Demokratie als persönliche Mission

Ahmed Saif Hashed, parteiloser Abgeordneter im jemenitischen Parlament, wurde in den vergangenen Jahren wegen seines Engagements für Demokratie und Bürgerrechte mehrfach angegriffen. Sarah Mersch hat sich mit Saif Hashed über seine Arbeit und das politische System im heutigen Jemen unterhalten.

Herr Hashed, Sie sind gewählter Abgeordneter im Jemen – einer Präsidialrepublik. Auf welchen Grundlagen basiert das parlamentarische System Ihres Landes?

Ahmed Saif Hashed; Foto: privat
Saif Hashed: "Die Freiheit ist für mich eine Mission, die ich erfüllen muss – egal, ob ich Bürger oder Abgeordneter bin, unabhängig von den finanziellen Kosten und Gefahren."

​​Ahmed Saif Hashed: Das jemenitische Parlament hat zwei Kammern: das Repräsentantenhaus, das von der Bevölkerung gewählt wird, und die Shura, den Konsultationsrat, der vom Präsidenten ernannt wird. Theoretisch hat das Parlament das Recht, von der Regierung Auskunft zu erhalten und ihr das Vertrauen zu entziehen. Doch die Realität sieht ganz anders aus: Die überwältigende Mehrheit im Parlament wird vom allgemeinen Volkskongress, der Regierungspartei, gestellt, so dass das Parlament die Regierung nicht mehr kontrolliert, sondern ihr untergeordnet ist. Der Präsident ist auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte; er kann das Parlament auflösen und den Ausnahmezustand ausrufen. Das Parlament hat darüber keine Kontrolle und kann ihn dafür nicht zur Verantwortung ziehen - außer im Fall des Hochverrats – doch das ist reine Theorie.

Inwiefern hält sich die Regierung an die Vorgaben der Verfassung?

Saif Hashed: In der Realität verletzt die Regierung fast ständig die Verfassung. Die Schwäche und Abhängigkeit der Justiz kommt ihr dabei sehr gelegen, genau wie die geringen Kontrollmöglichkeiten durch das Parlament. Eine Gewaltenteilung gibt es im Jemen nicht. Stattdessen sind alle drei Gewalten in den Händen des Präsidenten vereint. Die Richter stehen unter der Aufsicht des Justizministeriums. Daher lässt sich auch dort am meisten Korruption entdecken.

Was bedeutet das in der politischen Praxis?

Saif Hashed: Nach einem Bericht der Organisation "Idea" standen der Regierungspartei, dem Allgemeinen Volkskongress, bei den vergangenen Wahlen im Jahr 2003 zwischen 40 und 60 Milliarden Rial (rund 150 bis 230 Millionen Euro, Anmerkung der Redaktion) zur Verfügung, um damit Stimmen zu kaufen. Laut Einschätzung von "Transparency International" zählt der Jemen zu einem der korruptesten Länder der Welt. Ein nicht unerheblicher Teil dieser Korruption findet unter dem Dach des Parlaments statt.

Sie sagen, dass im Jemen keinerlei Menschenrechte geachtet werden. Wie begründen Sie diese Aussage?

Saif Hashed: In unseren Gesetzen finden sich nach wie vor Artikel, die Menschen wegen ihres Geschlechts und Gewissens diskriminieren. Es gibt zwar offizielle Mechanismen für den Schutz der Menschenrechte, doch die sind allerdings inhaltsleer. Die Menschenrechtsorganisationen des Landes leiden unter Unterdrückung und Gängelung durch die Behörden.

Ali Abdallah Saleh; Foto: AP
Der seit 28 Jahren regierende Präsident des Jemen, Ali Abdullah Saleh, ist gerade für weitere sieben Jahren in seinem Amt bestätigt worden.

​​Der Organisation "Veränderung - für die Verteidigung der Menschrechte und der Freiheiten", wurde zum Beispiel über ein Jahr lang die Lizenz verweigert – ohne jegliche Begründung. Es gibt Gefängnisse, die nicht gesetzeskonform geführt werden – mehr als man zählen kann. Tausende Verdächtige und Unschuldige sitzen dort jahrelang ohne Prozess oder gesetzliche Grundlage ein. All dies ist nur die Spitze des Eisbergs.

Sie sind seit 2003 als unabhängiger Abgeordneter im jemenitischen Repräsentantenhaus vertreten. Welche Vor- und Nachteile hat es, nicht Mitglied einer Partei zu sein?

Saif Hashed: Durch die Unabhängigkeit genieße ich natürlich größere Freiheit, als wenn ich einer Partei angehören würde, auch wenn ich dann weniger Unterstützung von anderen Parteien erfahre. Manchmal verbünden sich die Parteien auch gegen mich. 2003 war ich als Berichterstatter des Ausschusses für Freiheiten und Menschenrechte nominiert. Außer mir gab es keinen anderen unabhängigen Kandidaten, so dass sich alle Parteien des Ausschusses gegen mich gestellt haben, nur damit mein Konkurrent gewählt wird – der Sohn des Innenministers.

Wie finanzieren Sie ihre Arbeit?

Wahlauszählung in Sanaa; Foto: AP
Freie Wahlen oder Inszenierung? Angeblich standen der Regierungspartei bis zu 230 Millionen Euro zur Verfügung, um sich durch das Erkaufen von Stimmen die Wählergunst zu sichern.

​​Saif Hashed: Von meiner letzten Wahlkampagne bleiben mir immer noch Schulden. 14 unabhängigen Kandidaten war es gelungen, ins Parlament einzuziehen. Zehn von ihnen sind jetzt bei der Regierungspartei. Die Parteiführung hat finanzielle Anreize geschaffen. Nur vier sind unabhängig geblieben und haben die Unterstützung verweigert, ich war einer von ihnen. Dafür habe ich einen hohen Preis bezahlt. Meine Rechte und Freiheiten wurden durch die Herrschenden verletzt, die Machthaber ruinieren die Sicherheit ihrer politischen Gegner und Meinungsmacher.

Wie ist es um die Meinungsfreiheit bestellt? Haben Sie es als Abgeordneter und Journalist in dieser Hinsicht leichter, im Vergleich zur einfachen Bevölkerung?

Saif Hashed: Die Regierung verschweigt Informationen. Bis heute ist im Jemen die Eröffnung privater Radio- und Fernseh-Sender sowie Satellitenkanäle verboten. Ich habe vor mehr als einem Jahr eine Lizenz beantragt, um einen Nachrichtendienst per SMS einzurichten, die habe ich bis heute nicht. Im Internet betreibe ich die Seite "Yemnet". Das Informationsministerium hat sie mehr als ein Jahr lang gesperrt. Dann haben sie die Sperrung für kurze Zeit aufgehoben. Jüngst wurde sie wieder gesperrt. Für meine Zeitung "Al-Mustaqilla" ("Die Unabhängige") habe ich mehr als ein Jahr auf eine Lizenz gewartet.

Sie wurden mehrfach auch physisch bedroht, Ihre Familie lebt in ständiger Gefahr. Wieso halten Sie trotzdem an ihrem Amt fest?

Saif Hashed: Den Preis, den man zahlen muss für den Widerstand gegen die Unterdrückung und für den Sieg der Rechte und Freiheiten, ist in einem Land wie dem Jemen sehr hoch. Die Freiheit ist für mich eine Mission, die ich erfüllen muss – egal, ob ich Bürger oder Abgeordneter bin, unabhängig von den finanziellen Kosten und Gefahren.

Saudi-Arabien und der Iran haben einen gewissen Einfluss auf die Situation im Jemen und dessen Politik. Wie äußert sich dies?

Jemen; Grafik: DW/ dpa
Der Jemen am Scheideweg: kommt der "große Wandel" oder entwickelt sich das Land im Süden der Arabischen Halbinsel zu einem Hort der Instabilität und des Terrors?

​​Saif Hashed: Saudi-Arabien ist in der Lage, Druck auszuüben. Der Einfluss des Landes auf der Ebene der politischen Entscheidungen ist erstaunlich sichtbar. Auch auf einige Stämme hat Saudi-Arabien durch die finanzielle Unterstützung ihrer Führer Einfluss. Wir beobachten im Jemen eine starke Präsenz der Salafisten (eine sunnitisch-fundamentalistische Strömung, Anmerkung der Redaktion). Diese genießen saudisch-jemenitische Unterstützung. Teile der gebildeten muslimischen Gelehrten sind sich durchaus bewusst, dass die Salafisten eine größere Gefahr für die Moderne und die Entwicklung darstellen als andere religiöse Gruppierungen und dass ihre Kultur die Basis für einen gewalttätigen Extremismus bildet, der für den Jemen sehr gefährlich werden kann.

Gibt es noch weitere Bedrohungen?

Saif Hashed: Der Unterstützung der Herrschenden für die Salafisten steht die Verfolgung der Zayidia gegenüber – jener Glaubensgemeinschaft, die den Schiiten nahesteht. Sie werden sehr in ihren Rechten eingeschränkt, ihre Anhänger werden unterdrückt und verfolgt. Sie dürfen auch ihre religiösen Feste nicht feiern. Dies führte dazu, dass daraus eine religiös fundierte und einflussreiche politische Bewegung geworden ist. Sie steht dem Iran nahe und droht, eine zunehmende Macht im Jemen zu werden.

Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Veränderungen, die im Jemen stattfinden müssen?

Saif Hashed: Der Jemen wird heute auf allen Ebenen von Korruption zerfressen, so dass Wirtschaft und Politik zunehmend verfallen. Wir erleben derzeit eine schwere Krise und es fehlt die Aussicht auf einen friedlichen und demokratischen Wandel. Kurz gesagt: Der Jemen steht am Scheideweg und es gibt zwei mögliche Richtungen, in die das Land gehen kann. Die eine ist der so genannte "große Wandel" – das Gegenteil was derzeit herrscht an Korruption und Repression und Hunger. Der andere Weg wäre der, den wir auch als "Somalisierung" der Situation bezeichnen, dass heißt, der Jemen könnte sich zu einem Hort der Instabilität und des Terrors entwickeln.

Wie realistisch ist es, dass dieser Wandel in nächster Zeit einsetzt?

Saif Hashed: Ich hoffe, dass alle zusammen arbeiten, ohne dass Frieden und Sicherheit bedroht werden. Das ist aber nicht realistisch: Denn die gegenwärtige Regierung ist im Niedergang begriffen und will alle mit sich reißen.

Interview: Sarah Mersch

© Qantara.de 2009

Ahmed Saif Hashed, geboren 1962, Jurist und Publizist, ist seit 2003 parteiloser Abgeordneter im Repräsentantenhaus des jemenitischen Parlaments. In den vergangenen Jahren wurde Hashed wegen seiner politischen Arbeit mehrfach physisch angegriffen. Vor wenigen Jahren überlebte er nur knapp einen Anschlag, bei dem sein Fahrer ums Leben kam.

Qantara.de

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