Deutsch-arabischer Chat-Club als Dialogforum

Gemeinsam haben das Goethe-Institut in Kairo, die dortige Azhar-Universität sowie einige deutsche Universitäten ein großes Diskussionsforum für Jugendliche im Internet eingerichtet. Nelly Yusuf stellt den Club vor.

Gemeinsam haben das Goethe-Institut in Kairo, die dortige Azhar-Universität sowie einige deutsche Universitäten ein großes Diskussionsforum für Jugendliche im Internet eingerichtet. Nelly Yusuf stellt den Club und die spannendsten Diskussionen, die dort gerade geführt werden, vor.

​​Wie leben Muslime und Araber in Deutschland? Welche Probleme begegnen ihnen, besonders nach dem 11. September 2001? Wie sehen die Deutschen den Islam und die Araber? Lässt sich auch weiterhin das Vorherrschen einer Islamphobie feststellen, d.h. der Angst vor allem, was mit dem Islam zusammenhängt? Und wie sehen ihrerseits die Muslime und Araber die Bundesrepublik und die deutsche Kultur?

Solche und andere Fragen werden im Chatroom des Forums debattiert, das das Goethe-Institut in Kairo in Kooperation mit der für das Deutschstudium verantwortlichen Sektion der Azhar-Universität in Kairo und dem islamwissenschaftlichen Institut der Universität Leipzig eingerichtet hat.

Chatclub als Dialogform

Dadurch entsteht ein neues Kommunikationsmittel zur Förderung eines konstruktiven Dialogs zweier Kulturen, der nicht zuletzt durch deren geographische Entfernung erschwert wird.

In unkomplizierter Weise können Muslime und Araber, die sich mit der Sprache und der Kultur der deutschsprachigen Länder beschäftigen, und interessierte Deutsche miteinander in Kontakt treten.

Die Idee zu dem deutsch-arabischen Internetchat kam Enzio Wetzel, Leiter des Kulturprogramms des Goethe-Instituts, Ende 2001. Er stellte sie in der Sektion für das Deutschstudium der Azhar-Universität sowie bei deren Studenten und den Studenten des islamwissenschaftlichen Instituts der Universität Leipzig vor sowie in einigen anderen deutschen Universitäten wie Hamburg und Halle.

Der Club hat den Vorteil, dass er das ganze Jahr über geöffnet ist und dass die Mitglieder sich jederzeit treffen können, um miteinander zu chatten, ohne dabei an einen bestimmten Ort oder ein bestimmtes Thema gebunden zu sein.

Manchmal können die Teilnehmer auch selbst vorschlagen, welches Thema diskutiert werden soll. Dabei fällt auf, dass sowohl die Araber als auch die Deutschen sich zumeist zu einem ganz bestimmten Themenbereich austauschen: Es geht um das Zusammenleben von Deutschen und Muslimen in Deutschland und die religiöse Toleranz beider Bevölkerungsgruppen.

Chatten mit dem deutschen Botschafter

Der erste Chat im Club fand 2002 mit dem deutschen Botschafter in Kairo, Martin Kobler statt. Die Fragen, die deutsche und arabische Studenten dem Botschafter stellten, betrafen hauptsächlich die Haltung der Deutschen gegenüber dem Islam im Allgemeinen und im Besonderen ihre Widerstände gegen die Verschleierung muslimischer Frauen und Mädchen.

Kobler machte deutlich, dass Deutschland den Wunsch der Musliminnen, ein Kopftuch zu tragen, respektiert. Hintergrund der Kopftuchdiskussion sei jedoch, so erläuterte er damals, der Wunsch der muslimischen Lehrerinnen an deutschen Schulen, das Kopftuch auch beim Unterrichten zu tragen, woran sich die Furcht vor einer starken Einflussnahme dieser Lehrerinnen auf ihre Schüler knüpfe.

Kobler vertrat dabei die Ansicht, die kulturellen Werte, die den Schülern im Unterricht vermittelt werden, sollten deutsch oder zumindest doch neutral sein.

Der Chat-Club wurde mit einem speziellen Programm ausgestattet, das den Teilnehmern die Verwendung der deutschen und der arabischen Sprache ermöglicht. Englisch wird nicht zugelassen, auch wenn sich einige Chatter beschwerten, da es weltweit zur Kommunikation genutzt werde, solle man ihnen den Gebrauch gestatten.

Vielleicht ist dies wirklich ein schwacher Punkt des deutsch-arabischen Chat-Clubs. Das Goethe-Institut setzt dem entgegen, dass es ein deutsches Projekt ist, bei dem es darum geht, die deutsche Sprache und Kultur vorzustellen, was mit Beteiligung einiger arabischer Organisationen geschieht.

Hitzige Diskussionen um den Schleier

Meistens findet das Treffen zum Chat zwischen vier und fünf Uhr nachmittags statt. Wann es losgeht, erfährt man entweder auf der Club-Site oder man ist registriertes Mitglied und wird via E-Mail benachrichtigt.

Zu den Hauptthemen, über die bisher diskutiert wurde, zählt "Der Islam in Deutschland". Häufig entspinnt sich daraus schnell ein Disput über die Verschleierung muslimischer Frauen: Bedeutet sie die Unterdrückung der Frau oder ist sie ein Symbol ihrer persönlichen Freiheit?

Eine Vielzahl von Chattern hat sich dazu geäußert. Die Teilnehmer stammen aus den unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten und Altersgruppen.

Meist zeichnet sich solch ein elektronisches Treffen durch hitzige Debatten und eindeutige Standpunkte aus, so etwa das folgende. Ein Teilnehmer aus Österreich erklärt, die muslimische Frau trage Kopftuch, weil ihr Glaube, ihr Mann oder ihr Vater sie dazu zwinge, weder sei der Sinn der Verschleierung ihr begreiflich, noch bliebe ihr die Wahl, sie abzulehnen.

Eine Dame aus Leipzig, die sich "Umm Salma", Mutter der Salma, nennt, schaltet sich ein. Sie ist selbst eine Muslimin, die den Schleier trägt, und beklagt, dass der Westen, der sich als Verteidiger der individuellen Freiheit sieht, die Freiheit der dort lebenden Musliminnen missachtet.

Diese Frauen sähen sich gezwungen, den Schleier abzulegen, um verschiedene Gefahren zu vermeiden, besonders den Verlust der Arbeitsstelle.

Eine Deutsche mit dem Chatname "Augen" kommentiert, die Muslimin dürfe ihren Glauben doch praktizieren, allerdings könne sie nicht als Repräsentantin des deutschen Staats fungieren, solange sie auf das Tragen eines religiösen Symbols bestünde.

Die Auseinandersetzung erreicht ihren Höhepunkt, als "Umm Salma" ironisch zurückgibt: "Danke, dass ihr uns erlaubt, Muslime zu bleiben. Danke für eure Großzügigkeit, die wir sogar gratis bekommen."

Und wieder folgen die Reaktionen beider Seiten aufeinander. So kommen wieder andere Teilnehmer ins Gespräch, die das Feuer der Diskussion erneut entfachen.

Schlechte Organisation wegen fehlender Vermittlung

Obwohl die angeführte Diskussion durchaus konstruktiv war, ist der Chat im Club schlecht organisiert. Es fehlt ein Vermittler oder Schiedsrichter, ein so genannter Chat-Moderator, der die Diskussion leitet, Gesprächsrichtungen vorgibt und dafür sorgt, dass die Beiträge geordnet und höflich in die Auseinandersetzung einfließen.

Aufgrund dieses Mangels sind viele Gespräche in nebensächlichen Themen stecken geblieben oder sogar ganz vom Diskussionsgegenstand abgewichen. Das Goethe-Institut befasst sich daher derzeit mit der Suche nach einem Moderator, der den Chat im Club in Zukunft leiten soll.

Demnächst sind Chats mit bekannten Persönlichkeiten und Experten aus den Bereichen Politik, Gesellschaft und Religion sowohl auf deutscher als auch auf arabischer Seite geplant.

Alle Beteiligten können von zu Hause oder vom Arbeitsplatz aus, wo immer sie sich auf der Welt befinden, miteinander chatten. Erwogen wird eine Einladung zum Chat an den deutschen Außenminister oder Mitarbeiter des ägyptischen Außenministeriums und anderer arabischer Staaten.

Auch einige Organisationen und Universitäten in der Schweiz und in Österreich werden sich möglicherweise bald am Chat-Club beteiligen. Darüber hinaus werden die Goethe-Institute in den anderen arabischen Ländern den Chat bekannt machen.

Nelly Yusuf, © Qnatara.de 2004

Mehr über das deutsch-arabische Chat-Projekt erfahren Sie hier