Die Leinwand als politische Kampfzone

Auch in diesem Jahr prägten Themen wie Zwangsehe, Gewalt in der Familie, Drogenkonsum und Armut die filmischen Werke vieler Regisseure auf dem internationalen Kabuler Filmfestival. Doch andere soziale und politische Realitäten wurden bewusst ausgeblendet. Martin Gerner berichtet warum.

Verleihung der Filmpreise auf dem diesjährigen Kabuler Filmfestival; Foto: Martin Gerner
Optimistischer Blick in die Zukunft: Verleihung der Filmpreise auf dem Kabuler Filmfestival mit dem afghanischen Schauspieler Mamnoon Maqsoodi als Moderator und Rita Sachse-Toussaint, Leiterin des Goethe-Instituts Kabul

​​Nimmt man die Preisverleihung als Maßstab, dann braucht einem um die Zukunft des Kabuler Filmfests nicht bange zu sein. Weltgewandt und humorvoll umschiffte der afghanische Schauspieler Mamnoun Maqsoudi in seiner Moderation die kulturellen Klippen zwischen Orient und Okzident und verlieh einer noch in den Kinderschuhen steckenden Filmwoche einen Glanz, den sich die im Staub versinkende 4-Millionen-Metropole öfter wünscht.

Kurioses Ritual

Das Kabuler Festival beginnt jedes Jahr mit einem kuriosen Ritual: Zum Auftakt wird der Siegerfilm aus dem Vorjahr gezeigt. Auf "Gozargah", einem Dokumentarfilm über den afghanischen Bürgerkrieg, folgte eine ARTE-Produktion über das Pariser Modehaus Chanel.

Traumatisierende Bilder von Blutvergießen gingen nahtlos über in die Pose von Karl Lagerfeld und einem Small Talk über eine Haute-Couture-Weste im Wert von 28.000 Euro. Das afghanische Publikum nahm es gelassen und mit Neugier, weder angewidert noch fasziniert.

Ein halbes Dutzend Filme steuert der deutsch-französische TV-Kanal jedes Jahr außer Konkurrenz bei. Das Goethe-Institut Kabul und sein französisches Pendant als Finanziers des Festivals stehen dabei Pate.

Vorsichtsmaßnahmen und Selbstzensur

Der offizielle Wettbewerb, mit Filmen auch aus Iran, Pakistan, Indien und Tadschikistan, war dieses Jahr eine Mischung aus 'Auf-der-Stelle-Treten' und Quantensprung. Den meisten afghanischen Spielfilmen fehlt nach wie vor eine zwingende Dramaturgie. Das Schauspiel ist häufig übertrieben. Kamera, Schnitt und Ton nicht so perfekt und ausgereift, wie internationale Beobachter dies gewöhnt sind.

​​Dagegen scheint sich das Genre Zeichentrickfilm zu etablieren: "The last shout" ist erst der zweite afghanische Animationsfilm überhaupt: darin begegnen sich zwei Streichhölzer. Das eine männlich, das andere weiblich. Sie flirten miteinander, am Ende entzünden sich ihre Phosphorköpfe aneinander, gleich einem Kuss. Das Ganze findet auf offener Straße statt.

Hier wird klar, wie groß der Graben zwischen Wunsch und afghanischer Wirklichkeit noch ist. Der Regisseur hat seinen Film zunächst "Hot Love" ("Heiße Liebe") nennen wollen, sich dann aber für einen weniger provokanten Titel entschieden. Eine Vorsichtsmaßnahme, die man durchaus auch als Selbstzensur bezeichnen könnte.

Krieg findet nicht statt

Themen wie Zwangsehe, Gewalt in der Familie, Drogenkonsum und Armut prägen die Arbeiten, die beim Festival gezeigt werden. "Die Menschen in Afghanistan bringen viel mehr Lebenserfahrung mit als die Menschen im Westen", meint die afghanische Regisseurin Saraah Karimi. "Was fehlt, ist das technische Wissen, diese Geschichten gezielt in Filme umzusetzen".

US-Fahndunsoffensive gegen Taliban in Afghanistan ; Foto: AP
"No Go Area" und politisches Tabu für Filmemacher - der Krieg im Süden und Osten Afghanistan

​​Der Krieg in Teilen des Südens und Ostens kommt in den Filmen nicht vor. Zu groß ist offenbar das Risiko für Filmemacher, buchstäblich ins Visier von Taliban, NATO oder afghanischen Sicherheitskräften zu gelangen.

Anders als im Iran und in der westlichen Welt gibt es keinen Pfennig staatliche Filmförderung für Regisseure. Eigentlich eine Chance für die Geberländer, gezielt auf diesem Gebiet zu helfen.

Stattdessen geben Hilfsorganisationen und Botschaften Filme in Auftrag, die der gesundheitlichen oder politischen Aufklärung dienen sollen. Die einheimischen Filmemacher bekommen so zwar Arbeit, die Themen aber bleiben von außen bestimmt.

Feldzug gegen indische Soap-Operas

Viele afghanische Filmemacher sagen von sich voller Stolz, alles in Einem zu sein: Drehbuchautor, Regisseur, Kameramann, Cutter und Produzent. Was fehlt, ist eine Filmschule, die Grundlagen unterrichtet. "An der Universität gibt es noch nicht einmal einen DVD-Player, wo sich Studenten ein paar Klassiker der Filmgeschichte ansehen können", sagt ein anderer Regisseur. "Und wenn einmal ein paar Nacktszenen in einem Film vorkommen, wird das schnell zum Grundsatzproblem".

Konservative Kräfte bestimmen die Agenda. Abdul Karim Khurram, Afghanistans Minister für Kultur, wünschte sich zum Auftakt mehr einheimische Produktionen an Stelle von Bollywood und Hollywoodfilmen.

Gerade führt er einen Feldzug gegen indische Soap-Operas im afghanischen Fernsehen. Mit zweifelhaftem Erfolg. Bilder und Leinwand aber bleiben ein politisches Kampffeld in Afghanistan. Insofern ließ das Motto des diesjährigen Festivals – "Kreativ sein alleine genügt nicht..." – vielfältige Interpretationen zu.

Martin Gerner

© Qantara.de 2008

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