Ein Gott ohne Namen

Zum gemeinsamen Fastenbrechen am Ende des Ramadan luden die Muslime der serbischen Hauptstadt ihre jüdischen und christlichen Nachbarn ein. Obwohl der Islam in Belgrad auf wenig Akzeptanz stößt, funktioniert hier das interreligiöse Miteinander. Danja Antonovic berichtet.

Teilnehmer an der Bayram-Tafel in Belgrad; Foto: Danja Antonovic
Muslime, orthodoxe Christen, Juden und Katholiken sind gekommen, um gemeinsam den Ramadan Bayram, das muslimische Fest des Fastenbrechens zu feiern.

​​ "Wir Muslime, wir sind glücklich in Serbien zu leben und hier, unter Freunden und Nachbarn unserem Gott dienen zu dürfen", sagt der Mann, der wie eine extrastattliche Ausgabe von George Clooney aussieht. Er ist groß, rank und schlank und hat klassische Gesichtszüge, wie sein Ebenbild aus Hollywood. Er steht auf einer kleinen Bühne, die mit einem bunten persischen Teppich ausgelegt ist und von grünen und weißen Ballons umrahmt ist.

Der Mann im langen schwarzen Gewand und mit einem weißen Turban auf dem Kopf ist Muhamed Jusufspahic, Obermufti der Serbischen Islamischen Gemeinschaft. Mit einem "Bayram Mubarak olsun" eröffnet er die zweite Bayram-Tafel im Herzen Belgrads. Der Applaus der über tausend anwesenden Belgrader dauert lange. Sie alle, Muslime, orthodoxe Christen, Juden und Katholiken sind gekommen, um gemeinsam den Bayram zu feiern.

Serbische und separatistische Muslime

Jusufspahic richtet seine Worte auch an das Oberhaupt der muslimischen Gemeinde von Sandzak, die im Süden Serbiens ihren Sitz hat. Muamer Zukorlic, der Hauptmufti von Sandzak, residiert in Novi Pazar, in unmittelbarer Nähe des Kosovo; hier sind 80 Prozent der Bevölkerung Muslime.

Zwei Jungen ziehen ihre Schuhe am Eingang der Bajrakli-Moschee in Belgrad aus; Foto: Danja Antonovic
"Im Hof werden noch eilig die Füße gewaschen, die Schuhe der Verspäteten versperren den Eingang": Der Andrang zur Bayram-Tafel ist groß, mehr als 1000 Menschen wollen am gemeinsamen Fatsenbrechen teilnehmen.

​​ Zukorlic weigert sich, die Belgrader Gemeinde anzuerkennen, er fühlt sich den Muslimen in Sarajevo, Bosnien-Herzegowina, verpflichtet. Regelmäßig prangert er das Vorgehen der Belgrader Regierung in Sandzak an, verlangt ausländische Beobachter, die Muslime in Sandzak unterstützen sollen. Der Mufti spricht sogar von der bevorstehenden Autonomie dieser Region, die heute im Nordosten Montenegros, im Südwesten Serbiens und teilweise im Kosovo liegt.

Muhamed Jusufspahic dagegen plädiert für die Integration der Muslime in die serbische Gesellschaft. Doch abgesehen von der klaren Ansage, die Jusufspahic an die Anwesenden und an seinen Kontrahenten richtet, spielt Politik an diesem Tag keine Rolle.

Das osmanische Erbe Serbiens

Die Altstadt von Belgrad ist eher klein. Die türkische Festung Kalemegdan wacht majestätisch über die Mündung der Save in die Donau. Noch heute trägt das Viertel den türkischen Namen "Dortjol". Das heutige Serbien war seit dem 15. Jahrhundert Teil des Osmanischen Reiches. Seit 1575 ragt das Minarett der Bajrakli-Moschee in der Straße Gospodar Jevremova in den Himmel.

Damals, als die Moschee gebaut wurde, gab es noch 273 Moscheen in der Stadt. Davon ist nur eine übrig geblieben, für 200.000 Muslime. Ein Großteil der islamischen Gotteshäuser wurde während der serbischen Befreiungskriege Anfang des 19. Jahrhunderts zerstört – oder in Profanbauten und Kirchen umgewandelt.

Das Umfeld der Moschee ist in gewissem Sinne multikulturell bzw. multireligiös: der Sitz der jüdischen Gemeinde und die Synagoge sind gleich um die Ecke, auch die Domkirche der orthodoxen Kirche ist nicht weit. Dass alle drei Religionen ihre Gotteshäuser in unmittelbarer Nähe bauten, zeigt, wie tolerant Belgrad über Jahrhunderte war.

Der Anschlag auf die Moschee

Die Toleranz erhielt 2004 einen starken Dämpfer: Rechte Jugendliche zündeten in einer Nacht-und-Nebel-Aktion die Bajrakli-Moschee an, als Antwort auf brennende Klöster im Kosovo, die von Albanern abgebrannt worden waren. Die Täter von Belgrad sind bis heute nicht angeklagt, die Moschee nicht saniert.

Die Gospodar-Jevremova-Straße erinnert mit ihren Häusern aus der Gründerzeit an Wien und Triest, dicke Baumkronen versperren die Sicht. Ein Teil der Straße, dort, wo die Moschee steht, ist heute abgesperrt.

Um ein Uhr mittags beginnt die Feier mit einem Gottesdienst. Die kleine Moschee, nur 100 Quadratmeter groß, ist überfüllt. Im Hof werden noch eilig die Füße gewaschen, die Schuhe der Verspäteten versperren den Eingang. Der näselnde Gesang des Imams dringt auf die Straße, die auf beiden Seiten des Bürgersteigs mit Tischen bestückt ist. Plastikplanen liegen auf den Köstlichkeiten des Orients, dichtes Gedränge unter den Platanenkronen, es nieselt.

Auf der kleinen Bühne, auf der später der Obermufti sprechen wird, singt ein iranischer Männerchor. Wehmütig klingt der Gesang, eine hohe Männerstimme gibt den Ton an. Serbische Popen in wallenden schwarzen Gewändern grüßen muslimische Geistliche, die ebenfalls schwarze, wallende Gewänder tragen.

Lernen zu teilen

Leila Alomerovics ist das Herz der Bayram-Tafel. Zum zweiten Mal organisiert die serbische Muslima das Zusammenkommen der Religionen, diesmal in mehreren serbischen Städten. Sie strahlt: "Gestern waren wir in Kragujevac, im Zentrum Serbiens. Wir sind dort unsichtbar, sagten mir die Muslime dort, danke, dass Sie uns sichtbar gemacht haben. Zuerst standen sie getrennt, die Christen und die Muslime. Aber als die Tafel freigegeben wurde – da wusstest du nicht mehr wer welcher Religion angehörte."

Leila ist die Vorsitzende des muslimischen Kulturvereins "Gajret", der mit Unterbrechungen seit 1923 in Belgrad existiert. "Gott sei dank leben wir heute wieder im Frieden. Das, was ich hier mache, ist nichts anderes als das, was ich in meiner Familie gelernt habe. Wir waren acht Kinder und haben gelernt das zu teilen, was wir haben."

Der serbische Innenminister Ivica Dacic (3 v.l.), Obermufti Muhamed Jusufspahic (2 v.l.) und Leila Alomerovic in einer VIP-Lounge der Bayram-Tafel mit; Foto: Danja Antonovic
"Wir sind nicht nur Nachbarn, wir sind Freunde. Und was gibt es Schöneres, als mit Freunden zusammen zu essen" sagt Aleksandar Necak, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Belgrad.

​​ Neben Leila steht Aleksandar Necak, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde. "Shana tova", sagt Leila, die traditionelle hebräische Begrüßung zu Rosh hashanah, das Jüdische Neujahrsfest, das am Vortag begangen worden war. "Danke, Nachbarin", sagt Necak und fügt hinzu: "Wir haben beste Kontakte. Wir sind nicht nur Nachbarn, wir sind Freunde. Und was gibt es Schöneres, als mit Freunden zusammen zu essen", fragt er verschmitzt.

Als die Plastikplanen abgenommen werden, duftet es nach Zimt, Vanille und Koriander, nach Knoblauch und Thymian. Endlich darf gegessen werden. Gedränge, Gewusel, es wird geschmatzt und gekaut, die ganze Straße ergibt sich dem sinnlichen Genuss.

Gegen drei Uhr nachmittags ist alles vorbei. Es wird abgeräumt, Tische werden zusammengeklappt, die Ballon-Herzen abgehängt. Dragana Pesikanovic ist Katholikin und Freundin von Leila, sie hilft mit. Und sagt: "Wir leben in einem multireligiösen und multiethnischen Land. Wir sollen uns gegenseitig achten und ehren. Denn wir haben einen Gott – es ist unwichtig, wie er heißt."

Danja Antonovic

© Qantara.de 2010

Redaktion: Lewis Gropp/Qantara.de

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