früher an der Diskussion beteiligt?

Khaled: Sehen Sie, ein anderer Journalist fragte mich kürzlich, warum ich so überhastet eine Debatte starten würde. Ich meldete mich direkt nach Beginn der Proteste zu Wort. Ich befürwortete sie, wies aber zugleich darauf hin, dass sie eine konstruktive Rolle spielen und in Übereinstimmung mit den Lehren des Islam und dem Willen unseres Propheten stehen müssten. Das war vor den Angriffen auf dänische Botschaften.

Die Bevölkerung in vielen Ländern verteidigte "instinktiv" ihren Propheten, ohne irgendwelche Anweisungen von oben. In meinen Augen waren die Proteste ein wichtiger Schritt hin zu einem Dialog, der ansonsten gar nicht stattgefunden hätte. Zwei oder drei Wochen dauerten sie und das war die angemessene Zeit, um die Welt wachzurütteln. Ohne dieses Signal hätte uns doch niemand wirklich zugehört. Hätten wir schon zu jener Zeit Signale für einen Dialog gegeben, dann hätten wir tatsächlich unsere Rechte und unsere Forderungen untergraben und weitere Anstrengungen in Frage gestellt.

Aber warum reagierten Sie nicht bereits im letzten September, als die Karikaturen zum ersten Mal veröffentlicht wurden?

Khaled: Der gesamten muslimischen Gemeinschaft war zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewusst, was wirklich vor sich ging, bis der Streit zu einer echten Krise eskalierte. Ich für meinen Teil hatte es jedenfalls nicht erwartet. Das einzige, was ich tat, war, in meiner Ramadan-Sendung "In den Fußstapfen des Geliebten" ein wirklichkeitsgetreues Bild vom Leben des Propheten Mohammed zu präsentieren.

Unsere islamische Welt litt zu lange an großer Schwäche, Unterdrückung und Erniedrigung; all dies entlud sich im Karikaturenstreit. Es herrscht großes Elend im Irak und in Palästina, Menschen leiden an großer Unfreiheit, Diskriminierung und dem Fehlen der elementarsten Rechte. Die arabische Welt ist verantwortlich für das Fehlen von Freiheit, während der Westen Schuld hat an der bestehenden Ungerechtigkeit.

Warum haben Sie persönlich sich nicht an den Initiativen etablierter muslimischer Organisationen im Westen beteiligt oder an denen, die von der muslimischen Gemeinschaft in Dänemark ausgingen?

Khaled: Nur deshalb nicht, weil ich kein Mitglied einer dieser Organisationen bin. Dafür habe ich andere Gelehrte in meine Initiative mit einbezogen, darunter die ägyptischen und syrischen "Häuser für religiöse Rechtsgutachten", die in den Vereinigten Arabischen Emiraten beheimatete "Islamische Taba Institution" sowie prominente Gelehrte wie Dr. Said El-Booti und Dr. Abla El-Kahlawi.

Ich fühlte mich nicht verpflichtet, die Konferenz mit der muslimischen Gemeinschaft in Dänemark abzustimmen, da ich ja nicht in ihrem Namen auftrat und auch keinen "Verhandlungsauftrag" von ihnen oder sonst jemandem hatte.

Ich bekam viele Anrufe von Vertretern verschiedener islamischer Strömungen in Dänemark, die mich baten, sie in ihren Anstrengungen zu unterstützen. Dabei aber ging es immer um den Ausschluss anderer Strömungen. Ich wollte aber bewusst keine Partei ergreifen oder Gräben zwischen verschiedenen, respektablen islamischen Richtungen aufreißen, da ich mich, in meiner Rolle als Prediger, allen Muslimen gegenüber in der Verantwortung sehe.

Interview: Gihan Shahine

© Al-Ahram Weekly/Qantara.de 2006

Aus dem Englischen von Daniel Kiecol

Qantara.de

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